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Neuer DDR-Roman von Thomas BrussigGrau-bunte Science-Fiction

Thomas Brussig lässt die DDR einfach weiterbestehen, mit Gysi als Staatschef und sich selbst als eitlem Dissidenten-Schrifsteller. Das liest sich richtig gut weg.

Alternativweltgeschichte im Nachbarland: Niemand hat die Absicht, eine Mauer einzureißen. Bild: mathias the dread / photocase.de

Immer mal wieder taucht sie auf: Apfelkuchen-Angela. Mal steht sie mit Selbstgebackenem vor Thomas Brussigs Tür, um sich ein paar Exemplare seines Bestsellers „Helden wie wir“ signieren zu lassen. Dann wieder besucht sie ihn unangemeldet, erneut mit einem Kuchen, „mit Äpfeln aus dem elterlichen Pfarrgarten bei Templin“. Was die nur mäßig camouflierte Angela Merkel dem Dissidenten Brussig bei ihrer Stippvisite im Jahr 1997 erzählt, bleibt ohne Belang. „Es ging zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus“, schreibt der Berichterstatter.

Apfelkuchen-Angela ist eine der zahllosen Figuren, die in Thomas Brussigs neuem Roman „Das gibt’s in keinem Russenfilm“ auf- und wieder abtreten. Wie auf einer Drehbühne kreiselt das Personal des Buches über das Leben des Schriftstellers Thomas Brussig in den Plot – die meisten tauchen später an anderer Stelle erneut auf. Jeder kennt irgendwie jeden, hat schon mal von jemandem gehört oder war mit ihr oder ihm im Bett.

Was Brussig detailverliebt illustriert, ist das alte DDR-Prinzip: Auf engem Raum und unter den Bedingungen des realen Sozialismus speist sich die persönliche Biografie aus dem Wissen umeinander, aus der kurzen Distanz zum Mitbürger, aus den unterschiedlichsten Interessen. Vorteilsnahme, Überwachung, sexuelle Attraktion – unter alles andere als weltläufigen Bedingungen ist man nicht wählerisch.

Erst recht nicht, wenn die DDR einfach nicht endet. Denn das ist der Plot von Thomas Brussigs neuem Buch, diesem graubunten Science-Fiction-Werk: Die Wiedervereinigung fällt einfach aus. Stattdessen ist und bleibt sie einfach da, die DDR, samt ihrer saturierten Nachbarin, der BRD.

Der Underdog genießt sexuelle Privilegien

Der Ostler Thomas Brussig – Autor des genialen Wenderomans „Helden wie wir“ – spinnt hier seine eigene ostdeutsche Biografie unbekümmert weiter. Aus einem glühenden Jungliteraten, den die DDR einfach nur nervt, wird eher aus Versehen der dissidentische Schriftsteller Brussig. Für ihn ergibt sich daraus ein gesellschaftlicher Status, der dem Charakter des literarischen Underdogs wahrlich schlecht bekommt. Denn Geächteter zu sein, war im Osten nicht immer nur gefährlich. Es machte auch begehrter und bot intellektuelle, aber auch monetäre und sexuelle Privilegien.

Dieser Schriftsteller Brussig– so erzählt es im Buch der Schriftsteller Brussig – wird in seiner Zeitschleife zum eitlen, emotional unberührbaren Liebling seiner Fans und des westdeutschen Feuilletons. Er lässt sich vom Dissidenten-Ruhm korrumpieren. So schlecht lebt es sich ja nicht, wenn die treue Leserschaft jedes Wort aufsaugt oder wenn man dank der Veröffentlichungen im Westen über ausreichend Geld und Privilegien verfügt.

taz.am Wochenende

Wir kennen die Bilder von überfüllten Flüchtlingsschiffen, die Storys von Schleusern. Aber wie sieht der Alltag einer Flucht aus? Wie verhandelt man mit Schleusern, wie genau überquert man Grenzen? In der taz.am wochenende vom 28./29. März 2015 rekonstruieren wir den Weg der drei jungen Syrer Amjad, Iyad und Osama und dokumentieren ihn mit ihren eigenen Fotos. Dazu gibt es die Multimedia-Reportage auf taz.de. Außerdem: Kann man Kinder bald nur noch in Großstädten bekommen? Wie eine Stadt um ihre Geburtsstation kämpft. Und: Ein Leben im Kornfeld. Unterwegs mit Jürgen Drews. Am Kiosk, eKiosk oder gleich .

Der Ruch des Verbotenen sorgt für so viel Attraktivität, dass niemandem auffällt, dass diesem dauerironischen Brussig längst die literarische Tiefe abhandengekommen ist. Selbst ein saftiger Spiegel-Verriss – Zitat: „die neueste Lusche der DDR-Literatur“ – sorgt nur für noch mehr Prominenz und Absatz. Gefährlich kann so einem Dissidentendichter nur der politische Umbruch werden. Aber der bleibt ja in Brussigs Fantasy-Vita aus.

Und Wagenknecht wird Nachrichtensprecherin

Was Brussig hier treibt, dieses selbstbespiegelnde Vexierspiel mit der eigenen Biografie – zurück in eine verschwundene Vergangenheit und nach vorn in die in die Unendlichkeit verlängerte DDR –, ist nicht nett. Nicht zu sich selbst, nicht zu denen, die tatsächlich eine Opferbiografie haben, nicht zu Personen der Zeitgeschichte, die Brussig kühn in die Zeiten und halluzinierten gesellschaftlichen Prozesse stellt.

Sahra Wagenknecht wird Hauptsprecherin der „Aktuellen Kamera“. Gregor Gysi wird Staatschef der DDR und Petra Pau seine Bildungsministerin. Der Journalist Alexander Osang reüssiert als Chefredakteur des Neuen Deutschland, und Wolfgang Thierse baut sich einen eigenen Verlag mit dem sprechenden Namen „Bombastus“ auf.

Aber das Ganze liest sich richtig gut weg. Brussig lügt eben intelligent, er kann das: bösartig sein. Und er schätzt das Absurde. Allein schon, wie er die sportliche Passion seiner Ehefrau fürs Seilspringen beschreibt, ist großartig. So ähnlich – als permanentes Auf-der-Stelle-Hüpfen – darf man sich die letzten Jahre der DDR vorstellen. Brussig hat ihr noch ein paar Jahre mehr geschenkt.

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