Neue Denkfabrik für Klimaschutz: Nahverkehr statt E-Auto-Prämie
Ein neuer parteiübergreifender Thinktank macht sich Gedanken, wie Klimaschutz für alle funktionieren kann. Denn derzeit klappt das nicht.
Dass Klimaschutz so in Verruf geraten ist, daran ist auch die Politik schuld. Findet jedenfalls der SPD-Politiker Thomas Losse-Müller. „Wir haben uns zu wenige Gedanken gemacht, wie wir Klimaschutz sozial gerecht realisieren“, so Losse-Müller zur taz. Und meint damit auch die Ampel und seine eigene Partei, die SPD.
Der schleswig-holsteinische Oppositionsführer, der als Spitzenkandidat gegen Daniel Günther von der CDU verlor, hat nun zusammen mit Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden und Wissenschaftler:innen einen Sozial-Klimarat gegründet. Die neue Denkfabrik soll sich Gedanken machen, was in der Klimapolitik schiefläuft und was besser werden muss. Die These: Damit Klimaschutz für alle funktionieren kann, muss er auch Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge sein und gemeinschaftlich finanziert werden.
Auf der Auftaktveranstaltung des neuen Thinktanks am Dienstag diskutieren etwa SPD-Parteichef Lars Klingbeil und die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang. Zu Wort kommen aber auch Vertreter:innen von Fridays for Future, der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung oder die Vorsitzenden der Sozialverbände Deutschlands, VdK und SoVD.
Klimaschutz als Daseinsfürsorge
Losse-Müller und sein neuer Thinktank haben vorab eigene Thesen formuliert, die der taz vorliegen. Mit der gegenwärtigen Klimapolitik geht Losse-Müller, der erst 2020 von den Grünen zur SPD wechselte, in dem Papier hart ins Gericht. „Für sehr viele Haushalte ist bislang nicht klar aufgezeigt, wie sie aus eigener Kraft klimaneutral werden können“, heißt es in den Thesen, die der taz vorliegen. Die Höhe der notwendigen Investitionen in klimaneutrale Wärme und Mobilität übersteige ihre Möglichkeiten oftmals bei Weitem.
Losse-Müller und seine Mitstreiter:innen schlagen ein radikales Umdenken vor: Weg von der kleinteiligen und individuellen Förderung hin zu breiten Investitionen in staatliche Infrastruktur in Wärme und Mobilität. „Klimaschutz muss als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge verstanden werden“, heißt es in dem Papier. Denn: „Für die meisten Haushalte sind öffentliche Infrastrukturen die einzige Möglichkeit, überhaupt klimaneutral leben zu können.“
Vereinfacht könnte man sagen: Die Politik soll sich um Nahverkehr für alle kümmern, statt E-Autos für viele zu finanzieren und sich auf den Ausbau von Wärmenetzen statt Wärmepumpen konzentrieren.
Staat ist in der Pflicht
Die bisherige Klimapolitik mit dem Fokus auf individuellen Anreizen sieht der SPD-Politiker sogar zum Teil kontraproduktiv. Je mehr Haushalte mit Solar- und Wärmepumpen in ihre eigene Klimapolitik investieren könnten, desto höher seien die Kosten für diejenigen, die das nicht schafften und weiter auf das Netz angewiesen seien, heißt es in dem Papier. Ähnliches gelte für den Nahverkehr und dem Umstieg auf E-Pkw.
Der Volkswirt sieht daher den Staat in der Pflicht. „Leistungsfähige öffentliche Infrastrukturen sind eine zentrale Voraussetzung für sozial gerechten Klimaschutz. Sie müssen gegenüber individuellen Anpassungsstrategien priorisiert werden.“ Damit der Staat in der Lage ist, die notwendigen Investition zu stemmen, fordert Losse-Müller staatliche Kredite und sozial gerechte Steuererhöhungen.
Das wollen im Grunde auch SPD und Grüne. Die Ampel praktiziert aber derzeit das Gegenteil: Sie hat sich im Koalitionsvertrag zu Einhaltung der Schuldenbremse verpflichtet und Steuererhöhungen ausgeschlossen. Viel Diskussionsbedarf also.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
Krisentreffen nach Sicherheitskonferenz
Macron sortiert seine Truppen
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?