Neue Partei von Ali Babacan: Alternative für die Türkei

Eine Gruppe von AKP-Abspaltern um Ali Babacan will eine Alternative zur Regierungspartei anbieten. Das könnte Erdoğan tatsächlich gefährlich werden.

Potrait eines Mannes, der in einer Menschenmenge vor einer Moschee steht

Ali Babacan Foto: Burhan Ozbilici/ap/dpa

ISTANBUL taz | Lange hat es gedauert, jetzt ist es so weit. Mitten in der außenpolitischen Krise um Syrien und mit der EU setzt ein ehemaliger enger Mitstreiter von Präsident Recep Tayyip Erdoğan den türkischen Alleinherrscher auch innenpolitisch unter Druck. Ali Babacan, einst Außen- und Wirtschaftsminister sowie Vize-Ministerpräsident, gründet eine neue Partei. Sie soll eine Alternative anbieten für Konservative und Liberale, die mit dem autoritären Regime Erdoğans unzufrieden sind.

Die Partei, die „Demokratie und Aufschwung“ heißen soll, ist eine Gründung aus der AKP Erdoğans heraus. Babacan und etliche andere ehemals führende Leute der Präsidentenpartei haben die AKP im letzten Jahr verlassen, weil sie mit der Politik Erdoğans nicht mehr einverstanden sind.

Unter ihnen ist auch der deutsch-türkische Politiker Mustafa Yeneroğlu, ehemals im Vorstand der AKP, der insbesondere in Deutschland lange den Kopf für die aggressive Politik Erdoğans hingehalten hat und besonders in der deutsch-türkischen Krise 2017 als Erdoğan-Verteidiger durch die Talkshows getingelt war.

Doch Yeneroğlu hatte schon länger Bauchschmerzen damit, die aggressive Politik der Staatsführung zu verteidigen, wie er in Hintergrundgesprächen seit Anfang letzten Jahres durchblicken ließ.

Wie ihm ging es vielen in der AKP, und so heißt es denn nun auch im Gründungsaufruf der Partei, man wolle zurück zu den früheren Prinzipien der AKP, als die Partei noch für Demokratie und die Freiheit des Einzelnen stand. Die führenden Mitglieder der neuen Partei sind zumeist fromme Muslime, wollen aber eine strikte Trennung zwischen Staat und Religion, wie es ursprünglich auch die AKP versprochen hatte.

Wohlstand unter Babacan

Nachdem im Dezember letzten Jahres bereits Ahmet Davutoğlu, ebenfalls früherer führender AKP-Politiker, schon eine neue Partei gegründet hatte, ist mit Babacan nun eine Gruppierung auf den Plan getreten, die nach Einschätzung der meisten Beobachter tatsächlich gefährlich werden könnte für Erdoğan.

Babacan ist den meisten türkischen Wählern als der Vater des großen wirtschaftlichen Aufschwungs in den Jahren von 2002 bis 2012 in Erinnerung, als in der Türkei Wachstumsraten um die 10 Prozent für viele Bürger einen echten Wohlstandsgewinn brachten.

Gerade jetzt, wo die Wirtschaftskrise die Türken mehr als alles andere beschäftigt, könnte Babacan zu einem Hoffnungsträger werden. Das sehen auch viele Industrielle so, weswegen sich Babacan und seine neue Partei der Unterstützung aus der Wirtschaft sicher sein kann.

Vorgezogene Neuwahl?

Erdoğan trifft die Parteigründung Babacans in einer kritischen Situation. Die Zustimmungswerte für ihn persönlich, aber vor allem für seine AKP sinken kontinuierlich, und ohne Unterstützung der Ultranationalisten von der MHP hätte er schon lange keine Mehrheit mehr im Parlament.

Das von ihm mit der Brechstange durchgesetzte neue Präsidialsystem wird von mehr als der Hälfte der Bevölkerung abgelehnt, nicht nur aus ideologischen Gründen, sondern auch weil es nicht funktioniert. Erdoğan hat alle politischen Entscheidungen an sich gezogen, was dazu führt, dass sich nun im Präsidentenpalast die Akten stapeln und nichts entschieden wird – anstatt dass alles reibungsloser läuft, wie Erdoğan versprochen hatte.

Babacan und Davutoğlu wollen die Präsidialverfassung wieder ändern und zurück zu einer parlamentarischen Demokratie. Dies sind auch die Ziele der Opposition von Sozialdemokraten und Kemalisten mit ihrem charismatischen Star Ekrem İmamoğlu, dem neuen Istanbuler Oberbürgermeister, sowie der kurdisch-linken HDP und der IYI-Partei.

Wenn Babacan es schafft, dass einige AKP-Abgeordnete sich seiner neuen Partei anschließen, könnte es für Erdoğan schon bald eng werden. Schon jetzt wird in der Türkei ausgiebig über eine vorgezogene Neuwahl spekuliert. Regulär steht die nächste Parlamentswahl gleichzeitig mit der Präsidentschaftswahl 2023 an.

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