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Neue buddhistische ÜbungenWeichenstörung – ohmmmm!

Fahrradfahren im Winter ist schon Wahnsinn? Ha, sagt unsere Autorin. Wer Öffis nutzt, hat jede Menge Zeit, alles übers Autofahren herauszufinden.

Die Männer vom Bautrupp sind jederzeit bereit eine Weichenstörung zu beheben Foto: Andreas Arnold/dpa

A ls ich letzte Woche ins Büro fahren wollte, regnete es ergiebig und nachhaltig. Außerdem hatte mein Mann seine 24-Stunden-Öffi-Karte vom Vortag nach erledigten Wegen zu Hause liegen lassen. Ich beschloss, trocken und überpünktlich zur Arbeit zu fahren.

Am Bahnsteig standen ungewöhnlich viele Menschen. Drei der vier hier normalerweise fahrenden S-Bahn-Linien waren ausgesetzt. Die vierte fuhr alle zwanzig Minuten. „Reparaturarbeiten an einer Weiche“. 25 Minuten ruckelte ein erster, randvoller Zug ein, begleitet von der Durchsage, dass Fahrradmitnahme wegen des „außergewöhnlich hohen Fahrgastaufkommens“ leider nicht erlaubt sei.

Wir schoben uns berlinerisch gelassen alle samt Rädern, Kinderwagen und Koffern irgendwie hinein. Und am nächsten Bahnhof wieder heraus, damit die paar Menschen, die wirklich aussteigen wollten, auch rauskamen. Beim dritten Raus-und-rein kam ich sogar zu einem Sitzplatz und holte mein Handy raus.

Seit Jahren werde ich intensiv umworben. Früher ging es vor allem um Penisverlängerungen und Investmentfonds. Inzwischen soll ich meistens meinen Gebrauchtwagen verkaufen. Auf Instagram wurde mir sogar einmal vorgeschlagen, Friedrich Merz zu folgen, weil wir angeblich ähnliche Interessen hätten. Mich freut solche Werbung immer – KI braucht offenbar noch etwas Training.

Blitzergeschichten

An diesem S-Bahn-Weichenstörungs-Tag bekam ich per Mail einen stark rabattierten Blitzerwarner angeboten. Mit „militärischer Erkennungstechnologie“ könne ich „Tausende an Bußgeldern sparen“ las ich, und endlich „selbstbewusst ohne Angst fahren“. Das klang gut. Ich googelte. Tatsächlich sind Verkauf und Besitz solcher Geräte legal. Man darf sie nur während der Fahrt nicht benutzen. Logisch. Man kauft sich so ein Gerät ja auch für zu Hause, als Netflix-Alternative, um abends chillig auf dem Sofa Blitzerpornos zu schauen. Niemand käme auf die absurde Idee, direkt im eigenen Auto die beworbene „Plug-and-Play-Einrichtung in wenigen Sekunden“ vorzunehmen.

Das wäre auch viel zu gefährlich. Im unwahrscheinlichen Fall, dass der Polizei eine solche Nutzung auffällt, drohen 70 Euro Strafe und ein Punkt in Flensburg. Das sind 45 Euro weniger als das Bußgeld für 21 Stundenkilometer zu schnell in der Ortschaft unterwegs sein.

Beste Wünsche

In der Firma kam ich nach Umsteigen mit erneutem Warten vierzig Minuten später als nach Fahrplan an. Und begegnete einem wütenden Kollegen, der, pünktlich gestartet, dank Bahn eine Stunde zu spät ankam. „Und dann muss man sich hier entschuldigen für was, das man gar nicht gemacht hat – und abends sogar noch länger bleiben!“ Er schimpfte über „all diese Idioten, die uns regieren“.

„Idioten“ zu sagen ist strafbar und kann Hausdurchsuchungen nach sich führen. Legal ist meine neu angelernte Buddhisten-Methode der guten Wünsche aus der letzten Kolumne. Während ich meinen Computer hochfuhr, wünschte ich allen Regierenden genug Weisheit und Tatkraft, um eine tragfähige Infrastruktur bereitzustellen und nachvollziehbare Gesetze und Regeln zu erlassen – damit System wie Lenkende nicht weiter an Glaubwürdigkeit und Respekt verlieren.

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Kerstin Finkelstein
Dr. phil, Expertin für Verkehrspolitik und Migration. Studium in Wien, Hamburg und Potsdam. Volontariat beim „Semanario Israelita“ in Buenos Aires. Lebt in Berlin. Fährt Fahrrad. Bücher u.a. „So geht Straße“ (Kinder-Sachbuch, 2024), „Moderne Muslimas. Kindheit – Karriere - Klischees“ (2023), „Black Heroes. Schwarz – Deutsch - Erfolgreich“ (2021), „Straßenkampf. Warum wir eine neue Fahrradpolitik brauchen“ (2020), „Fahr Rad!“ (2017).
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