Neue Musik aus Berlin: Stimmschnipsel in fragiler Idylle
Der umtriebige Musiker Joke Lanz veröffentlicht mit „Zungsang“ ein Album, in dem eine freundliche Stimmung rasch ungemütlich wird.
M it einer Keyboardmelodie wie aus einem freundlichen Trickfilmjingle fängt es an. Aber in Trickfilmen schlägt die Niedlichkeit schon mal unvermittelt in Grausamkeit um.
Und so gerät „Zungsang Sankt Jokem II“, die Eröffnung des aktuellen Albums von Joke Lanz, mit abrupten Motivverschiebungen und Kanalwechseln sowie mit eingestreuten Orgel- und Stimmschnipseln rasch ungemütlich.
Der gebürtige Schweizer und Wahlberliner Lanz veröffentlicht seit Ende der Achtzigerjahre Platten mit Musik, deren Klangästhetik sich aus Brüchen und Fragmenten speist. Lanz wird zumeist und nicht gänzlich zu Unrecht als Noisemusiker vorgestellt. Seine Geräuschstücke sind mehr sprunghaft als episch.
Lanz ist umtriebig: Allein in diesem Jahr sind drei Alben erschienen. „Zungsang“ ist die für Vinyl um vier Stücke erweiterte Edition einer Kassettenveröffentlichung aus dem Jahr 2021. Gewidmet hat Lanz das Album Adolf Wölfli. Der Schweizer Art brut-Künstler, Komponist und Schriftsteller fungierte schon bei Lanz’ Trio Sudden Infant als Titelgeber und Inspiration.
Wölfli war ein Mensch, dem die Jugend unmöglich gemacht worden war. In der Nervenheilanstalt Waldau wurde er zum Urheber eines ungebräuchlichen Universums. Joke Lanz knüpft da an und arbeitet daran weiter. „Zungsang“ ist Deklamation und ein Verlachen, eine fragile Idylle und flüsternde Beschwörung.
Wenn ein Kind durch einen Gespensterwald geht, heißt das Stück „Du Grüsel Du“. Und die Utopie ist kein Nichtort mehr, sondern in Wölflis Diktion eine „Riesen=Schöpfung“.
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