Neue Regierung in Russland: Putin auf Lebenszeit
Wladimir Putin zieht zum dritten Mal in den Kreml ein. Doch die Ära des Teflon-Präsidenten ist vorbei. „Ich möchte nicht auch noch unter ihm sterben“, so das Volk.
MOSKAU taz | Ein alter sowjetischer Witz erfährt dieser Tage in Moskau eine Neuauflage: Der Kongress der Kommunistischen Partei tagt in der Hauptstadt. Alle Kanäle des Staatsfernsehens übertragen rund um die Uhr live. Iwan Iwanowitsch sucht dennoch ein anderes Programm. Als er fündig wird, sitzt dort ein KGB-General und droht: „Glaub bloß nicht, dass du davonkommst, Iwanowitsch. Ich schalte dich sofort zurück!“
Viele ältere Russen fühlen sich atmosphärisch in die stagnierende Endzeit des Kommunismus zurückversetzt. Bei der Zeremonie im Andreassaal des Großen Kremlpalasts schwor Putin am Montag auf die Verfassung des Landes. Anschließend kündigte er in einer Rede eine „neue Etappe“ für Russland an. Die kommenden Jahre seien „entscheidend“ für die Zukunft des Landes „auf Jahrzehnte hinaus“. Sechs staatliche TV-Stationen berichten seit dem frühen Morgen.
Wladimir Putin zieht zum dritten Mal seit 2000 in den Kreml ein. In der Amtsperiode von 2008 bis 2012 hatte er seinen Vertrauten Dmitri Medwedew als Stellvertreter im Kreml placiert. Läuft alles nach Plan, bleibt Putin bis 2018 im Amt und könnte noch einmal für den Posten bis 2024 kandidieren. Putin auf Lebenszeit. Diese Perspektive sagt vielen Bürgern nicht mehr zu. „Ich möchte nicht auch noch unter ihm sterben“, sagte ein Hörer dem Radiosender Echo Moskwy.
Nach Ausschreitungen bei Demonstrationen gegen die Rückkehr von Putin ins Präsidentenamt in Moskau sind am Sonntag 400 Menschen festgenommen worden. Unter den Festgesetzten befinden sich die Oppositionsführer Alexej Nawalni, Boris Nemtsow und Sergej Udaltsow, wie die Polizei am Sonntag mitteilte. Sie wirft den Aktivisten vor, die Masse zur Störung der öffentlichen Ordnung angestiftet zu haben. Die Polizei ging bei ihrem Einsatz mit Schlagstöcken gegen Putin-Gegner vor, einige wurden an den Köpfen getroffen. In ganz Russland demonstrierten am Sonntag Zehntausende Menschen gegen Putin - allein in Moskau sollen es 20.000 gewesen sein. (rtr)
Putin ist noch immer Russlands populärster Politiker. Im März gaben ihm nach offizieller Zählung 64 Prozent der Wähler ihre Stimme. Dennoch hat sich die Stimmung seit den Massenprotesten nach den manipulierten Dumawahlen im Dezember deutlich verändert. Auch die Präsidentenwahl entsprach keineswegs demokratischen Maßstäben. Ein Anflug von Illegitimität liegt seither über den Institutionen der Macht.
Keine glaubwürdigen Gegenkandidaten
Putin ist nicht mehr „Präsident aller Russen“, er verlor auch die Aura des „nationalen Leaders“, die seine Entourage ihm zugeschrieben hatte: „Putin ist unser Alles, er wird uns retten“, war eines der Leitmotive bei den Wahlen 2000 und 2004. Diesmal fällten die Bürger keine emotionale, sondern eine rationale Wahl. Ministerpräsident Putin war der einzige ernstzunehmende Bewerber. Glaubwürdige Gegenkandidaten hatte er längst aus der Politik vertrieben.
Bei einer anderen Kandidatenliste und freiem Zugang zu den Medien wäre das Ergebnis anders ausgefallen, meinte selbst der Direktor des kremlnahen Umfrageinstituts VZIOM, Waleri Fjodorow. Die rationale Entscheidung der Wähler birgt für den neu-alten Kremlchef ein ungewohntes Risiko. Fehler und Mängel werden ihm nicht mehr einfach so verziehen. Der einstige Pantokrator wird auf normales Menschenmaß zurückgestutzt. Die Ära des Teflon-Präsidenten, in der Fehlschläge, Katastrophen und Versäumnisse von ihm abperlten, ist vorbei.
Mit der veränderten Gemengelage tut sich der Rückkehrer schwer. Ein Jahrzehnt der Schonung und Verehrung als gottgleicher Patron hinterließ Spuren. Putin, so scheint es, hat den Bezug zur Realität verloren. Er hält sich für den Einzigen, der Russland führen kann. Sollte er an Größenwahn leiden, wie Beobachter befürchten?
Dass Russlands starker Mann das Gespür für Land und Leute verloren hat, zeigte sich in aller Deutlichkeit zum ersten Mal auf dem Parteitag der Putin-Partei „Einiges Russland“ im letzten Herbst. Verzückt kündigte der Ministerpräsident seine Rückkehr in den Kreml an und gestand mit diebischer Freude: Der Ämtertausch mit Medwedew sei von Anfang an vereinbart gewesen. Tausende Jubelperser huldigten ihm. Aber viele Russen, auch jene, die dem Chef lange die Stange gehalten hatten, fühlten sich verhöhnt. Da machte sich jemand, der seit 12 Jahren die Geschicke des Landes lenkte, über sie lustig. Seither sinkt sein Stern.
Putin 2.0?
Auch die Imageberater sind vorsichtiger geworden. Auf Show-Einlagen als Dompteur, halbnacktes Sexsymbol oder Formel-1-Pilot muss Putin verzichten. Bis zur Lächerlichkeit ist es nur ein kleiner Schritt. Nach den Protestaktionen hofften viele Bürger, der begeisterte Sportler würde sich als Putin 2.0 neu erfinden und auf die Forderungen der breit gefächerten Opposition nach mehr Teilhabe an der Politik eingehen.
Bisher blieb es jedoch bei taktischen Zugeständnissen, um Druck aus dem Dampfkessel zu lassen. Dennoch verfing die Methode zunächst, es ist wieder etwas ruhiger geworden. Die Probleme, die die Bürger auf die Straße trieben, sind jedoch nicht gelöst. Anscheinend kann der Kremlchef sich nicht mehr ändern und gedenkt fortzufahren wie bisher. Warum auch nicht? Fehler habe er keine gemacht, sagte Putin im Fernsehen.
Das Volk schaut jetzt indes genauer hin. Die Stabilität, deren sich Putin rühmt, entpuppt sich als Stagnation. Das wirtschaftliche Wohlergehen beruht auf Einnahmen aus dem Rohstoff-Verkauf. Der Ölpreis müsste jährlich weiter um 20 US-Dollar pro Fass steigen, damit der Staat seinen Verpflichtungen nachkommen könnte. Damit ist ausgerechnet Moskaus «souveräne Demokratie» auf Gedeih und Verderb von äußeren Faktoren abhängig.
12 Jahre Putinismus waren für die Modernisierung der Wirtschaft verlorene Jahre. Auch das moniert die Mittelschicht, der Putin die kalte Schulter zeigt. Er stemmt sich gegen Reformen, weil Wandel ihn über kurz oder lang aus dem Amt heben würde. Persönliche Interessen wiegen schwerer als das Staatswohl. Noch bleibt der Kremlchef. Der Putinismus aber ist bereits ein Auslaufmodell.
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