Neue Logistikchefin der Deutschen Bahn: Bereit für den Höllenjob
Die Gütersparte der Deutschen Bahn ist in einer schweren Krise. Die neue Logistikchefin wird keine einfache Aufgabe vorfinden.
Das Ansehen ihres potenziellen Arbeitgebers dürfte auf jeden Fall besser werden, wenn die Frau den Job tatsächlich bekommt. Am Donnerstag wird der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn der bisherigen Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Sigrid Nikutta voraussichtlich die Leitung der Logistiksparte und der DB Cargo übergeben. Die erfolgreiche Managerin wäre neben der für Digitalisierung und Technik zuständigen Sabina Jeschke die zweite Frau im Bahnvorstand.
Nikutta ist die erfolgreichste Managerin im deutschen Verkehrswesen. Als die promovierte Psychologin 2010 an die Spitze der Berliner Verkehrsbetriebe trat – eines der größten kommunalen Verkehrsunternehmen Europas –, war sie nicht nur die erste Vorstandsvorsitzende, sondern auch das erste weibliche Vorstandsmitglied.
Die BVG ist wie die ganze Branche eine Männerdomäne. Nikutta gilt als versierte Strategin und hat unkonventionelle Führungsmethoden. Sie koppelte die Gehälter der Führungskräfte daran, dass sie einen bestimmten Frauenanteil bei Neueinstellungen erreichen. Sie schaffte es, die BVG erstmals in der Nachkriegszeit aus der Verlustzone zu holen. Vor ihrem Wechsel zur BVG war sie unter anderem Chefin der LokführerInnen im Güterverkehr.
Die 50-Jährige steht als Vorstand für die Güterbahn vor einer gigantischen Aufgabe. „Das ist ein Höllenjob“, sagt Uwe Höft, Bahnexperte von der Technischen Hochschule Brandenburg. Auch wenn es passionierte Bahnfahrende kaum glauben mögen: Im Güterverkehr ist die Lage noch viel desolater als im Personenverkehr. Regelmäßige Verspätungen, Zugausfälle, zu wenig Kapazitäten, nicht auffindbare Waggons, schlechter Service – die KundInnen laufen davon.
Denn anders als im Personenfernverkehr haben sie auf der Schiene eine Alternative. Der Marktanteil von DB Cargo in Deutschland ist von 79 Prozent im Jahr 2008 auf jetzt unter 50 Prozent gesunken. Dafür steigt der Verlust. 2018 lag er bei 180 Millionen, in diesem Jahr wird er voraussichtlich weit darüber liegen. „Der Strudel wird immer stärker“, sagt René Naumann, Bahnexperte beim Beratungsunternehmen KCW, das unter anderem Gutachten für die Denkfabrik Agora Verkehrswende erstellt.
Potenzial verschenkt
Es werden immer mehr Güter transportiert. Zwischen 2009 und 2016 ist der Anteil der Schiene am Güterverkehr hierzulande zwar von 16 auf 18 Prozent gestiegen. In der Schweiz wuchs er dagegen von 38 auf 43 Prozent. In Österreich stagnierte der Anteil – aber auf einem hohen Niveau von 30 Prozent. Güterverkehr ist nicht gleich Güterverkehr. Kunden können ganze Züge oder einzelne Waggons buchen.
Ersteres ist logistisch vergleichsweise einfach und profitabel. Hier tummeln sich auch private Anbieter. Im Einzelwagengeschäft nicht, es ist kostenintensiv, weil dafür Kapazitäten vorgehalten werden müssen. „Der Einzelwagenverkehr hängt wie ein Damoklesschwert über der Bahn“, sagt Bahnkenner Höft, der auch schon mal selbst eine Lok fährt. Punktuell hat die Bahn es bereits aufgegeben. „Aber das ist gesellschaftlich falsch“, betont er. Um mehr Güter auf die Schiene zu bringen, ist der Einzelwagenverkehr unverzichtbar.
Züge und Technik in Deutschland sind veraltet, es mangelt an LokführerInnen. „Der Güterverkehr ist das letzte Rad am Wagen“, sagt Uwe Reitz, Sprecher der Einsenbahnergewerkschaft EVG. Ein Sanierungsprogramm jagte das andere, Personal wurde abgebaut, Verladestellen wurden geschlossen, Gleisanschlüsse gekappt. Das finanzielle Desaster der Güterbahn begann mit der Weltwirtschaftskrise 2008, weil mit der sinkenden Produktion auch weniger transportiert wurde.
Das strukturelle Fiasko hatte vorher angefangen. Unter Bahn-Haudegen Hartmut Mehdorn trennte sich die Bahn von wenig profitablen Gleisanschlüssen. Dann übernahm die Bahn 2002 das Logistikunternehmen Stinnes und damit Schenker, einen der größten Lkw-Spediteure.
Fünfmal so viel Schadstoff
„Damit hatte die Bahn keinen Druck mehr, die Schiene zu optimieren“, sagt Bahnexperte Naumann. Denn sie kann ihre KundInnen ja mit dem Lkw bedienen. „Das ist fatal“, sagt Naumann. „Nötig ist ein Unternehmen, das ein Interesse hat, die Schiene zu optimieren.“ Ein Lkw stößt pro gefahrenem Kilometer und transportierter Tonne fünfmal so viel Schadstoff aus wie die Güterbahn.
„Für die Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene muss der Bund das Schienennetz massiv ausbauen“, fordert der Bahnexperte der grünen Bundestagsfraktion Matthias Gastel. „Wir brauchen eine Verdoppelung der Bundesinvestitionen in den Neu- und Ausbau von heute rund 1,5 Milliarden Euro auf künftig 3 Milliarden Euro.“ 40 Prozent der Schienenstrecken sind noch nicht elektrifiziert.
„Von einem Elektrifizierungsprogramm würde besonders der Güterverkehr auf der Schiene profitieren, da auf diese Weise auch Ausweichrouten zu heute bereits überlasteten Strecken geschaffen werden können“, sagt er. Zurückgebaute Überhol- und Abstellgleise müssen Bund und Bahn reaktivieren, die Zahl der Gleisanschlüsse und Verladestellen, an denen Güter von der Straße auf die Schiene gebracht werden können, müssen ausgebaut werden, fordert er.
Zwar gibt es ein Förderprogramm des Bundes für Firme, die einen Gleisanschluss legen lassen. „Aber das ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“, sagt Berater Naumann. Denn es werden nach wie vor viel mehr Anschlüsse gekappt als neue gelegt. In vielen Städten sind die Flächen längst zugebaut, auf denen früher Güterbahnhöfe standen. Gewerbegebiete und große Logistikzentren etwa von Internethändlern entstehen an Autobahnauffahrten – ohne Gleisanschluss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit