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Neue Sendung „Klar“Der Macht nachplappern

Ein neues Format von NDR und BR presst alle spaltenden Erzählungen zum Thema Migration in 45 Minuten. Dabei nennt es sich auch noch „Klar“.

Glanzpunkt der deutschen Geschichte, heute nicht mehr erwünscht: Willkommen in Frankfurt im September 2015 Foto: dpa

Wenn jemand behauptet, „Klartext“ zu sprechen, sollte man misstrauisch werden. Wer „Klartext“ sprechen möchte, gibt zu, sonst nicht „Klartext“ zu sprechen. Oder suggeriert, dass andere nicht „Klartext“ sprechen würden. Man bezichtigt also sich oder andere der Lüge. Deswegen sollte man alles, was auf „Klartext“-Aussagen folgt, erst einmal grundsätzlich in Zweifel ziehen.

Das gilt auch für das neue Format „Klar“ von NDR und BR. Dort versprechen sie zwar nicht wörtlich „Klartext“, aber zwischen den Zeilen. In seiner ersten Folge widmet sich das Team dem Thema „Illegale Migration“. Das eignet sich für ein „Klartext“-Format natürlich besonders gut – denn hier herrscht seit jeher die Erzählung, dass „das Volk“ von Politik und Medien angelogen werde. Dass Probleme verschwiegen würden, dass Po­li­ti­ke­r:in­nen nicht die Wahrheit sagen würden. Das stimmt auch – nur anders, als es AfD und Co. (und auch „Klar“) glauben machen wollen.

„Was jetzt kommt, wird vielleicht nicht jedem gefallen“: Das sind die ersten Worte der Moderatorin. Sie setzen den Ton. Denn es geht nicht darum, ein Thema journalistisch zu beleuchten; es geht darum, alle spaltenden Erzählungen, die es zum Thema Migration gibt, in 45 Minuten zu pressen, und das mit der Behauptung zu rechtfertigen, man spreche eben „Klartext“. Man habe den Mut zur „Wahrheit“. Der Trick bei derlei Aussagen: Sie werfen allen Kri­ti­ke­r*in­nen schon im voraus vor, Probleme zu verschweigen.

Inhaltlich kann man sich also vorstellen, was NDR und BR in der Sendung zeigen – die altbekannten Erzählungen, die die Bundesrepublik seit Jahrzehnten begleiten: „Migranten“ bringen Kriminalität, Gewalt und Tod.

Aus dem Standard-Repertoire

Im Jahr 1966 titelte eine Kölner Boulevardzeitung nach einer Serie von Gewalttaten, dass die „Gastarbeiter“ Köln in ein „Chicago am Rhein“ verwandeln würden. Die Bild-Zeitung schrieb 1967 über eingewanderte Menschen: „Sie halten Frauen wie Kamele“. Die Idee, „Klartext“ zu sprechen, hatten allem Anschein nach auch schon andere. Besonders neu ist das, was „Klar“ da erzählt, also nicht. Auch öffentlich-rechtliche Formate wiederholen diese Erzählungen seit Jahrzehnten rauf und runter. Allerdings in der Regel ohne das „wir sagen das, was andere sich nicht trauen“-Prädikat.

Im Prinzip ist die Sendung also nicht mehr als eine konzentrierte Aneinanderreihung von Spaltungserzählungen – die „bösen“ Migranten gegen die „guten“ Deutschen. Wobei der obligatorische Satz, dass natürlich nicht alle Migranten schlecht sind, nicht fehlen darf. Auch das gehörte schon in den 1960er Jahren zum Standard-Repertoire vieler Medien: Sie stellten „den Gastarbeiter immer wieder als Messerstecher und Gewalttäter“ dar, während sie gleichzeitig auf die Statistik verwiesen und erklärten, der „Vorwurf, die ausländischen Arbeitskräfte neigten besonders zur Kriminalität“, sei ein „Vorurteil“, heißt es in einem Standardwerk der Politikwissenschaftlerin Karen Schönwälder.

Das bedeutet nicht, dass Menschen nicht abgeschoben werden sollen, wenn sie Verbrechen begehen; dass Migration nicht kontrolliert werden darf. Genau diese Naivität wird Kri­ti­ke­r:in­nen der Asylpolitik stets vorgeworfen, auch in „Klar“. Das sind Nebelkerzen. Wir wollen Probleme lösen, die anderen nicht, so das Narrativ dahinter. Mit der Realität hat das freilich nichts zu tun.

Unter der Agenda der Sendung leidet auch der journalistische Standard. Denn was die üblichen Migrationserzählungen tatsächlich brauchen könnten, wäre eine machtkritische Analyse und nicht das Nachplappern von Erzählungen der Macht.

Schon seit Jahrzehnten dienen Migrationsdebatten und das Projizieren gesellschaftlicher Probleme auf eingewanderte Menschen dem Verschieben politischer Verantwortung. Es wird so getan, als würde das Schließen von Grenzen Gewalt verhindern, als würde es das Wohnraum- oder das Bildungsproblem lösen, die schlechte Verwaltung verbessern und heruntergekommene Stadtviertel aufblühen lassen.

Mithilfe solcher Erzählungen können sich Po­li­ti­ke­r:in­nen schon seit Jahren von Verantwortung freimachen. Das wäre die Wahrheit, von der „das Volk“ erfahren sollte. Wahrheit scheint aber nicht das Ansinnen von „Klar“ gewesen zu sein.

Anm. der Red.: In einer früheren Version dieses Textes blieb unerwähnt, dass „Klar“ nicht nur eine Sendung des NDR, sondern auch des BR ist. Zudem konnte interpretiert werden, dass die Sendung selbst wörtlich von „Klartext“ spricht.

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18 Kommentare

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  • Ich muss meinen vorherigen Kommentar zurückziehen. Ich hatte beim ersten Überfliegen den Artikel falsch interpretiert und stimme nun aber zu. Vielen Dank

  • Höchstes Lob für einen Journalisten mit Mumm! Mit Daniel Broeckerhoff distanziert sich ein renommierter freier NDR-Mitarbeiter von dieser Sendung. Der Grund: rechtspopulistische Takes werden in Klar normalisiert

    www.threads.net/@doktordab

    Abgefeiert wird die Politik von MP Daniel Günther und einem CDU-Staatssekretär in BW.

    Die taz fast mit "Der Macht nachplappern" wunderbar den politischen Anspruch von NDR und BR bei politischer Berichterstattung zusammen! Hauptsache die verantwortlichen Chefredakteure sitzen warm und trocken. Devote Berichterstattung gegenüber der Politik sichert ihnen die nächste Vertragsverlängerung, war schon die Vorausetzung, um Karriere in diesem System zu machen.

  • Ein Viertel seiner Sendezeit widmet die Sendung dem Vater, dessen Tochter von einem psychisch labilen Migranten ermordet wurde. Dagegen ist nichts zu sagen, wenn die Kommentare des Vaters über das "Versagen des Staates" mit Komplexität angereichert würden.

    Subtil wird der Spin gesetzt, wer Schuld an dem Missstand hat: die Vorsitzende der jungen Grünen, die gefragt wird: "was sagen sie Eltern, die durch eine Messerattacke eines Migranten ums Leben kamen?", worauf die in die Enge getriebene Politikerin antwortet: "Was sage ich den Frauen, die letztes Wochenende von ihrem eigenen Vater umgebracht wurden? Was sage ich denen? Warum ist das keine Debatte?... Kinder werden nicht mehr von Migranten ermordet als von deutschen Vätern!"

    Dass kommentiert die Redaktion so: "der Vergleich geht an der Sache vorbei. Natürlich gibt es auch deutsche Straftäter und Mörder, aber traumatisierte Asylbewerber belasten die Gesellschaft ZUSÄTZLICH".

    Dass kann man mit Fug und Recht manipulativen Journalismus nennen, denn dieses Argument hätte die Autorin des Beitrages im Interview der Grünenpolitikerin vorhalten müssen und nicht als Faktum darstellen dürfen, welches die Argumentation verfälscht.

    • @Lindenberg:

      Vielen Dank für die Beschreibung (zumindest eines Teils) des Inhalts. Danach habe ich im Artikel leider vergeblich gesucht ...

  • Klartext sprechen Zahlen, Daten, Fakten, z. B. die Kriminalstatistik 2024.

    SPIEGEL: "Die Zahl der erfassten Gewalttaten ist erneut gestiegen

    * So stiegen etwa gefährliche und schwere Körperverletzungen in diesem Zeitraum um insgesamt fast elf Prozent.







    * Rund 29.000 Straftaten wertete die Polizei 2024 als »Messerangriffe«.

    * Besonders deutlich war im vergangenen Jahr erneut der Anstieg der Gewaltkriminalität bei Minderjährigen , mit einer Zunahme der Verdächtigen um 11,3 Prozent bei Kindern und 3,8 Prozent bei Jugendlichen.

    * Deutlich gestiegen ist mit einer Zunahme von 9,3 Prozent auch die Zahl der Vergewaltigungen, schweren sexuellen Übergriffe oder Nötigungen."

    www.spiegel.de/pan...-b885-a1f22655cf67

    und

    SPIEGEL: "Kommunen melden Rekorddefizit wegen hoher Sozialausgaben"

    www.spiegel.de/wir...-875c-9f40d82c3934

    und

    Wohnraumnot und Mietsteigerungen ohne Ende.

    Bei einer Fertilitätsquote von 1,35 seit 50 Jahren.

  • Ich habe an dem Artikel eigentlich wenig auszusetzen aber:

    Wer „Klartext“ sprechen möchte, gibt zu, sonst nicht „Klartext“ zu sprechen. Oder suggeriert, dass andere nicht „Klartext“ sprechen würden. Man bezichtigt also sich oder andere der Lüge."

    Das ist gar nichts außer semantischem Nonsens.

    • @Kassenclown:

      Guter Punkt - finde diesen Eingang über "Klartext" auch Unsinn. Ja der Begriff wird vor Rechten genutzt, das Wort "Klar" lehnt sich an .... Deshalb nutze ich das erste Wort ungern die Argumente Eingangs greifen dennoch daneben.

      Wer ganz undiplomatisch mal ne Faktenlage äussert macht etwas "klar" wie Klosbrühe oder spricht eben Tacheles .... Die aufklärende Funktion liegt auf der Hand.

      Demagogen behaupten natürlich auch aufzuklären während sie tatsächlich nur ausgewählte Fakten durch ihren ideologischen Filter belichten. Genau das geschieht nun in der BR NdR Doku, Fakten tendenziös selektiert und inszeniert um einen rechten Adressatenkreis zu bestätigen .... Bzw. Um Zweifelnde angeblich mit 'klaren' Fakten nach rechts zu ziehen ....

      So ein Format wiederspricht dem öffentlich rechtlichen Auftrag der Sender. Aufklärung geht anders.

  • Aber ist es nicht auch wichtig, dass die andere Seite im ÖRR Platz findet? Es gibt sehr viele linke Programme im ÖRR. Seien wir gnädig. Ansonsten zerreißt es D.

    • @casio:

      D zerreisst es eher durch diese primitive Spaltung, die gewisse Medien und Parteien wissentlich betreiben.

  • Ich habe die besagte Sendung nicht gesehen, sie interessiert mich auch nicht. Ganz klar: Das „Klartext“-Geschwafel (sic!) ist äußerst dööflich, eignet sich aber, wie auch andere Nullaussagewörter, sehr gut für Diskurse, die sich munter im Kreise drehen, gerne auch jahrzehntelang. Hin und wieder ein lichterer Moment, in dem die Erkenntnis mal kurz durchscheint, es bewege sich da ja nichts zum Besseren (ja, warum wohl). Aber selbst das ist dann bald wieder vergessen, schließlich will sich ja z.B. keine Talkshow ihrer sehr oft sehr beschränkt gestellten Themen und Fragen berauben. Jan Böhmermann veralberte mal die typischen „Hart aber fair“-Aufhänger mit „Punkt, Punkt, Komma, Strich - wie fertig ist das Mondgesicht wirklich?“

  • Das Inhaltliche ist das eine, für das Andere - meine Vermutung - machen wir eine Wiedervorlage in 10 und 15 Jahren: Julia Ruhs darf hier zeigen, dass sie den richtigen Ton trifft, wird mit weiteren Aufgaben betraut und wenn sie auch da den wichtigsten Protege bayerischer Chefkommentatoren - die Staatskanzlei - überzeugt, sehen wir sie dann in "verantwortungsvoller" Position im BR wieder.

  • Bemerkenswert ist immer wieder, dass die Rechten unablässig behaupten, der ÖRR würde nur linke Ideologie verbreiten, dabei reproduziert oft rechte Narrative und Themen.

  • Jetzt müssen wir uns mal ehrlich machen, denn zur Wahrheit gehört auch, dass ich hier mal Klartext sprechen muss

  • Vorauseilender Gehorsam der „Lügenpresse“, AfD und andere werfen ja ständig den „Systemmedien“ vor, man verschweige die Wahrheit über Migration, also macht man vorsorglich Männchen vor den Rechten.



    Das Diskussionsklima ist zu dieser Thematik derart vergiftet, dass eine sachliche, an der Realität orientierte Diskussion kaum mehr möglich ist. Merz etwa nimmt die fallenden Zahlen nur kurz zur Kenntnis um im nächsten Satz die Zurückweisung (wie auch immer) an den Grenzen zu versprechen. Nahezu jede Härte ist recht, leider wird die Politik der neuen Regierung da keine Versachlichung bringen, mit der AfD im Nacken schwenkt man weiter nach rechts, leider.

  • Genau Frau Sahebi! Ich fürchte das ist erst der Anfang der neuen Koalition unter Merz, der ja schon bewiesen hat, wie AfD afin er hetzen kann. Es muss eine Klare Machtanalyse her,sowie ein Diskurs, der die soziale Frage als Demokratiefrage gegen die Illusion nationaler Rahmen klärt. Wir sehen ja, dass die Ökonomie ind Finanzialisierung alles treibt und derzeit die Fossilen Machthaber, allesamt patriarchale meist autokratische Regime, die mit den reaktionären theokratischen Anteilen ihrer jeweiligen Religionsstrukturen zusammen den Rückwärtsgagn eingelegt haben. Dass diese rechtsextreme Hetzokratie im sozialen massive bürokratisch ausagierte affektive Autoimmun Prozesse in Gang setzt zeigte sich an dem Ausweisungsplänen des kolumbianischen Pflegeteams in dem Demenz Heim neulich.Ich glaube die Petition gegen deren Abschiebung hat diese gerade noch verhindert. Ohne Migration keine Kultur, keine Demokratie, kein funktionsfähiges Gesundheits und sozial System mehr...Es brauch eine klar Menschenrechtsfokussierte Migrationspolitik, denn : Migrationspolitik gab es kaum je,ein bischen hatte die Ampel Rechte geschaffen,leider will Merz die abschaffe, Dazu nun rassistische TV Hetze.Krass!

  • Klartext ist so ähnlich wie "Augenhöhe". Asymmetrie wird mit dem Begriff verschleiert. Wer den Begriff kontrolliert, übernimmt Macht durch Mandat.



    Horkheimer und Adorno:



    "Wenn an einem Tag die deutschen Faschisten ein Wort wie »untragbar« durch die Lautsprecher lancieren, sagt morgen das



    ganze Volk »untragbar«." (D.d.A, Kulturindustriekapitel)

  • So ärgerlich, diese Formate.



    Danke, wie gut sie analysieren, was diese Multiplikation der immer gleichen Vorurteile bewirkt.



    Bzw, noch schlimmer, NICHT bewirkt, nämlich einen entkrampften Umgang mit den tatsächlichen Problemen Wohnungsnot, Mietpreisexplosion, Bildungsmisere und und und.

  • Offenbar hat Fr. Sahebi in der Sendung keine Falschaussage finden können, sonst stünde hier ein Faktencheck ...