Neue afrikanische Popmusik: Rumble in the Jungle
Neue Alben des nigerianischen Gitarristen Sir Victor Uweifo und der kongolesischen Band Kasaï Allstars zeigen, wie welthaltig das Spektrum afrikanischer Popmusik geworden ist.
Warum Sir Victor Uweifo, Gitarrist aus Nigeria, als Superstar bezeichnet wird, leuchtet sofort ein: Seine gitarrengetriebenen Highlife-Songs lassen sogar Sonnenstrahlen vor Neid erblassen.
Und sie wirken auf ansteckende Art optimistisch. "Meine Musik interpretiert Schallwellen", erklärt Uweifo sein Credo. "Darum klingt sie den Menschen angenehm im Ohr, in guten wie in schlechten Zeiten." Uweifo betont, dass seine Musik unpolitisch sei. Ohne die Impulse aus der Black-Power-Ära und den afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen wäre sein künstlerisches Selbstbewusstsein aber undenkbar.
Das englische Label Soundway hat sich bereits in mehreren, gut recherchierten und direkt von den Künstlern lizenzierten Compilations um nigerianische Musik verdient gemacht. Mit "Guitar-Boy Superstar" ist ihm der bisher größte Coup gelungen. Denn Uweifo ist in Europa ein Unbekannter, obwohl seine Schallplatten in Nigeria vielfach mit Gold ausgezeichnet wurden. Uweifos auf "Guitar-Boy Superstar" versammelte Songs aus der ersten Hälfte der Siebzigerjahren geben der zeitgleich entstandenen dunklen und improvisatorischen Jam-Energie von Fela Kuti eine helle, popsensible Komplimentärfarbe hinzu. Uweifo behauptet, er könne Farben in Klang übersetzen. Seine Songs feiern zum Beispiel die Muster von traditionellen nigerianischen Akwete-Gewändern. "Wenn sich jemand darin bewegt, leuchten immer andere Farbtöne auf, daran orientiere ich mich mit meinen Songstrukturen", sagt Uweifo.
Geadelt wurde der heute 67-Jährige übrigens für seine Verdienste als Friedensrichter im nigerianischen Teilstaat Edo. Er unterrichtet an der Universität von Benin City Bildhauerei. Er dichtet, gibt Ratgeberliteratur heraus, besitzt einen Fernsehsender und lässt sich auch einspannen, um für seine Region als Tourismusziel zu werben. Außerdem hat er eine "Magic Guitar" konstruiert, eine Gitarre mit eingebautem Keyboard und Rhythmusbox.
Bei aller, auch seltsamer Magie ist Uweifos Melodiosität auf der Gitarre unaufdringlich: Er lässt sein Instrument niemals kontextlos solieren, sondern bewahrt trotz filigranster Technik immer die Songform und berücksichtigt die Stärken seiner 12-köpfigen Band. Drummer und Percussionisten spielen gemütliche, aber dennoch treibende Beats, Trompeten und Saxofone treten mit Unisono-Melodien kurz aus dem Schatten. Eine Farfisa-Orgel sorgt für psychedelische Momente. Derweil unterfüttert Uweifos Leadgitarre den Comboklang mit unwiderstehlichen Licks. Seine Musik hat Uweifo als Ekassa bezeichnet. Die Beats sind abgeleitet von der Musik für die Krönungszeremonie von Oba-Priestern. Uweifo fand, diese Musik sei zu schade, um sie nur im religiösen Rahmen aufzuführen.
Die Aufnahmen von "Guitar-Boy-Superstar" sind entstanden, nachdem Uweifo der nigerianischen Hauptstadt Lagos den Rücken gekehrt hatte. Von dort aus war er Ende der Sechzigerjahre in andere afrikanische Länder, nach England und in die USA aufgebrochen und brachte Einflüsse aus Soul, Beat und Funk zurück nach Nigeria.
Solch ein Weg nach Europa war der kongolesischen Band Konono No. 1 nicht immer möglich. Für eine gemeinsame Europatour mit der amerikanischen Band Tortoise 2004 erhielten sie etwa keine Visa. Doch immerhin gibt es jetzt in der von ihnen mitbegründeten Reihe "Congotronics" einen neuen Tonträger ihrer Kollegen Kasaï Allstars. Bedenkt man die jüngere Geschichte der Republik Kongo, ist "In the 7th Moon, the Chief Turned into a Swimming Fish and Ate the Head of His Enemy by Magic" ein Schritt nach vorn. Die 25 Musiker gehören verschiedenen Ethnien an. Manche liegen miteinander im Clinch. Unterschiedliche Sprachen und Kulturen haben die Musiker aber nicht davon abgehalten, ihre Geschicke miteinander zu verknüpfen und durch ihre musikalischen Harmonien Einheit zu demonstrieren.
Wobei ihr Bandname auf jüngere Ereignisse Bezug nimmt. Kasaï ist eine Region im Kongo, in der es Diamantenvorkommen gibt. In den Zeiten des Bürgerkriegs hat kongolesische Musik nur noch dort floriert, denn die Bewohner Kasaïs fuhren regelmäßig in die Hauptstadt Kinshasa, um Diamanten zu verkaufen, und nahmen die Musik als Kaufanreiz mit. Wenn "In the 7th Moon, the Chief Turned into a Swimming Fish and Ate the Head of His Enemy by Magic" Geldbörsen lockermacht, dann allerdings, weil ihre Besitzer durch die brachiale Musik in Trance versetzt werden.
Kasaï Allstars - die Band beschäftigt alleine neun Sänger - haben sich auf tribalistische Chants spezialisiert. Das können fiebrige Chorgesänge sein, die, von allen angestimmt, aus der Musik herausschießen, wie Giftpfeile, aber auch mesmerisierende Frage-und-Antwort-Spiele einzelner Sänger mit dem Chor, die sich längs der Melodien schlängeln. Die Musik wird von einem durchgehenden, Dancefloor-artigen Beat aufgepolstert. Er ist schwergängig, durch den Einsatz verschiedenster Percussion polyrhythmisch und wirkt als Ganzes archaisch. Gerade deshalb würde er jedes aufgeklärte Deephouse-Set veredeln.
Interessant sind Kasaï Allstars auch durch ihre Instrumentierung: Sie verwenden sogenannte Likembe, Daumenklaviere, die sie durch selbstgebaute, aus Autoradio- oder billigen Lautsprechern bestehende Verstärker jagen. Dadurch in Killermaschinen verwandelt, entsteht im Zusammenspiel der Daumenklaviere mit E-Gitarren und Bässen ein ungewöhnlicher D-i-Y-Sound. "Das ist die Klangwelt von Verzerrer-Zombies, die gekommen sind, um uns zu aufzufressen", schreibt der Rezensent des US-Magazins Pop-Matters tief beeindruckt. Die Euphorie, die die Musik der Kasaï Allstars versprüht, ist so respekteinflößend wie ihre Kraft und ihre, auch düstere Klangsignatur. Hoffentlich lassen sich damit die Schrecknisse der Vergangenheit vertreiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern