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Neue Ausgabe von „Charlie Hebdo“„Mehr als Heilige und Propheten“

Islamisten, der Papst, neue falsche Freunde –  „Charlie Hebdo“ ist bissig wie eh und je. Mehrere Karikaturen sind bisher unveröffentlichte von den Opfern.

Gleich eine Ausgabe gesichert: ein „Charlie“-Leser in einem Café in Paris. Bild: reuters

PARIS taz | Trotz der Riesenauflage von drei Millionen gab es an den Pariser Zeitungskiosken bei weitem nicht genug Exemplare für alle. An manchen Verkaufsständen hing schon nach sieben Uhr in der Frühe ein Plakat „Kein Charlie Hebdo mehr“. Wo noch ein paar Dutzend vorhanden waren oder nachgeliefert wurden, standen bis zu hundert Leute Schlange.

Vorausschauende hatten sich ihr Exemplar schon vor Tagen reserviert. „Morgen oder übermorgen vielleicht“, bekamen die anderen zu hören, die sich vorerst mit einigen in den Medien publizierten Auszügen begnügen oder eine dieser begehrten Sondernummern ausleihen müssen.

Angesichts des reißenden Absatzes sollen zwei Millionen zusätzlich gedruckt werden, hieß es im Verlauf des Tages. Wenn man bedenkt, dass Charlie Hebdo wegen finanzieller Probleme kurz vor dem Aus stand …

„Seit Menschengedenken“ habe es wohl eine solche Nachfrage nicht gegeben, staunte in der Nähe von Montparnasse der Kioskinhaber, Jean Nguyen; vielleicht habe es ähnliche Szenen beim Kriegsende gegeben oder nach der ersten Mondlandung, vermutet er. Wie generell in den letzten Tagen führt das gemeinsame Warten die Leute zusammen, sie diskutieren über die Attentate und natürlich über Charlie Hebdo. „Ich habe das Blatt vorher höchstens drei-, viermal im Jahr gekauft“, gesteht die 50-jährige Designerin Véronique. Sie war ab 6.45 Uhr die Erste vor dem Laden.

Nicht naiv

Andere sagen, sie hätten Charlie Hebdo eigentlich nie gelesen, aber jetzt seien sie neugierig und wollten unbedingt diese historische Nummer besitzen. Im Internet tauchten bereits wenig später Raubkopien auf und Angebote für „gebrauchte“ Exemplare für 100 bis 250 Euro!

Es war allein schon eine erstaunliche Leistung der dramatisch dezimierten Redaktion der Charlie-Hebdo-Macher, nur wenige Tage nach dem Schock des Attentats ihre Nummer herauszubringen. Sie bezeichnen sich selber als „Überlebende“. Für die Ausgabe danach, die erst für Ende Januar angekündigt ist, benötigen sie eine Gedenkpause und Reorganisation.

Die Lust auf bissigen Humor ist ihnen aber nicht vergangen. Sarkastisch meinen sie zur weltweiten Unterstützung: „Seit einer Woche hat die atheistische Zeitung Charlie mehr Wunder vollbracht als alle Heiligen und Propheten zusammen.“

In einem Leitartikel danken sie „von ganzem Herzen den Millionen Menschen für ihre Solidarität, betonen aber bezüglich der unzähligen „neuen Freunde“ auch, sie seien nicht naiv. Unter den vielen, die jetzt sagen „Je suis Charlie“, habe es „Namenlose und weltberühmte Prominente“ gegeben, „Habenichtse und Mächtige, Ungläubige und religiöse Würdenträger, Aufrichtige und Verlogene, Freunde fürs Leben und andere, die bloß kurz vorbeischauen“. Jeder werde selber wissen, in welche Kategorie er gehöre.

Plötzlich geliebt

Bei aller Freude über diese Ermunterungen und Ermutigungen bedauern die Charlie-Macher, dass man sie in der Vergangenheit oft mit ihrer mutigen Kritik alleingelassen und stattdessen als „provokative und verantwortungslose Muslim- und Christenhasser oder Rassisten, die Öl ins Feuer gießen und die sich (die Racheakte) selber eingebrockt haben“, beschimpft habe.

Ihre Extranummer strotzt darum erst recht vor sarkastischen Zeichnungen über Islamisten und Dschihadisten. Auch der Papst und die gutbürgerliche Moral bleiben Lieblingsthemen ihrer Satire. So ist Franziskus wegen seiner scharfen Kritik an der Kurie wie ein kommunistischer Staatsfeind mit einem Messer im Mund dargestellt, der ruft: „Päpste aller Länder, vereinigt euch!“. Auf Seite 2 sieht man unter dem Titel „Jalta-Konferenz im Vatikan“ Repräsentanten der großen Religionen, die die Welt in Einflusszonen aufteilen. In der Mitte steht frohlockend zur Pariser Großkundgebung vom Sonntag: „Mehr Leute bei Charlie als in der Messe“. Auf der letzten Seite sind mehrere Entwürfe für das Titelblatt zu sehen.

Mehrere der Karikaturen auf den insgesamt 16 Seiten sind bisher unveröffentlichte Zeichnungen von Cabu, Charb, Wolinski, Tignous und Honoré. Darunter eine Karikatur des Chefs der Terrormiliz Islamischer Staat, al-Bagdadi, mit dessen „Neujahrswünschen“, die Honoré wenige Minuten vor dem Massaker auf Twitter publiziert hatte.

Von Charb stammt eine Zeichnung mit drei griesgrämigen Islamisten: Einer sagt, man solle sich nicht an Charlie Hebdo vergreifen, denn sonst würden die Zeitungsmacher zu Märtyrern, die im Paradies den Dschihadisten die Jungfrauen abspenstig machen. Von der ebenfalls von den Terroristen ermordeten Psychoanalytikerin Elsa Cayat ist ein Text über die Fähigkeit, sich trotz aller Ängste zu lieben, abgedruckt.

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12 Kommentare

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  • im übrigen....

    "Von der ebenfalls von den Terroristen ermordeten Psychoanalytikerin Elsa Cayat ist ein Text über die Fähigkeit, sich trotz aller Ängste zu lieben, abgedruckt."

    statt die nachwelt mit den immerselben cartoons zu beglücken wär wohl gescheiter gewesen, dem publikum diesen text zur kenntnis zu bringen..

  • dieser absatz

    "Bei aller Freude über diese Ermunterungen und Ermutigungen bedauern die Charlie-Macher, dass man sie in der Vergangenheit oft mit ihrer mutigen Kritik alleingelassen und stattdessen als „provokative und verantwortungslose Muslim- und Christenhasser oder Rassisten, die Öl ins Feuer gießen und die sich (die Racheakte) selber eingebrockt haben“, beschimpft habe." hat was. der hat wirklich was. zumal man die auseinandersetzung/en nachlesen kann bei http://www.article11.info/?Charlie-Hebdo-pas-raciste-Si-vous bzw. http://posthypnotic.randomstatic.net/charliehebdo/Charlie_Hebdo_article%2011.htm für die, welche in französisch nicht so elaboriert.

    wer sich da durcharbeitet, stellt fest: es ging nicht um xy-hasser und solch nickeligkeiten - es ging um die frage, ob man sich im bett des "war on terror" und des "clash of civilizations" prostituiert oder nicht.

  • a propo Freunde: wie wär's denn mit Satire anläßlich der Symbolpolitik der untergehakten Staatenlenker?

  • 1G
    1393 (Profil gelöscht)

    Nunja,

     

    "mutigen Kritik" ist es weniger, wenn man darauf abzielt, mit fäkaler Verunglimpfung eines "Propheten" Muslime maximal zu kränken, bzw. viel mehr Islamhasser maximal zu befriedigen.

     

    „provokative und verantwortungslose Muslim- und Christenhasser / Rassisten, die Öl ins Feuer gießen"

     

    trifft es schon recht genau, wenn man sich zum Beispiel das letzte Cover vor dem Anschlag betrachtet

     

    http://qph.is.quoracdn.net/main-qimg-ddd3904e07d024cc09ecc4d76145f73d?convert_to_webp=true

     

    und sieht, dass Muslima in Frankreich im Rahmen einer Kindergeldpolemik zu BokoHaram Anhängerinnen verunglimpft werden. Für mich hat das durchaus Stürmer-Niveau.

     

    Das das Bekenntnis zur Pressefreiheit bei der Übernahme der zur Hetze gegen Moslems dienenden "Jillands" Karikaturen eine billige Lüge war, lässt sich leicht an der Entlassung von Maurice Sinet erschließen. Der musste gehen, weil er Sarkozys Sohn bei seiner wohl finanziell&Ehe begründeten Konversion zum Judentum (das weit weniger heftig als Moslems) karikiert hat, und sich dafür nicht entschuldigen wollte. Aha.

     

    Und was die Selbstgefährdung betrifft, wem Moslem karikieren nicht genug ist, der unbedingt den "Propheten" mit Dreck besudeln will, weil er das mit Christus zur Kränkung von Christen so gern tut, der setzt sich in dieser Welt ähnlichen Gefahren aus, wie auf einer Hells Angels Party alle Hells Angels als Pimmellose Spinner zu bezeichnen. Es gibt nunmal unter den Moslems auch(!) spinnerte gewaltbereite Verbrecher, die auf solchen Scheiß reagieren. Das können auch andere Moslems nicht ausschalten. Solange es diese Spinner gibt, kann man sich zwar sagen, dass die Moslems es halt aushalten müssen, aber die wenigen Suizidmoslems sagen sich das leider auch. Und daran können andere Moslems auch nichts ändern!

    • @1393 (Profil gelöscht):

      Es erwächst kein Unrecht daraus Anhänger von Mythen und weltanschaulichen Zwangsvorstellungen die Fragwürdigkeit ihrer Vorstellungen vorzuhalten.

       

      Sie rechtfertigen hier rechtswidrige Gewalt gegen unliebsame Ansichten.

       

      Und versucehnsich gleichzeitig von jeder Verantwortung dafür frei zu sprechen? Ziemlich dummdreist, finden Sie nicht?

       

      Mit welchem "Recht" beanspruchen Sie eigentlich die Deutungshoheit über Satire? Lesen Sie nochmal das GG, das einzige positive Sonderrecht eines "Gläubigen" ist zu glauben was er will.

       

      Das Recht auf ungestörte Religionsausübung hat klare Grenzen die auch Sie nicht sanktionslos überschreiten werden.

       

      Mit der Kultivierung einer peinlichen "Blame - culture" werden sich Menschen mit fiktiven großen Brüdern nur weiterhin als das outen was sie sind: Pathologische Fälle.

      • @KarlM:

        Sigmund! kundschaft!

        • @christine rölke-sommer:

          Wohl eher meine Kundschaft, wird auch ganz ohne Psychoanalyse bearbeitet.

          • @KarlM:

            tja, das ist der haken an Ihrer bäh-arbeitung.

      • 1G
        1393 (Profil gelöscht)
        @KarlM:

        Sie spinnen sich was zusammen:

         

        "Sie rechtfertigen hier rechtswidrige Gewalt gegen unliebsame Ansichten."

         

        Das tue ich natürlich nicht!

         

        Solange es Menschen gibt, die bei bestimmter Provokation bereit sind, das eigene Leben in den Müllcontainer zu werfen, werden andere Menschen bei der Provokation immer damit rechnen müssen, dass sie auf solchen Spinner treffen.

         

        Das nennt man nicht "rechtfertigen von Gewalt", sondern: "ERKLÄREN VON GEWALT"

         

        Zudem erkläre ich, was bei Hebdo VERKLÄRT wird. Bei Hebdo ging es eben nicht um Pressefreiheit, zumal Moslems, wie schon an Beispielen erklärt, deutlich anders als Juden behandelt worden sind. Es ging um Auflage und pers. Fokus. Wenn Jemand C. Hebdo zu Märtyrer erklären will, soll er es tun. Ich sehe in C.Hebdo nur bedauernswerte Scheinheilige, die sich unnötig als Zielscheibe in Gefahr gebracht haben.

         

        Wem es unbedingt ein Bedürfnis ist, den Propheten der Moslems verunglimpfend zu karikieren, der muss leider damit rechnen, dass die Irren aus ihren Löchern kommen. Wer als Abtreibungsarzt arbeitet, der muss einkalkulieren, dass Christen auftauchen, die ihn umbringen. Wer auf einen Berg ohne Sicherungsleine steigt, der muss auch mit einem Absturz rechnen.

         

        Wer die Welt rational sieht, der muss damit rechnen, dass irgendwelche Rassisten diese Taten der Einzelnen dieser Gruppe allen dieser Gruppe anlasten! So gibt es Menschen, die allen Deutschen die NSU Morde unterschieben wollen, genauso wie jene Freaks andere Gemeinschaften zu pathologischen Fällen erklären wollen.

        • @1393 (Profil gelöscht):

          Sie rechtfertigen ein Verbrechen, einen Mehrfachmord, aus nichtigem Anlass.

           

          Niemand "muss" für seine Meinung oder Haltung getötet werden.

           

          "Religion" ist keine "Rasse",

           

          und "Rassen" gibts beim Menschen auch nicht!

  • Der Hinweis auf die neuen (falschen) Freunde ist sehr wichtig. Religion ist immer eine Form von (Aber)Glauben und verträgt sich nicht mit mit einer demokratischen und aufgeklärten Gesellschaft.

  • Bisher konnte ich natürlich nur die Titelseite sehen und finde sie total gelungen - großartig.

     

    Alles jubelt - nur die Independant nicht: "Freiheit ist die eine Seite der Medaille. Speziell beim Recht auf freie Meinungsäußerung ist Respekt die andere Seite. ", so das Blatt. Würde jedoch Charlie Hebdo eingestellt oder sich mäßigen - wie würden die Anstifter dieses terroristischen Akts das wohl auffassen? Ich vermute, sie würden darin einen Erfolg sehen, liebe Independant-Leute, und ihre "Maßnahmen" intensivieren.

     

    Das kann doch wohl nicht Euer Ernst sein...