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Neuer Comic von Mikael RossGefühle ohne Farbe

Mikael Ross verwebt in seinem neuen Comic eine Coming-of-Age-Geschichte mit einer Berliner Milieustudie. „Der verdrehte Himmel“ ist ein Triumph.

Eine Jugend in Berlin-Lichtenberg in Schwarz-Weiß: Szene aus „Der verdrehte Himmel“ Comic: Mikael Ross / Avant-Verlag

Da liegt er nun im Gras, umwimmelt von Ameisen: ein menschlicher Finger. Für die Teenager Tâm und Alex, die den grausigen Fund machen, beginnt damit ein Sommer in Berlin, den sie nie vergessen werden. Ein Hitzesommer voller Abenteuer und unglaublicher Schrecken. Und für Tâm auch voller unerklärlicher Gefühle samt gehörig Liebeskummer obendrauf.

Mit seinem neuen Comic „Der verkehrte Himmel“ will der Berliner Autor und Zeichner Mikael Ross ziemlich viel. Er hat eine Coming-of-Age-Geschichte und einen rasanten, verschachtelt erzählten Thriller rund um das Thema Menschenhandel gleichzeitig verfasst. Und als ob das noch nicht ambitioniert genug wäre, versucht er sich noch an einer Milieustudie Jugendlicher im Berliner Bezirk Lichtenberg und steigt zudem tief ein in die Lebensrealität einer vietdeutschen Familie. Beim Unterfangen, das alles zusammenzubringen und glaubwürdig zu erzählen, hätte sich der Autor leicht verheben können.

Aber „Der verkehrte Himmel“, das bislang ambitionierteste Werk des preisgekrönten Ross, dessen Comics längst auch in andere Sprachen übersetzt werden, ist ein Triumph. Ross nimmt sich Zeit für seine Story, breitet sie auf 342 Seiten aus und verwendet dabei immer wieder Stilmittel des Mangas, wenn er rasante Handlungsstränge noch extra beschleunigen möchte.

Und er schafft es, seine eigentlich düstere Erzählung mit ordentlich Humor und einem ausgeprägten Faible für wirklich skurrile Charaktere anzureichern. Ross versteht es auch, mit kleinen Kunstgriffen große Effekte zu erzeugen. So wurde das ganze Buch schwarz-weiß gezeichnet. Nur auf ganz wenigen Seiten, wenn die großen Gefühle der ersten Liebe erwachen, färbt ein Rot die Panels ein.

Wunderkind der deutschen Comicszene

Mikael Ross galt schon vor „Der verkehrte Himmel“ als Wunderkind der deutschen Comicszene. Er hat das Comicstipendium des Berliner Kultursenats und den renommierten Max-und-Moritz-Preis verliehen bekommen. Er hat sich in seinen Werken beispielsweise intensiv mit Menschen mit Behinderungen beschäftigt und mit „Der Goldjunge“ Ludwig van Beethoven in dessen jungen Jahren porträtiert.

Der Comic

Mikael Ross: „Der verdrehte Himmel“. Avant-Verlag, Berlin 2024, 342 Seiten, 28 Euro

„Der verkehrte Himmel“ ist der inzwischen sechste Comic des 40-Jährigen. Man blickt dabei auf ein Werk ständiger Weiterentwicklung und einer schier grenzenlosen Themenpalette. Und hat nun einen vorläufigen Höhepunkt vorliegen, der dieser ständigen Neugier auf die unterschiedlichsten Sujets viel verdankt.

Seiner zeitweiligen Arbeit als Aushilfslehrer an der Hans-Rosenthal-Grundschule in Lichtenberg verdanke er es, so sagt er selbst in einem Interview, dass er es sich zugetraut hat, in die Welt Jugendlicher einzutauchen. Sein besonderer Dank, so stellt er es auch seinem Comic voran, gebührt all den Schülern und Schülerinnen, mit denen er es bei seinem Teilzeitjob zu tun hatte.

Seine Einblicke in eine jüngere Generation sind dabei sensibel, fein beobachtet, gerne aber auch zum Amüsement des Lesers oder der Leserin überzeichnet. Da wäre Tâms Vater, der immer seine schlauen vietnamesischen Kalenderweisheiten raushaut, während sie selbst kaum Vietnamesisch kann. Da wäre ihr Bruder Dennis, den Ross mit viel Liebe zu Heavy-Metal-Spezialwissen als Fan der beinharten Thrash-Metal Slayer zeichnet.

Spaß trotz bitterernstem Thema

Und da wären all die erzählerischen Extravaganzen, bei denen man immer wieder vergisst, es hier mit einem Thriller mit bitterernstem Thema zu tun zu haben und die einfach nur für großen Spaß beim Rezipienten sorgen. Man lernt beispielsweise Alex besser kennen, befreundet mit einer sehr viel älteren ehemaligen Schauspielerin, der später mal Geheimagent werden möchte. Oder die Kickboxerin Marina, die scharf auf Tâms Bruder ist und bei ihren Annäherungsversuchen nicht zimperlich vorgeht, was den armen Jungen ziemlich überfordert.

Comic: Mikael Ross / Avant-Verlag

Und gleichzeitig verfolgt man mit großer Spannung, wie sich nach und nach das Geheimnis rund um den gefundenen Menschenfinger löst. Der nämlich gehört Boris, einem russischen Menschenhändler, vor dem die aus Vietnam nach Berlin geschmuggelte Hoa Binh auf der Flucht ist. Und Boris, das stellt sich schnell heraus, ist jemand, mit dem man sich besser nicht anlegt.

Es gibt Menschenhandel in Berlin und Lichtenberg ist dabei ein Brennpunkt. Das, so meinte Mikael Ross in einem Gespräch, sei ein Fakt, auf den er eher zufällig gestoßen sei. Und weil er nun mal eine besondere Beziehung zu Lichtenberg hat, lag der Stoff für seine neue Graphic Novel sozusagen vor der Haustür.

Er zeigt dabei nicht nur die Grausamkeit und Skrupellosigkeit von Schleppern. Sondern schildert auch die Situation von jemandem wie Hoa Binh und ihre Beweggründe, sich ursprünglich freiwillig auf ein Monster wie Boris eingelassen zu haben. Nur die Menschlichkeit und die überschwängliche Zuneigung von Tâm kann ihr nun noch etwas Trost auf ihrer Flucht ins Ungewisse spenden.

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