Neue Bücher zur Buchmesse: Das Ende des Geheimnisses
Der Philosoph Byung-Chul Han nimmt die freiwillige Selbstauslieferung und -ausbeutung der „Transparenzgesellschaft“ in den Blick.
„Lieber Christian, so geht Transparenz“, hieß es zu Beginn des Jahres auf dem Werbeplakat eines Berliner Dessousladens an die Adresse des damals noch amtierenden Bundespräsidenten Wulff gerichtet – daneben das Bild einer durchscheinend gewandeten Frau.
Ein grober Witz, den der Philosoph Byung-Chul Han kaum zum Lachen finden dürfte, vermischen sich in dieser Botschaft doch gleich mehrere Aspekte von Transparenz, die er in seinem Buch „Transparenzgesellschaft“ kritisiert.
Da wäre zunächst das Insistieren auf Transparenz im politischen Raum, das auch der frühere Bundespräsident, zumindest nominell, für sich in Anspruch genommen hatte. Han allerdings gibt zu bedenken, dass Politik als strategisches Handeln stets Geheimnisse erfordere: „Eine totale Transparenz lähmt sie.“ Transparenz diene vielmehr dazu, das bestehende System zu stabilisieren.
Das klingt erst einmal überraschend. Wikileaks oder die Piratenpartei hatten immerhin behauptet, Transparenz sei ein sinnvolles Mittel zur Gestaltung von Demokratie. Han hingegen bescheidet die Piraten knapp mit dem Hinweis, sie seien als „Anti-Partei“ überhaupt „nicht in der Lage, einen politischen Willen zu artikulieren und neue gesellschaftliche Koordinaten herzustellen“. Denn: „Ganz transparent ist nur der entpolitisierte Raum.“
Warenförmige, pornografische Oberflächen
Im Zwang zur Transparenz manifestiert sich für Han zudem eine „Positivgesellschaft“, die jede Form der Negativität ablehnt – wie den von Facebook beharrlich verweigerten „Dislike“-Button.
Denn mit dem geriete die Kommunikation ins Stocken und ließe sich nicht mehr ökonomisch verwerten. Genau darum aber geht es der beschleunigten Information: Im Zeitalter von Facebook werde sogar das Antlitz des Menschen als Bild warenförmig und damit zu einer ausgestellten Oberfläche, die bloß noch pornografisch sei.
Han dekliniert das Phänomen Transparenz unter Stichwörtern wie „Beschleunigungsgesellschaft“, „Intimgesellschaft“ oder „Kontrollgesellschaft“ durch, wobei sein Tenor stets der gleiche bleibt: Transparenz führt zu „obszönen“ Erscheinungen wie Hyperaktivität, Hyperproduktion und Hyperkommunikation oder reduziert die Öffentlichkeit auf einen bloßen „Ausstellungsraum“ fernab gemeinsamen Handelns. Seine Beobachtungen sind als Gesellschaftskritik oft zutreffend, in ihrer quasi-apokalyptischen Aneinanderreihung mitunter aber etwas fugenlos kulturpessimistisch.
Selbstkontrolle der Leistungsgesellschaft
Mit seiner Transparenzkritik knüpft Han an seinen vor zwei Jahren erschienenen Band „Müdigkeitsgesellschaft“ an, in dem er eine viel beachtete Kritik an der Leistungsgesellschaft formulierte: Auch Transparenz läuft bei ihm am Ende auf eine neue Form der Selbstkontrolle der Leistungsgesellschaft hinaus, auf ein „aperspektivisches Panoptikum“.
Mit diesem „digitalen Panoptikum“ von heute zitiert Han das gleichnamige Gefängnismodell des Philosophen Jeremy Bentham, in dem die Gefangenen dem unsichtbaren Blick eines Wächters im Zentrum einer kreisförmigen Anlage ausgeliefert sind und dadurch kontrolliert werden. Mittlerweile jedoch würden die Bewohner des Panoptikums – der sozialen Netzwerke etwa – selbst an ihrem unsichtbaren Gefängnis mitarbeiten, sich dazu freiwillig entblößen und einander kontrollieren.
Transparenz ist in dieser Konstellation kein moralischer, sondern ein rein ökonomischer Imperativ: „Ausleuchtung ist Ausbeutung“. Das Soziale wird so ausgebeutet und zu einem „funktionellen Element des Produktionsprozesses degradiert und operationalisiert“. Freiheit endet für Han in Kontrolle. Sein Buch ist ein entschiedenes Plädoyer gegen die universalisierte Entblößung.
Byung-Chul Han: "Transparenzgesellschaft". Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2012, 96 Seiten, 10 Euro
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