Neue Pläne für Katastrophenschutz: Jodtabletten für Millionen
Zwei von drei Menschen in Deutschland könnten bei einem AKW-GAU betroffen sein. Doch die Umsetzung der neuen Schutzpläne verzögert sich.

Die Außenzone im Umkreis von 100 Kilometern wird von 53,7 Millionen Menschen bewohnt; hier sollen die Behörden eine flächendeckende Einnahme von Jodtabletten vorbereiten, die nach einem Atomunfall die Aufnahme von radioaktivem Jod aus der Luft reduzieren sollen.
Das erklärt das Bundesinnenministerium in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen, die der taz vorliegt. Am meisten potenziell Betroffene leben am baden-württembergischen AKW-Standort Philippsburg: In der Evakuierungszone sind es rund 730.000 Menschen, mehr als 11 Millionen müssten Jodtabletten bekommen.
Die deutschen Katastrophenschutzpläne waren als Reaktion auf den GAU im japanischen Fukushima von 2011 überarbeitet worden. Eine Simulation des Bundesamts für Strahlenschutz ergab, dass bei einem vergleichbaren Unfall in Deutschland wegen des anhaltenden Austritts radioaktiven Materials weit größere Gebiete verstrahlt würden als in den geltenden Plänen berücksichtigt.
Bisher sind Evakuierungen nur im Umkreis von 10 Kilometern vorgesehen, die Jodvergabe nur bis 25 Kilometer. Seit 2014 liegen aktualisierte Empfehlungen der Strahlenschutzkommission vor. Doch die zuständigen Kommunen haben diese bisher nicht umgesetzt; teilweise liegen noch nicht einmal die dafür notwendigen Vorgaben der Bundesländer vor.
Die atompolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sylvia Kotting-Uhl, übt scharfe Kritik an der Verzögerung. „Statt mit immer schrilleren Tönen über ein Burka-Verbot die Gesellschaft zu spalten, sollten gerade die Innenminister der Union sich endlich um reale Gefahren wie den verschleppten AKW-Katastrophenschutz kümmern und damit ihrer Schutzpflicht für alle Menschen nachkommen“, sagte sie der taz.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade
ifo-Studie zu Kriminalitätsfaktoren
Migration allein macht niemanden kriminell