Neue Leitung am Kunsthaus KW in Berlin: Ein Knabe singt von der großen Schöpfung
Emma Enderby ist die neue Direktorin des Berliner Kunsthauses KW. In ihrer ersten Ausstellung stellt sie die großen Fragen, teils in drolliger Form.

Der Mythos von der Künstler:innenstadt Berlin entstand womöglich in einer Margarinefabrik. In den neunziger Jahren, in jener schon historischen Nachwendezeit, als fünf Leute – unter anderem der heutige Direktor der Neuen Nationalgalerie, Klaus Biesenbach – in einem solchen baufälligen Ostberliner Fabrikbau eine Institution namens KunstWerke (KW) gründeten. Kein Museum mit Sammlung, sondern eine Kunsthalle sollte es sein, ausgestellt werden sollten eigens geschaffene Kunstwerke, produziert in den vielen leerstehenden, zu Ateliers umgewandelten Mietskasernen drumherum. KW, das bedeutete Kunst und Stadt.
Viele Namen wurden in der Margarinefabrik groß: Monica Bonvicini, Marina Abramović, Carsten Höller. Im Vorstand des Trägervereins für die KW sitzt auch heute noch mit Katharina Grosse eine Berliner Künstlerin, sozusagen als Relikt der Gründungsjahre, wenn auch sie zur Minderheit gehört unter den vielen Unternehmer:innen und Architekt:innen, die die Geschicke des mittlerweile internationalen Kunsthauses bestimmen.
Jetzt hat die neue Direktorin der KW, Emma Enderby, ihre erste Ausstellungsreihe eröffnet. Ein Moment, an dem man sich noch mal fragen kann, was da eigentlich noch dran ist an dem Mythos der Künstler:innenstadt Berlin.
Spardiktat sägt an fragilen Konstrukten
Er bröckelt offenbar, gibt Enderby im taz-Gespräch zu. Die drastischen Kürzungen im Kulturbereich, auch an den weniger sichtbaren Stellen, etwa bei senatsgeförderten Ateliers, haben an dem fragilen und so erfolgreichen Berliner Konstrukt von High & Low, von Leben, Arbeiten und Kunst gesägt. Nur wenige Tage vor der Eröffnung ihrer Auftaktausstellungen erfuhr Enderby, dass der Senat die Budgetkürzung für die KW um noch ein paar Prozentpunkte mehr anheben wolle.
Matt Copson, Jessica Ekomane, Sung Tieu, Miloš Trakilović: KW Institute for Contemporary Art, Berlin, bis 4. Mai
Enderby, Anfang vierzig, hat als Kuratorin in den hoch kompetitiven Kunstmetropolen New York und London gearbeitet, zuletzt war sie in München. Nun, in Berlin, vermittelt sie etwas Post-Jetsetmäßiges, etwas von „Lass uns erst mal hier bleiben“. Vier jüngere Gegenwartskünstler:innen bringt sie jetzt zusammen, alle zwischen 1984 und 1992 geboren, alle leben in Berlin, oder haben zumindest einen Bezug zur Stadt.
Inhaltlich steigt Enderby ein mit den ganz großen, fundamentalen Fragen über Sein und Zeit. Dafür wählte sie ein so opulentes Genre wie die Oper. Genauer ist es eine laseranimierte Oper, die der britische Künstler Matt Copson in der Haupthalle der KW inszeniert hat.
Nur ein Baby taucht auf Copsons sonst schwarzer Bühne auf. Der Kopf überzeichnet groß, süße Knopfaugen, räsoniert das Kleinkind singend im gläsernen Ton eines tatsächlichen Knabensoprans über die menschliche Existenz, Schaffen und Geschaffensein; „Ich schaffe Großes / Ich bin eine große Schöpfung“ singt das Kind auf Englisch, schwankt auf Copsons zitternden Lichtumrissen in einfachen Farben zwischen der Weisheit und dem Größenwahn kindlicher Unwissenheit hin und her, spielt mit einem Streichholz, brennt alles nieder, weint, pinkelt. Man wird hineingezogen in diesen drolligen Existenzialismus, das Laser-Anime ist Immersion in totaler Reduktion.
Reduziert ist auch die Klanginstallation der Computermusikerin Jessica Ekomane. Einen Sound wie der Knall bei der Entladung von Starkstrom lässt sie aus Lautsprechern tönen und verwebt ihn zu einem Klangmuster, das sich wiederholen, vervielfachen, verschieben kann, wie zum Ton gewordene Op-Art. Zeit wird hier erlebbar.
Auch politische Kunst taucht bei Enderby auf, aber eine unideologische, forschende. Der bosnisch-niederländische Künstler Miloš Trakilović etwa bespielt eine Etage mit Soundaufnahmen von Radiosongs aus Jugoslawien, veröffentlicht einige Jahre, bevor dort der Krieg ausbrach.
In die Geschichte hineinhorchen
Bahnte sich das Verheerende schon in der Musik an, ist seine Frage, und er schickte die Soundaufnahmen durch eine KI, die eigentlich für die Komposition von Liebesliedern programmiert ist. Doch das Experiment, Maschine und radikale Gefühle zu fusionieren, geht nicht ganz auf, das Klangresultat ist ein wenig überraschendes Wabern.
Die Künstlerin Sung Tieu ist da schon sehr viel präziser, wenn sie in ihrer auf zwei Etagen ausgebreiteten Installation auf die Geschichte und Gegenwart von vietnamesischen Vertragsarbeiter:innen in der DDR eingeht. Ihr Leben in einem Zwischenzustand in Deutschland, legal aber unerwünscht. Unter anderem greift sie auf die fast schon vergessenen Methoden der Institutional Critique zurück, wenn sie für ihre Ausstellung den Vorschlag unterbreitet, in die Institution der KW selbst einzuwirken.
Sie wolle eine Person ihrer Wahl in den Trägerverein der KW eintreten lassen, die jährliche Mitgliedsgebühr von 5.000 Euro aufbringen, um die doch recht einheitlichen Gruppe der Entscheidungsträger:innen im Hintergrund der KW sozial etwas diverser zu machen. Wie man in einer ausgestellten Korrespondenz erkennen kann: Emma Enderby, die neue Direktorin, ist einverstanden, auch sozial an den mythischen KW etwas zu rütteln.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!