: Neue Regeln für Flächenpachten und Direktversorgung
Für Energiegenossenschaften bietet der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung einige interessante Stichworte. Doch was folgt daraus?

Von Bernward Janzing
Ob es mehr ist als nur Zweckoptimismus muss sich noch zeigen: Der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV) erkennt im jüngsten Koalitionsvertrag immerhin Ansätze, die „als positives Signal an die Energiegenossenschaften gedeutet werden“ könnten.
Aber natürlich sind es – wie in Koalitionsverträgen üblich – bislang nur vage Aussagen. So liest man Sätze wie jenen, dass bei der Energiewende „Wirtschaft und Verbraucher stärker zu Mitgestaltern“ werden sollen. Es folgen die beliebten Schlagworte „Entbürokratisierung, Mieterstrom, Bürgerenergie und Energy Sharing“ – aber woran die Politik genau denkt, bleibt unklar.
Daher sind die Einschätzungen auch unterschiedlich. „Ich bin nicht so optimistisch, dass hier viel passieren wird“, sagt der Freiburger Genossenschaftsexperte Burghard Flieger, der als Volkswirt seit mehr als 35 Jahren als Organisationsberater für soziale und ökologische Unternehmen tätig ist. Hingegen erkennt der DGRV durchaus einzelne Punkte, die neue Optionen für Genossenschaften bieten könnten. Da die Bundesregierung betont, „Bürgerstrom rechtlich erleichtern“ zu wollen, hofft der Verband beispielsweise, dass Bürgerstromtarife für Anwohner von Windparks künftig „neue Versorgungs- und Beteiligungsmodelle von Energiegenossenschaften ermöglichen“ könnten.
Während Standardbegriffe, wie „Entbürokratisierung“, „Mieterstrom“ und „Bürgerenergie“ jedem Politiker inzwischen leicht über die Lippen kommen, ist mit dem Koalitionsvertrag aber auch ein weniger bekanntes Thema prominent in der Politik angekommen: „Die zulässige Höhe der Flächenpachten für im EEG geförderte Anlagen werden wir begrenzen“, heißt es. Der DGRV erhofft sich davon eine Entlastung auch für Genossenschaften. Speziell bei der Windkraft werden nämlich mitunter abenteuerliche Pachten bezahlt: Es kommt vor, dass Betreiber 30 Prozent ihrer Erträge an den Grundeigentümer abgeben müssen.
Im Koalitionsvertrag wird unterdessen auch ein noch recht neues Konzept thematisiert, das „für Energiegenossenschaften unternehmerisch interessant“ sein könnte, wie der DGRV findet – nämlich die physikalische Direktversorgung der Industrie. Das Modell könne „die Zusammenarbeit mit regionalen Unternehmen stärken“.
Physikalische Direktversorgung heißt: Unternehmen beziehen Strom aus erneuerbaren Energien über eine eigene Leitung direkt von der Erzeugungsanlage. Die eigene Trasse kann sich bei einer überschaubaren Länge amortisieren, weil dann erstens keine Netzentgelte pro Kilowattstunde anfallen und weil zudem auch noch alle Abgaben und Umlagen wegfallen, die an der Nutzung des öffentlichen Netzes hängen.
Im Koalitionsvertrag ist dazu festgelegt: „Die Möglichkeit der physikalischen Direktversorgung der Industrie weiten wir räumlich aus.“ Bisher erlaubt der Gesetzgeber die Direktversorgung nur in einem eng definierten Rahmen. Laut Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) ist eine maximale Leitungslänge von 5.000 Metern vorgegeben. Auch durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wird die Vermarktung jenes Stroms privilegiert, der „in unmittelbarer räumlicher Nähe zur Anlage verbraucht“ wird. Aus der Branche der Erneuerbaren kam schon im vergangenen Jahr der Vorschlag, die Kriterien zur Definition von räumlicher Nähe komplett zu streichen – also sowohl die Grenze im EnWG wie auch das unscharfe Kriterium im EEG. Denn faktisch limitiert die Ökonomie die Länge einer Privat-Trasse.
Auch das Thema der Flächenkonkurrenz findet zunehmend Eingang in die Politik. „Wir achten auf Flächenschonung“, schreiben die Koalitionäre in ihrem Papier, weshalb sie „Möglichkeiten der Doppelnutzung, wie zum Beispiel Parkplatz-, Agri- und Floating-PV erleichtern“ wollen. Als Agri-PV wird die agrarische Nutzung der Fläche unter den Modulen bezeichnet, Floating-PV sind Module, die auf Wasserflächen schwimmen.
Der Internationale Genossenschaftstag wird seit 1923 durch die International Cooperative Alliance gefeiert und findet alljährlich am ersten Samstag im Juli statt.
2025 ist das Internationale Jahr der Genossenschaften. Es wurde von den Vereinten Nationen ausgerufen. Sein Motto „Cooperatives Build a Better World“ soll die Bedeutung von Genossenschaften weltweit würdigen und sie in der Bewältigung globaler Herausforderungen stärken. Die Idee dahinter: Gemeinschaftliches Handeln kann echte Veränderungen bewirken – für unsere Nachbarschaften, unsere Städte und unsere Welt.
Zugleich rückt das Stromsystem als Ganzes zunehmend ins Blickfeld der Politik. Denn hier geht es um das vielleicht heikelste Thema der Energiewende derzeit: Immer mehr Stunden mit negativem Strompreis im Großhandel bringen das Gefüge des Strommarkts immer mehr in Schieflage. Betreibern von Photovoltaik-Bestandsanlagen will die Bundesregierung daher „Anreize für eine netz- und systemdienliche Einspeisung“ geben.
Die negativen Preise ergeben sich, weil die erneuerbaren Energien – speziell im Sommer die Photovoltaik – praktisch zeitgleich die Netze fluten. Mit 141 Stunden mit negativen Strompreisen und 12 weiteren Stunden mit einem Preis von exakt null erzielte der Juni einen bisherigen Rekord; in gut 21 Prozent der Stunden war der erzeugte Strom nichts mehr wert. Speicher und flexible Verbraucher sind hier zunehmend nötig, und welche Rolle hierbei die Genossenschaften einnehmen können, wird sich noch zeigen.
Weil Energie aber nicht nur Strom ist, sondern auch Wärme, will die Bundesregierung auch „die AVB-Fernwärme-Verordnung und die Wärmelieferverordnung zügig überarbeiten und modernisieren“. Damit ergäben sich Chancen für genossenschaftliche Wärmeakteure, urteilt der DGRV. Zumal Wärmegenossenschaften „aufgrund ihrer inhärenten Transparenz“ auch nichts von der angekündigten Preisaufsicht zu befürchten hätten, die für mehr Preistransparenz im Fernwärmesektor sorgen soll. Doch was genau kommt, bleibt auch hier offen – der Koalitionsvertrag ist, wie üblich, ein Papier mit vielen Unbekannten.
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