Neue Sendung „Klar“: Der Macht nachplappern
Ein neues Format von NDR und BR presst alle spaltenden Erzählungen zum Thema Migration in 45 Minuten. Dabei nennt es sich auch noch „Klar“.

Wenn jemand behauptet, „Klartext“ zu sprechen, sollte man misstrauisch werden. Wer „Klartext“ sprechen möchte, gibt zu, sonst nicht „Klartext“ zu sprechen. Oder suggeriert, dass andere nicht „Klartext“ sprechen würden. Man bezichtigt also sich oder andere der Lüge. Deswegen sollte man alles, was auf „Klartext“-Aussagen folgt, erst einmal grundsätzlich in Zweifel ziehen.
Das gilt auch für das neue Format „Klar“ von NDR und BR. Dort versprechen sie zwar nicht wörtlich „Klartext“, aber zwischen den Zeilen. In seiner ersten Folge widmet sich das Team dem Thema „Illegale Migration“. Das eignet sich für ein „Klartext“-Format natürlich besonders gut – denn hier herrscht seit jeher die Erzählung, dass „das Volk“ von Politik und Medien angelogen werde. Dass Probleme verschwiegen würden, dass Politiker:innen nicht die Wahrheit sagen würden. Das stimmt auch – nur anders, als es AfD und Co. (und auch „Klar“) glauben machen wollen.
„Was jetzt kommt, wird vielleicht nicht jedem gefallen“: Das sind die ersten Worte der Moderatorin. Sie setzen den Ton. Denn es geht nicht darum, ein Thema journalistisch zu beleuchten; es geht darum, alle spaltenden Erzählungen, die es zum Thema Migration gibt, in 45 Minuten zu pressen, und das mit der Behauptung zu rechtfertigen, man spreche eben „Klartext“. Man habe den Mut zur „Wahrheit“. Der Trick bei derlei Aussagen: Sie werfen allen Kritiker*innen schon im voraus vor, Probleme zu verschweigen.
Inhaltlich kann man sich also vorstellen, was NDR und BR in der Sendung zeigen – die altbekannten Erzählungen, die die Bundesrepublik seit Jahrzehnten begleiten: „Migranten“ bringen Kriminalität, Gewalt und Tod.
Aus dem Standard-Repertoire
Im Jahr 1966 titelte eine Kölner Boulevardzeitung nach einer Serie von Gewalttaten, dass die „Gastarbeiter“ Köln in ein „Chicago am Rhein“ verwandeln würden. Die Bild-Zeitung schrieb 1967 über eingewanderte Menschen: „Sie halten Frauen wie Kamele“. Die Idee, „Klartext“ zu sprechen, hatten allem Anschein nach auch schon andere. Besonders neu ist das, was „Klar“ da erzählt, also nicht. Auch öffentlich-rechtliche Formate wiederholen diese Erzählungen seit Jahrzehnten rauf und runter. Allerdings in der Regel ohne das „wir sagen das, was andere sich nicht trauen“-Prädikat.
Im Prinzip ist die Sendung also nicht mehr als eine konzentrierte Aneinanderreihung von Spaltungserzählungen – die „bösen“ Migranten gegen die „guten“ Deutschen. Wobei der obligatorische Satz, dass natürlich nicht alle Migranten schlecht sind, nicht fehlen darf. Auch das gehörte schon in den 1960er Jahren zum Standard-Repertoire vieler Medien: Sie stellten „den Gastarbeiter immer wieder als Messerstecher und Gewalttäter“ dar, während sie gleichzeitig auf die Statistik verwiesen und erklärten, der „Vorwurf, die ausländischen Arbeitskräfte neigten besonders zur Kriminalität“, sei ein „Vorurteil“, heißt es in einem Standardwerk der Politikwissenschaftlerin Karen Schönwälder.
Das bedeutet nicht, dass Menschen nicht abgeschoben werden sollen, wenn sie Verbrechen begehen; dass Migration nicht kontrolliert werden darf. Genau diese Naivität wird Kritiker:innen der Asylpolitik stets vorgeworfen, auch in „Klar“. Das sind Nebelkerzen. Wir wollen Probleme lösen, die anderen nicht, so das Narrativ dahinter. Mit der Realität hat das freilich nichts zu tun.
Unter der Agenda der Sendung leidet auch der journalistische Standard. Denn was die üblichen Migrationserzählungen tatsächlich brauchen könnten, wäre eine machtkritische Analyse und nicht das Nachplappern von Erzählungen der Macht.
Schon seit Jahrzehnten dienen Migrationsdebatten und das Projizieren gesellschaftlicher Probleme auf eingewanderte Menschen dem Verschieben politischer Verantwortung. Es wird so getan, als würde das Schließen von Grenzen Gewalt verhindern, als würde es das Wohnraum- oder das Bildungsproblem lösen, die schlechte Verwaltung verbessern und heruntergekommene Stadtviertel aufblühen lassen.
Mithilfe solcher Erzählungen können sich Politiker:innen schon seit Jahren von Verantwortung freimachen. Das wäre die Wahrheit, von der „das Volk“ erfahren sollte. Wahrheit scheint aber nicht das Ansinnen von „Klar“ gewesen zu sein.
Anm. der Red.: In einer früheren Version dieses Textes blieb unerwähnt, dass „Klar“ nicht nur eine Sendung des NDR, sondern auch des BR ist. Zudem konnte interpretiert werden, dass die Sendung selbst wörtlich von „Klartext“ spricht.
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