Neue Kunstvereins-Chefin in Braunschweig: Finsternis im Spiegelsaal
Als Chefin des Kunstvereins Braunschweig feiert Cathrin Mayer Einstand. Ihre erste Ausstellung heißt „Mirage“: Sie thematisiert das Wahrnehmen selbst.
Die waren durchaus vielfältig. So war Mayer bis 2020 im kuratorischen Team der Berliner Kunst-Werke, einem Ausstellungsort für Gegenwartskunst im Bezirk Berlin-Mitte. Danach ging es für zwei Jahre zurück nach Österreich, genauer: nach Graz an die Halle für Kunst Steiermark.
Zuletzt war sie als freie Kuratorin in Stockholm tätig und pendelte für eine Gastprofessur an die Kunstuniversität Linz. Nun also der Kunstverein Braunschweig. Eine Findungskommission hatte sie im Frühsommer benannt.
„Eine gute Adresse“ begründet Mayer ihre Entscheidung, der Kunstverein Braunschweig zähle zu den wichtigsten in Deutschland. Was in der Stadt selber allerdings kaum registriert wird, wie Mayer in den wenigen Wochen ihrer Amtszeit bereits bemerkt hat: „Das Klima ist konservativ“, drückt sie es diplomatisch aus.
Sie hat noch den sprichwörtlichen Koffer in Berlin, möchte aber mit ihrer Familie nach Braunschweig ziehen. Im Kunstverein war Mayer schon häufiger Gast bei Eröffnungen.
Dabei hat sie die klassizistische Villa „Salve Hospes“ zu schätzen gelernt, Heimat der Institution. Mit dem Haus, als repräsentativer Wohnsitz und nicht als Ausstellungsgebäude errichtet, möchte Mayer verstärkt arbeiten, der Villa und den Relikten bürgerlichen Lebens zum eigenständigen Auftritt verhelfen.
Die Architektur gibt viel vor. Man sollte besser nicht gegen sie arbeiten, lautet Mayers leise Kritik an Rauminterpretationen ihrer Vorgänger:innen. Der Bau sei ja nicht neutral, sondern biete eine Raumerfahrung an sich. Sie will ruhiger, subtiler mit ihm umgehen.
Das Kunstvereins-Team hat sie bereits neu formiert. Die Remise, bislang jungen künstlerischen Formaten vorbehalten, möchte sie zum Kino für Experimentalfilme umwidmen.
Anderes bleibt, wie es ist: So plant Mayer wie ihre Vorgänger:innen mit bis zu acht Einzel- oder Gruppenausstellungen pro Jahr. Die Meisterschüler:innen der HBK Braunschweig werden bis mindestens 2028 hier ihre Abschlussarbeiten zeigen können und auch das Ritual der Jahresgaben behält Mayer bei, also eigener Editionen, die im Obergeschoss der Villa zur Weihnachtszeit präsentiert werden.
„Mirage“ – der Titel von Mayers Debüt-Ausstellung ist mehrdeutig und assoziationsstark. Das Wort leitet sich ab vom französischen Verb „mirer“, was genau beobachten, bewundern, aber auch spiegeln bedeutet. Es wird heute als halluzinatorische Täuschung oder Fata Morgana übersetzt, ganz abgesehen vom suggestiven Eigennamen französischer Kampfjets.
Perfekt dazu passt die Arbeit von Experimentalfilmer Kevin Jerome Everson, mit dem Mayer 2021 im Kontext des Festivals „Steirischer Herbst“ in Graz zusammengearbeitet hatte. Im ehrwürdigen Braunschweiger Spiegelsaal ist nun sein analoger Schwarz-Weiß-Film „Condor“ von 2019 eingerichtet.
Er zeigt in Echtzeit eine Sonnenfinsternis, die Everson am 2. Juli desselben Jahres in Chile beobachtet hatte. In kurzer Zeit schiebt sich der Mond vor die Sonne und hüllt das Bild in Dunkelheit. Der Mond wandert weiter, die Sonne erhellt erneut vollständig die Szene: ein Naturschauspiel zwischen Licht und irritierender Finsternis.
Drei weitere Künstler:innen repräsentieren verschiedene Weltenregionen. Ihren Werken gemein ist, dass sie sich eindeutiger Kategorisierung entziehen. So führen die „Film Scultpures“ des Österreichers Philipp Fleischmann Filmstreifen als das Medium des Vorführens selber vor, und der aus Minsk gebürtige Gleb Amankulov fragt mit seiner Assemblage sehr direkt, was ein Kunstwerk ist und sein Wert.
Er ist dafür auf den Dachboden der Kunstvereins-Villa gestiegen und hat alte Möbel, Türen, Rahmen zu temporären Assemblagen kombiniert, die bei Ausstellungsende wieder in ihre Bestandteile zerlegt und zurückgetragen werden.
Die Brasilianerin Wisrah C. V. da R. Celestino wiederum thematisiert aufgrund ihrer Biografie die Verfügbarkeit einer elementaren Ressource: In Deutschland, wo sie mittlerweile lebt, ist der Zugang zu sauberem Trinkwasser sichergestellt. In Brasilien wuchs sie ohne fließendes Wasser auf.
„Peso“, so der Titel ihrer Arbeit, ist in vielen ehemaligen Kolonien Spaniens die Bezeichnung der Währung. Das Wort bedeutet Gewicht, als Verbform aber auch „ich wiege“: Diesen multiplen Wortsinn übersetzt Celestino in eine Installation aus 120 offen gelassenen Wasserkanistern, gefüllt mit dem Äquivalent ihres Körpergewichts. Das Wasser wird während der Ausstellung verdunsten.
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