Neue Spezialambulanz für Traumatherapie: Mit den Triggerpunkten leben lernen

Die Versorgung traumatisierter Pa­ti­en­ten ist lückenhaft, es fehlen Therapieplätze und Wartezeiten sind lang. In Hamburg gibt es ein neues Angebot.

Eine Mitarbeiterin des Psychosozialen Zentrums für Migratinnen und Migranten in Magdeburg zeigt ein "Familienbrett", das neben weiteren Methoden zur Therapie eingesetzt wird.

Viele Betroffene verdrängen Traumatisches und warten dann noch mal lange auf einen Therapieplatz Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

HAMBURG taz | Viele Menschen, die traumatische Erlebnisse machen mussten, warten oftmals sehr lange, bis sie einen Therapieplatz finden. Die Medical School Hamburg (MSH) hat im April dieses Jahres eine Spezialambulanz für Traumatherapie eingerichtet, um geeignete, evidenzbasierte Behandlungsmethoden für Betroffene anzubieten und die Traumaforschung voranzutreiben.

Traumata entstehen durch einschneidende Erlebnisse wie Tod, lebensbedrohliche Situationen oder sexuelle und körperliche Gewalt. Betroffene traumatischer Erfahrungen leiden im Nachgang häufig unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

Viele erleben belastende Erinnerungen an das Ereignis immer und immer wieder – sei es im Alltag, indem sich unschöne Bilder aufdrängen oder durch Albträume, die sie kaum schlafen lassen. Oftmals führt die traumatische Erfahrung dazu, dass Betroffene diejenigen Orte oder Situationen meiden, die sie an das Erlebte erinnern.

Viele litten zudem unter einer starken, körperlichen Überreizung wie Anspannung, schlechter Konzentration und Schlafstörungen, erklärt Meike Müller-Engelmann, die Leiterin der neuen Spezialambulanz und Professorin für Psychotherapie an der MSH. Gefühle wie Scham, Trauer und Wut würden den Alltag der Betroffenen begleiten.

Symptome schwer einzuordnen

„Anfangs können viele Betroffene ihre Symptome nicht einordnen und denken, dass sie verrückt werden, dass mit ihnen irgendetwas nicht stimmt“, erklärt Müller-Engelmann. Ungefähr ein Drittel leide unter chronischen Verläufen, die ihr Leben stark beeinträchtigten. Meist seien sie weniger leistungsfähig, verunsichert oder immer wieder mit Triggerpunkten konfrontiert, die sie an das Erlebte erinnerten.

Viele Betroffene begeben sich allerdings erst nach Jahren in therapeutische Behandlung, weil sie die Erinnerungen einfach nur verdrängen möchten. Hier spiele auch das Umfeld eine große Rolle, erklärt die Professorin: „Wenn den Betroffenen viel Unverständnis entgegengebracht wird, verschlimmert das in der Regel die Symptomatik und erhöht die Barriere, sich Hilfe zu holen.“

Fehlende Therapieplätze

Gleichzeitig sind fehlende Therapieplätze und lange Wartezeiten entscheidende Faktoren dafür, dass die Versorgung traumatisierter Pa­ti­en­t*in­nen so lückenhaft ist. Besonders fehle es an Therapieplätzen, die „wirklich auf Trauma fokussiert und spezialisiert sind“. Meist würden The­ra­peu­t*in­nen Betroffenen nur Strategien vermitteln, um mit der Anpassung und dem Stress umgehen zu können.

Diese Versorgungslücke möchte die Spezialambulanz jetzt füllen: Betroffene können hier therapeutische Behandlungsmethoden wahrnehmen, die wissenschaftlich anerkannt sind und sich an den aktuellen S3 Leitlinien zur Behandlung von PTDS orientieren. Im Zentrum dieser Leitlinien stehen traumafokussierte Behandlungen, die sich der Verarbeitung und Bedeutung des Erlebnisses zuwenden – und eben nicht nur einen Umgang damit vermitteln.

Die Spezialambulanz bietet laut Müller-Engelmann „ein integratives Behandlungskonzept, das sich aus verschiedenen, evidenzbasierten Therapien zusammenfügt, die wir individuell an den jeweiligen Fall anpassen und kombinieren“. Gleichzeitig möchte man die Versorgung traumatisierter Pa­ti­en­t*in­nen langfristig verbessern, indem neue Behandlungsmethoden erforscht werden.

Insgesamt 14 Therapeutinnen und Therapeuten, die entweder bereits eine Approbation besitzen oder sich in der psychotherapeutischen Ausbildung an der MSH befinden, arbeiten zurzeit an den zwei Standorten der Ambulanz. In Zukunft soll es weitere Anstellungen geben.

Je nach Art, Schwere und Komplexität der Symptomatik erarbeitet die Hochschulambulanz Konzepte, die für das individuelle, traumatische Erlebnis der Pa­ti­en­t*in­nen am besten geeignet sind. Eine dieser Methoden ist die „Cognitive Processing Theory“, die sich auf die Verarbeitung des Traumas konzentriert. Dafür werden Gedanken und persönliche Wahrnehmungen des Traumas bearbeitet, ohne dass sich Pa­ti­en­t*in­nen direkt mit ihrem Trauma auseinandersetzen müssen.

Ambulanz entscheidet, wer aufgenommen wird

Über einen Anmeldebogen können sich Betroffene, die gesetzlich versichert sind, für einen Therapieplatz melden. Das Angebot richtet sich an deutschsprachige Menschen, bei denen eine posttraumatischen Belastungsstörung diagnostiziert wurde – für Dol­met­sche­r*in­nen würde die Finanzierung der MSH nicht ausreichen.

Ein unsensibles Umfeld verstärkt die Symptome und erhöht die Barriere, sich therapeutische Hilfezu holen

Die Behandlung übernimmt die Krankenkasse. Betroffene, die beispielsweise akut suizidgefährdet oder untergewichtig sind, werden in das Programm nicht aufgenommen, weil die Auseinandersetzung mit persönlichen Erlebnissen eine gewisse Stabilität voraussetzt.

Nach einem ersten Einzelgespräch entscheidet die Ambulanz, wer in das Programm aufgenommen wird. Darauf folgen diagnostische Interviews, die die Behandlungsmethoden festlegen und über den Therapieverlauf überprüft werden, um Pa­ti­en­t*in­nen bestmöglich zu betreuen und zu begleiten.

Die Trauma-Ambulanz kooperiert zudem mit Psych­ia­te­r*in­nen und Klinken, um auch Patient*innen, die eine medikamentöse Behandlung benötigen, betreuen zu können. Das sei zwar nicht die Behandlung der Wahl, „aber manchmal hilft das natürlich, um Symptome wie Schlaf- oder Konzentrationsstörungen zu reduzieren und den Betroffenen zu ermöglichen, sich auf die Therapie einzulassen“, erklärt Müller-Engelmann.

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