Neue TV-Serie über britische Königin: Königin Chaos
„My Lady Jane“ ist auf den ersten Blick nur eine weitere Königshaus-Serie – auf den Zweiten eine gelungene Girlpower-Komödie.
So massiv war in den zurückliegenden Jahren die Flut historischer Geschichten auf dem Bildschirm, dass man eigentlich das Gefühl hatte, sämtliche Personen, die je auf dem britischen Thron saßen, seien als Serienstoff mittlerweile abgearbeitet. Teilweise sogar mehrfach.
Doch siehe da: Die britische Produktion „My Lady Jane“, neu zu sehen bei Prime Video, wurde doch noch fündig auf der Suche nach einer unverbrauchten Protagonistin und widmet sich Jane Grey, auch bekannt als Neuntagekönigin.
Man erinnert sich an die kurz nach ihrer schnellen Absetzung geköpften Frau mit der kürzesten Regentschaft der englischen Geschichte heute vor allem als „ultimative Jungfrau in Nöten“, heißt es in den ersten Minuten der Serie aus dem Off. Nur um hinterherzuschieben: „F*ck that! Was wenn die Geschichte anders wäre?!“
Dass es in diesen acht von Gemma Burgess erdachten Episoden nicht um eine realistische Darstellung des 16. Jahrhunderts geht, ist von Beginn an etabliert. In der ersten Szene versucht Jane (Emily Bader) mit ihrem Interesse für die Heilkraft von Wildkräutern, die Geschlechtskrankheit einer ihrer Mägde zu heilen. Reichlich Geplauder über Vaginen und Penisse inklusive, weder ladylike noch historisch korrekt.
„My Lady Jane“, ab sofort auf Prime Video
Auch unverschämt sexy
Jane – intellektuelle Rebellin und Nervensäge – ist eine Cousine des kranken Königs Edward VI. (Jordan Peters) und auf dem Heiratsmarkt eine gute Partie. Ihrer Mutter (Anna Chancellor) kommt das entgegen, ist die Familie nach dem Tod des Patriarchen doch mittellos, sodass eine Ehe mit einem Spross aus dem bei Hofe einflussreichen Hause Dudley die Rettung sein könnte.
Dass Jane auf ein solches Arrangement keine Lust hat, versteht sich von selbst. Der fesche junge Mann (Edward Bluemel), der eines Abends in einem Pub ihre Aufmerksamkeit erregt und nicht nur ausgesprochen dreist, sondern auch unverschämt sexy ist, interessiert sie umso mehr.
Da traditionelle Geschichtsbücher keine Spoiler parat halten und die als Vorlage dienende Romanreihe von Brodi Ashton, Cynthia Hand und Jodi Meadows hierzulande wenig bekannt ist, möchte man all die Überraschungen, mit der die Handlung aufwartet, nicht verraten.
David Bowies und Soft Cell
Klar ist von Beginn an, in welche Richtung es geht. Trotz des revisionistischen „Was wäre, wenn“-Blicks auf historische Fakten, einer guten Portion Diversität in der Besetzung zumindest der Nebenrollen und dem Einsatz offensichtlicher Popsongs wie David Bowies „Rebel Rebel“ oder „Tainted Love“ von Soft Cell ist die Serie kein „Bridgerton“-Abklatsch. Statt schwülstiger Seifenoper will man, ähnlich wie schon „Dickinson“ oder „Renegade Nell“, eine feministisch angehauchte Girlpower-Komödie im historischen Gewand sein.
Nebenbei ist „My Lady Jane“ auch noch ein Fantasyabenteuer, in dem sich ein Großteil der Figuren als Gestaltenwandler*innen entpuppt, die aufgrund ihrer animalischen Seite gesellschaftliche Außenseiter*innen sind und aus dem Untergrund heraus die Obrigkeit bekämpfen.
Eine gewisse Identitätskrise darf man der Serie in dieser wilden Mischung durchaus attestieren. Oder zumindest mangelnden Fokus – und ein fehlendes Vertrauen in die eigenen Stärken.
Obwohl „My Lady Jane“ nie so böse und sexy wie „Mary & George“ oder so smart und komisch wie „The Great“ ist, und auch wenn der hip-freche Humor manchmal bemüht wirkt, bietet die Serie schwungvolle Unterhaltung.
Wer Spaß daran hat, wenn Kostümfilmklischees und RomCom-Konventionen durch den Kakao gezogen werden und nebenbei Millenial-Sprech aufs Korn genommen wird, kommt hier – auch dank der sympathischen Hauptdarstellerin sowie wunderbaren Auftritten von Anna Chancellor oder Rob Brydon als Lord Dudley aller Plumpheit an anderen Stellen zum Trotz – auf seine Kosten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Israel und Hisbollah
Waffenruhe tritt in Kraft
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich