Neue Regierung in Sachsen-Anhalt: Haseloff stolpert ins Amt
Fehlstart für die Deutschland-Koaltion in Sachsen-Anhalt: CDU, SPD und FDP wählen Reiner Haseloff erst im zweiten Anlauf zum Ministerpräsidenten.
Denn wie schon 2016 brauchte es einen zweiten Wahlgang, um ihn mit 53 von 97 möglichen Abgeordnetenstimmen ins Amt zu wählen. Immer noch drei Stimmen weniger, als die sogenannte Deutschlandkoalition beziehungsweise Schwarze Ampel aus CDU, SPD und FDP eigentlich hätte. In der ersten Runde stimmte sogar eine Mehrheit von 49 zu 48 Abgeordneten gegen ihn.
„Das ist Demokratie“, spielte Haseloff unmittelbar darauf im MDR-Interview diesen Denkzettel des ersten Wahlgangs herunter. Ursachenforschung für den Fehlstart gleiche „Stochern im Nebel“. Er verwies lediglich darauf, dass die Koalitionspartner in Sachsen-Anhalt Konkurrenten im Bundestagswahlkampf sind. Unbeirrt wolle er seine dritte Amtszeit angehen. „Wir werden diese fünf Jahre hervorragend zusammenarbeiten“, zeigte sich Haseloff bemüht optimistisch.
„Hier werden alte Rechnungen beglichen“, versuchte ausgerechnet der AfD-Fraktionsvorsitzende Oliver Kirchner nach dem ersten Wahlgang eine Erklärung und lenkte den Blick auf die SPD. Die hatte in der Schlussphase der sonst relativ geräuschlos verlaufenen Koalitionsverhandlungen noch das Wirtschaftsministerium verloren. SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Pähle aber dementierte einen solchen Verstoß gegen die auf Seite 154 des Koalitionsvertrages vereinbarte Wahl von Reiner Haseloff.
„Was ist los in diesem Land“
Beobachter vermuteten vielmehr CDU-Abgeordnete unter den Abweichlern. In der vorausgegangenen Kenia-Koalition galt etwa die Hälfte der Fraktion als Grünen-Hasser, AfD-nah und unzuverlässig und war dem Ministerpräsidenten schon mehrfach in den Rücken gefallen.
CDU-Fraktionsvorsitzender Siegfried Borgwardt wäre nach eigenem Bekunden auch lieber nicht an die vergleichbare Verweigerung bei der Ministerpräsidentenwahl 2016 erinnert worden. Die Stimmung auf den Landtagsfluren während der von der Koalition beantragten Auszeit nach dem ersten Wahlgang ging in eine ähnliche Richtung. Äußerungen wie „Was ist los in diesem Land“ sollen gefallen sein.
Sachsen-Anhalt galt schon vor der Landtagswahl vom 6. Juni einerseits als „Politiklabor“ aufgrund früherer Minderheitsregierungen oder neuer Koalitionsmodelle, andererseits als unberechenbar sowohl im Wählerverhalten als auch bei den Mandatsträgern. Politikwissenschaftler Hendrik Träger von der Uni Leipzig sieht denn im MDR-Fernsehen auch eine „Vertrauensbeschädigung“ für die künftige Zusammenarbeit der Koalition. Eine Ausstrahlung auf die anstehende Bundestagswahl, die sehr wahrscheinlich ebenfalls eine Dreierkoalition hervorbringen wird, verneinte er eher.
Eva von Angern als Vorsitzende der oppositionellen Linksfraktion sprach hingegen trotz des CDU-Wahlerfolgs in Sachsen-Anhalt von einem „maroden Zustand“ der Union. Sie äußerte Sorge angesichts kommender Herausforderungen und schloss im Landtag eine Stimmenbeschaffung durch die Linke aus. Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann konstatierte gleichfalls ein „Hineinrumpeln“ in die neue Legislatur und kritisierte insbesondere die zu erwartende Vernachlässigung der Klimapolitik.
Der Koalitionsvertrag war durch die drei Regierungsparteien erst Anfang dieser Woche unterzeichnet worden. Kritik an den Inhalten kam unter anderem von den Grünen, die sich an zu wenigen verbindlichen Zielen für den Klimaschutz stören. Das bisherige Ministerium für Umwelt, Energie und Landwirtschaft wird zerschlagen, Klimafragen sind künftig dem Wissenschaftsministerium zugeordnet.
Korrekturhinweis (20.9.2021): In einer früheren Version des Textes stand, dass Klimafragen dem Wirtschaftsministerium zugeordnet werden. Das war falsch: Sie kommen ins Wissenschaftsministerium, während die Landwirtschaft ins Wirtschaftsministerium wandert. Für den Fehler bitten wir um Entschuldigung.
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