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Neue Coronamaßnahmen in DeutschlandKauf dich glücklich

Ingo Arzt
Kommentar von Ingo Arzt

Diesmal treffen die Coronabeschränkungen die Kulturschaffenden am härtesten. Sie müssen jetzt umfänglich entschädigt werden.

Shoppen geht noch, sonst geht nicht mehr so viel ab Montag Foto: Georg Wendt/dpa

D er Mensch ist ein geselliges Tier, liebt bisweilen den Exzess, auf jeden Fall das schöne Beisammensein, die Künste, das Spiel. Tja, und alle, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten, haben jetzt die Arschkarte: Die Bundesregierung hat ihr Tun für am entbehrlichsten erklärt. Kultur und Freizeit sollen dichtmachen, um die sogenannte zweite Welle der Pandemie zu brechen und den Rest des Landes am Laufen zu halten. Macht ja auch Sinn: Geschlossene Schulen und offene Kneipen? Wäre schwer vermittelbar.

Die Beschlüsse von Kanzlerin Merkel und der MinisterpräsidentInnen der Länder sind nachvollziehbar: Wo sich zwei oder drei versammeln, ist Corona zwar selten unter ihnen, bei zwei- bis dreihundert ist die Wahrscheinlichkeit aber sehr hoch, dass eine infizierte Person da­runter ist. Besonders oft übertragen wird, wo man sich entspannt, die Maske fallen lässt oder dicht beisammen in geschlossenen Räumen ist. Dass Shoppingmalls offen bleiben sollen: ungerecht, doch da lässt sich eine Maskenpflicht eher kontrollieren als im diffusen Nachtleben.

Für die Kulturschaffenden ist das hart: Ihr Opfer soll die zweite Welle brechen; das ist zwar epidemiologisch vernünftig, hat aber einen bitteren Beigeschmack: Der Chef eines Opernhauses macht weniger Rabatz als der BDI, der Mittelstand oder der Einzelhandelsverband. Aber, daran sei erinnert: Beim ersten sogenannten Lockdown im März gab es nie eine Pflicht der Wirtschaft, die Fabriktore zu schließen. Das geschah, weil die Nachfrage einbrach und Zulieferer aus aller Welt fehlten.

Die Konsequenz für die Kulturschaffenden muss jetzt sein: Wenn schon die runterfahren müssen, die am wenigsten Widerstand leisten, dann helfe man ihnen auch bedingungslos. Ob nun durch einen befristeten staatlichen Unternehmerlohn in Höhe von 1.200 Euro für Soloselbstständige oder durch Ausweitung von Hilfen und Hilfskrediten auf Kleinstbetriebe. Ist alles im Gespräch. Gut so.

Und dann reicht es aber auch mit den Krokodilstränen über Fitnessstudios oder Kinos. Die Freizeitwirtschaft bringt bei Weitem nicht die einzigen Opfer. Es sind alle. Denn ja, es ist ein brutaler Eingriff in die Grundrechte, wenn eine Regierung schreibt: „Der Aufenthalt in der Öffentlichkeit ist ab sofort nur mit den Angehörigen des eigenen und eines weiteren Hausstandes gestattet.“ Aber die meisten Menschen in Deutschland begreifen zum Glück den simplen Umstand, dass Covid-19 ohne solche temporären Einschränkungen zu viele Opfer fordern würde.

Reichen die jetzigen Maßnahmen? Das wird wahrscheinlicher, je mehr sich daran halten. Ansonsten können wir uns bald wieder darüber ärgern, wie schlecht die Schulen für Homeschooling ausgestattet sind.

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Ingo Arzt
ehem. Wirtschaftsredakteur
Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.
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8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • schöner Artikel

  • Zum Thema Homeschooling: Es gibt nicht nur Schulen, es gibt auch Eltern. Nicht alle sind auf Unterricht gleich gut vorbereitet. In einem lokalen Hilfeforum der ersten Welle habe ich kostenlose Hilfe beim Unterricht angeboten. Ich bin Ingenieur, habe Erfahrung nicht nur vom Nachhilfegeben von früher, u.a. Latein, sondern auch aus einem aktuellen Lehrauftrag an der Hochschule. Nachfrage? Exakt null. Bei so viel totalem Desinteresse an Bildung und den eigenen Kindern ist es, bei allen unbestrittenen Mängeln, billig und dumm auf die Schule zu schimpfen. Geht es um Bildung, oder nur darum, die Blagen nicht auch noch tagsüber am Hals haben zu müssen?

  • Was spaßig wäre - und einfach nur gerecht:

    Wenn Markus Söder sich nächste Woche eine Portion Erdäpfelbrei mit Kraut und Gselchtem liefern lassen will, und der Lieferdienst sagt: "Nö.



    Du kriegst hier kein Essen mehr. Kannst dir selber was kochen."



    Und der nächste auch.



    Und der nächste auch.



    Und so weiter.

    Und wenn die Kanzlerin versucht, für irgendein systemrelevantes Event beim BDI oder so eine musikalische Bespaßung aufzutreiben, und die Orchesterleitung sagt: "Nö.



    Du kriegst hier keine Kultur mehr. Kannst dir selber einen fiedeln."



    Und die nächste auch.



    Und die nächste auch.



    Und so weiter.

    Es ist das Recht aller Gewerbetreibenden, sich die Kundschaft selber auszusuchen. Nur systematische Diskriminierung ist verboten. Individuelle Ablehnungen sind legal. Ist wie bei Hausverbot für Kneipenschläger.

  • Wie ist das eigentlich in Kairo und Meu-Delhi mit dem Stay-home Lockdown?



    In diesen Städten leben die arbeitenden Armen auf so engem Raum, dass zwischen den Fenstern das Mindesabstandsgebot nicht eingehalten werden kann. Sie müssten aus ihren Häusern raus in die Wüste oder auf den Indischen Ozean gebracht werden, damit sie in gleichmäßigem Abstand sich nicht anstecken.



    In den Villenvierteln gibt es seit je her genug "sozialen Abstand". Den Armen ist das gar nicht möglich. Dann waschen, kochen, alles auf engstem Raum.

  • 1G
    15451 (Profil gelöscht)

    "Diesmal treffen die Corona-Beschränkungen die Kulturschaffenden am härtesten."



    War doch schon letztes Mal so. Die tolle Förderung gabs nur für betriebliche Ausgaben, also etwa Miete von Unterrichtsräumen. Was bekam ein privat Musiklehrer, der bei den Schülern oder bei sich im Wohnzimmer unterrichtet? Was bekam ein Alleinunterhalter, der ja generell in fremden Räumen aufspielt? Was bekam ein Musiker, der mit Spielen bei Konzerten seine Brötchen verdient? Richtig, alle drei gingen leer aus! Wer das Pech hat, hauptsächlich in kirchlichen Orchestern zu muggen, den traf es wirklich hart, denn da sind Passions-, Oster- und Weihnachtszeit die Wochen im Jahr, wo man normalerweise die gute Hälfte der Jahreseinnahmen erwirtschaftet...

    • 1G
      15610 (Profil gelöscht)
      @15451 (Profil gelöscht):

      ....das stimmt leider sooo nicht ganz. Ich habe als sog. Kulturschaffender seit April keine Einnahmen. Die Kosten meiner persönlichen Lebensführung, also Wohnungsmiete, Nebenkosten, Nahrung werden aktuell durch Coronagrundsicherung - AGL2, bestritten - zwar knapp- aber immerhin. Diese Leistung steht allen zu, die coronabedingte Einnahmeausfälle haben und entsprechende Vermögensverhältnisse nicht überschreiten. Mein weitaus größeres Problem besteht gerad in der mangelnden Förderung der betrieblichen Ausgaben, durch mein Atelier habe ich laufende Betriebskosten,die nur für die ersten drei Monate durch die Coronasoforthilfe des Bundes gedeckt wurden, seither zahl drauf.

      • 1G
        15451 (Profil gelöscht)
        @15610 (Profil gelöscht):

        Ich kenne welche, wo gerade die Vermögensverhältnisse das Problem sind. Da hatte man sich mühsam was zusammengespart, was in diesen Berufen eh nicht leicht ist... Andere wie die Lufthansa und ihre Aktionäre werden von der Politik in Watte (also tausende Millionen Steuergelder) gepackt! Und da soll man nicht den Hass kriegen?

  • Dieses Corona ist eine echte Zumutung, da hat die Kanzlerin recht. Ich glaube, ich werde jetzt aus lauter Langeweile eine sanierungsbedürftige Wohnung kaufen u sanieren. Was soll man auch sonst machen, wenn man zu Hause alles tippi-toppi in Schuß gebracht hat, das neue Apple Air 4 Wochen Lieferzeit hat und man nicht ausgehen, nicht in Urlaub, nicht ins Theater, nicht mal Leute treffen kann. Das Gebot der Stunde bleibt, geistig u körperlich fit zu bleiben.