Neue Ausstellung über Ost-Berlin: Als der Alex noch ein Spielplatz war
30 Jahre nach dem Mauerfall schaut eine neue Ausstellung auf „Ost-Berlin. Die halbe Hauptstadt“. Im Mittelpunkt: das facettenreiche Alltagsleben dort.
„Keine Macht für niemand“: Die Rückseite einer Jeansjacke zeigt den Anarchospruch von einem Plattencover von „Ton Steine Scherben“. Die Jacke stammt aus Lichtenberg, dort befand sich mit der Erlöserkirche in Rummelsburg einer der wichtigsten Treffpunkte von Punks in Ostberlin.
Punks und Arbeiterinnen, SED-Funktionäre und Oppositionelle, sie alle lebten in Ostberlin auf engstem Raum. Mit ihren 1,1 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern war die Stadt zwischen Mitte und Marzahn, Pankow und Treptow nicht nur die Hauptstadt der DDR, sondern – sorry, Leipzig – auch ihre einzige Metropole. Dreißig Jahre nach dem Mauerfall bekommt sie nun im Ephraimpalais ihre erste Ausstellung. Die trägt den Titel „Ost-Berlin. Die halbe Hauptstadt“.
Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag räumte Paul Spies, Direktor der Stiftung Stadtmuseum, ein, dass die Ausstellung auch nach dem Erfolg der Westberlin-Schau vor fünf Jahren alles andere als selbstverständlich war.
„Als ich mein Amt antrat“, so der gebürtige Niederländer, „habe ich gefragt, wann wir nun die Ostberlin-Ausstellung machen.“ Die Reaktion seiner Mitarbeiter sei Schweigen gewesen. „Vielleicht lag das daran, dass die Komplexität beim Thema Ostberlin größer ist als bei Westberlin“, mutmaßte Spies. „Da konnte man erzählen und zeigen, ohne dass es als Nostalgie wahrgenommen wurde.“
Eldorado der Ost-Subkultur
Auf Ausstellungskurator Jürgen Danyel lastete also eine hohe Bürde. Nicht nostalgisch sollte er sein und dennoch viele Geschichten erzählen, den facettenreichen Alltag abbilden und gleichzeitig die Inszenierung der „Hauptstadt der DDR“ als „Schaufenster der DDR“ anschaulich machen.
„Lange Zeit haben wir Ostberlin als stellvertretend für die ganze DDR wahrgenommen“, sagte Danyel, „auch die Aufarbeitung der SED-Diktatur hat sich lange an der Hauptstadt abgearbeitet.“ Doch neben dieser Erzählung gebe es noch eine zweite: die des Eldorados der DDR-Subkultur, beispielhaft fokussiert auf den Mythos Prenzlauer Berg. „Zwischen diesen beiden Erzählungen gibt es eine ganze Stadt und ihre Gesellschaft zu entdecken“, erklärt Danyel das Konzept der Ausstellung. „Das Politische ist präsent, wir behandeln es aber so, wie es im Alltag erfahrbar war.“ Mit diesem Ansatz hatte das Stadtmuseum auch schon bei der Ausstellung „Berlin 1937. Im Schatten von morgen“ Erfolg.
Beim Eintritt ins Foyer stehen die Besucherinnen und Besucher auf einem alten Stadtplan von Ostberlin, der Westteil der Stadt war darauf ein blinder Fleck. Wer aber oben auf dem Fernsehturm Kaffee weiß oder komplett trank, hatte die ganze Stadt vor Augen, ein Tal der Ahnungslosen war Ostberlin nicht.
Die Ausstellung
„Ost-Berlin. Die halbe Hauptstadt“ beginnt am Freitag mit einem Eröffnungsfestival. Der Eintritt ist frei. Die Schau, die das Stadtmuseum mit dem Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZFF) organisiert hat, wird bis zum 9. November gezeigt.
Das Buch
Im Ch. Links Verlag ist ein lesenswerter Begleitband erschienen, den Jürgen Danyel herausgegeben hat. Mit Texten u. a. von Lea Streisand, Regine Sylvester und Marion Brasch. 448 Seiten, 25 Euro.
Im Begleitprogramm
finden über 150 Veranstaltungen in elf Bezirken statt, darunter auch Führungen durch ehemals besetzte Häuser. Kooperationspartner sind die Bezirksmuseen. Mehr unter ost.berlin/ (taz)
Und auch kein langweiliger Ort, wie die über 600 Fotos zeigen, die in der Ausstellung zu sehen sind. Stellvertretend für das öffentliche Leben werden der Alexanderplatz und der Prenzlauer Berg in den Blick genommen, wo die Schönhauser Allee mit dem „Magistratsschirm“ schnell zur Magistrale der Metropole wurde, weil die Friedrichstraße nach dem Mauerbau nur noch eine halbe Straße war.
Von Hirschhof bis Gasometer-Sprengung
Vielfältig sind die Themen, sie reichen von Wohnen und Arbeiten bis zum Konsum in der besser als der Rest der DDR versorgten Hauptstadt. Im Ausstellungskapitel „Freiräume“ wird nachgezeichnet, wie sich die Menschen nach und nach in die Stadtplanung einmischten. Die Sprengung der Gasometer am heutigen Thälmannpark konnten sie nicht verhindern, dafür entstand in der Oderberger Straße der Hirschhof als selbstverwaltetes Hinterhofensemble. Namensgebend war eine aus Stahl geschweißte Skulptur von Hans Scheib, der bereits mit seinem „Treptower Friedenskämpfer“ für Aufsehen gesorgt hatte. „Dass Scheib einen Ausreiseantrag gestellt hatte, hinderte die öffentlichen Stellen nicht, ihm den Auftrag für die Hirschskulptur zu geben“, sagt Albrecht Henkys von der Stiftung Stadtmuseum.
Die Grenzen zwischen Auftragskunst und subversiver Kunst waren spätestens Mitte der achtziger Jahre fließend geworden. Bewegung war auch in die Musik- und Theaterszene gekommen. Nicht mehr nur in Nischen trat die Subkultur in Erscheinung, sondern auch im staatlichen Haus der jungen Talente. Diese Eroberung des öffentlichen Raums durch ein kulturell und politisch unangepasstes Milieu machte Ostberlin für die SED zum Problem.
Hans Scheibs Hirschskulptur und der „Treptower Friedenskämpfer“ sind zwei von tausend Objekten der Schau, die sich über alle drei Etagen des Ephraimpalais auf 700 Quadratmetern erstreckt. Eine filmische Straßenbahnfahrt von Marzahn zum Rosenthaler Platz gehört ebenso dazu wie Exponate aus dem Modeinstitut der DDR in der Brunnenstraße, das die legendäre Zeitschrift Sibylle herausgegeben hat. Die wiederum war für Fotografen wie Roger Mehlis oder Ute Mahler eine wichtige Plattform.
Was wusste man vor dem Fall der Mauer von alldem im Westen? Für die meisten Besucher, weiß Kurator Danyel, war das politische „Branding“ der DDR-Hauptstadt „oftmals befremdlich und gewöhnungsbedürftig“. Die meisten Ostberliner dagegen blendeten es „mit einem Filter aus Übersättigung, Gleichgültigkeit und spöttischer Ironie“ aus.
Inzwischen aber haben sich die Ost- und die Westsicht auf Ostberlin angeglichen. Auf den Treppenabsätzen im Ephraimpalais stehen Schlagwörter, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Museums gesammelt haben. Sie lauten „Palast der Republik“, „Weltfestspiele“ und „Ahornblatt“, aber auch „modern“, „Stau“ und „Heimat“.
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