Neue Senatsbaudirektorin in Berlin: Vorwärts in die Vergangenheit
Petra Kahlfeldt ist künftig für Architektur in Berlin zuständig. Sie steht für Retro-Bauen. Architekten werten die Berufung als Kampfansage.
E in Säulchen da, ein Ziergiebelchen dort, dazu noch ein Simschen – und fertig ist die Kahlfeldt-Villa. Wer sich das antun möchte, werfe einen Blick auf die Seite des Büros von Petra und Paul Kahlfeldt. Aber Achtung, Triggerwarnung: Das Betrachten dieser Bilder könnte den guten Geschmack verletzen.
Doch Scherz beiseite. Was bislang – wie das Adlon von Jürgen Patzschke – allenfalls eine Randnotiz im Architekturgeschehen der Hauptstadt war, könnte nun zum ästhetischen Programm der zwanziger Jahre werden. Denn Petra Kahlfeldt, 61, ist neue Senatsbaudirektorin in Berlin. Ernannt hat sie der künftige Bausenator Andreas Geisel (SPD).
Retro-Freunde jubeln
Die Retro-Freunde jedenfalls sind schon in Jubel ausgebrochen. Denn die in Kaiserslautern geborene Kahlfeldt steht nicht nur für Luxusvillen im Look des 19. Jahrhunderts, sondern auch für die Kopie historischer Stadtquartiere wie am Alten Markt in Potsdam. Auch in die Debatte um eine mögliche Rekonstruktion der verlorenen Altstadt rund um die Marienkirche hatte sie sich eingemischt: „Berlin hätte durch die Wiederbebauung der historischen Mitte die Gelegenheit, seine Vergangenheit neu zu bedenken“, lautete ihr Credo.
Zwar ist eine Neuauflage der Debatte um einen Wiederaufbau von Alt-Berlin am Rathausforum durch das langjährige Beteiligungsverfahren inklusive Beschluss des Abgeordnetenhauses hoffentlich vom Tisch. Für Folgeprojekte wie die Rekonstruktion des Molkenmarktes aber steht nichts Gutes zu befürchten. Es könnte jenes Quartier werden, an dem sich die rückwärtsgewandte Zunft austoben könnte wie rund um den Neumarkt in Dresden oder die „Neue Frankfurter Altstadt“ nahe des Römer. Berlin droht der Fall in die Provinzialität.
Anh-Linh Ngo, Chefredakteur und Mitherausgeber der Architekturzeitschrift Arch + hat in einer ersten Reaktion die Berufung von Kahlfeldt als „Kampfansage an eine soziale und ökologische Stadtpolitik“ kritisiert: „Als Vertraute des ehemaligen Senatsbaudirektor Stimmann steht sie konservativen Kreisen nahe, die sich für die Rekonstruktion der Stadt nach historischem Muster eingesetzt haben.“ Außerdem sei sie mehrfach für eine Privatisierung öffentlicher Flächen eingetreten.
Bereits in der vergangenen Woche hatten Architektinnen und Architekten sowie Stadtaktivisten in der Arch + einen offenen Brief an Franziska Giffey veröffentlicht. Darin wurde unter anderem ein Mitspracherecht bei der Suche einer Nachfolgerin der im Juli aus dem Amt geschiedenen Senatsbaudirektorin Regula Lüscher gefordert.
Wichtig sei es, so hieß es in dem Brief, „dass diese Position mit einer integrativen Persönlichkeit besetzt wird, die nicht nur über eine große fachliche Kompetenz verfügt, sondern die auch bei allen relevanten stadtpolitischen Akteuren und Parteien Anerkennung findet“. Unterzeichnet haben den Brief unter anderem der frühere Bauhauschef Philipp Oswalt, der Urban-Catalyst-Mitbegründer Klaus Overmeyer und die Initiative Stadtneudenken. Ähnliche Forderungen hatte auch die Berliner Architektenkammer erhoben.
Die gute, alte Zeit
Dass sich Giffey und der alte und neue Bausenator über diese Forderung hinweggesetzt haben, lässt nichts Gutes ahnen. Offenbar gibt es vor allem in der SPD den großen Wunsch, den zunehmenden Riss in der Gesellschaft durch einen Rückblick auf die „gute, alte Zeit“ zu kitten. Gerade aber das Beispiel Dresden zeigt, dass der Wiederaufbau der Frauenkirche und die Kopie des im Krieg zerstörten Neumarkts gar nichts gekittet haben. Im Gegenteil.
Stattdessen drohen nun auch in Berlin wieder Architekturdebatten wie aus der Ära Stimmann, dem ersten Senatsbaudirektor nach der Wende. Mit dem Aufbruch, den Rot-Grün-Rot versuchen will, hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun. Auch nicht mit einer modernern, offenen und Widersprüche aushaltenden Stadtgesellschaft. Auch die Grünen müssen sich by the way die Frage gefallen lassen, ob ihr Geschwätz von „Bullerbü“ nicht genauso kitschig und rückwärtsgewandt ist wie die Architektur der neuen Senatsbaudirektorin.
Die Debatte um „rechte Räume“ und rückwärtsgewandte Architektur, das lässt sich zumindest sagen, wird an Fahrt aufnehmen mit der Benennung von Petra Kahlfeldt. Die gehörte nicht nur den Kommissionen an, die den Wiederaufbau des Humboldt-Forums planten, sondern auch die „Altstadt“ in Frankfurt und den Alten Markt in Potsdam.
Für den Architekturprofessor und Autor des Buches „Rechte Räume“, Stephan Trüby, ist genau das aber auch das Thema der Neuen Rechten. “Wenn Rechte über Architektur sprechen, dann sprechen sie über Rekonstruktion“, sagt er. Die Berliner SPD hat dem Rechtsruck der Diskussion mit dieser Personalie indirekt Vorschub geleistet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja