Neuanschaffung der Polizei: Straßensperre in drei Minuten
Die Polizei in Berlin hat sich 118 neuartige Straßensperren gekauft, die man mit Wasser befüllen kann. Sie sollen vor Lkw-Attentaten schützen.
Die mobilen wassergefüllten Straßensperren sind eine Neuanschaffung der Berliner Polizei. Am kommenden Samstag beim DFB-Pokalfinale im Olympiastadion werden sie zum zweiten Mal eingesetzt. Premiere war am 1. Mai: Rund um die Partymeile in Kreuzberg auf der Heinrich-Heine-Straße etwa oder auf der Oranienstraße versperrten die brusthohen schwarzen Kunststoffbehälter, Durchmesser 1,10 Meter, die Fahrbahn. Aufgebaut waren sie jeweils in Dreier- oder Sechserblöcken.
Indutainer – Kurzform von Industriecontainer – heißen die Dinger. Entwickelt und hergestellt werden sie von der gleichnamigen Firma in Greven, die auch das Patent besitzt. Seit Oktober 2017 sind die Indutainer im Handel. Rund 1.200 Stück sind seither deutschlandweit verkauft worden, sagt Indutainer-Geschäftsführer Martin Siegbert der taz. Vor allem Städte im Rhein-Main-Gebiet seien Kunden. Auch den Katholischen Kirchentag in Münster habe die Firma beliefert. Im nördlichen Raum gehöre Berlin zu den ersten Abnehmern. „Die Lieferung in die Hauptstadt ist noch ganz frisch.“
Kurz vor dem 1. Mai hat die Polizei 118 Indutainer für insgesamt 22.322 Euro gekauft, bestätigt Polizeisprecher Winfrid Wenzel. „Für so ein niedrigschwelliges Einsatzmittel ist das eine relativ kleine Investition“, findet Wenzel und gerät richtig ins Schwärmen. „Das ist ein wirklich gutes Instrument – flexibel, funktional, Dekra-zertifiziert.“
Betonsperren sind umständlich
Straßensperren sind bei Großveranstaltungen heutzutage ein Muss. Sie sollen verhindern, dass Attentäter, wie etwa in Nizza, Berlin, London und zuletzt in Münster, mit einem Auto oder Lastwagen in Menschenmengen rasen. Seit dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz, bei dem 12 Menschen starben, riegelt die Polizei Großevents – wie die auf der Fanmeile oder im Olympiastadion – zumeist mit quergestellten Polizeifahrzeugen ab. Betonsperren werden selten eingesetzt, weil für den Transport der Betonklötze Kräne und Lastwagen erforderlich sind. Das Angebot der Firma Indutainer kam da wie gerufen.
Martin Siegbert, Hersteller
Für den kleinen Fünfmannbetrieb in Greven könnte die Erfindung zur Goldgrube werden. Auch die Schweiz habe schon angefragt, berichtet Chef Siegbert. Eher zufällig sei man auf die Idee gekommen, das Kerngeschäft zu erweitern. Bislang fertigte die Firma Kunststoffcontainer für den Transport und die Lagerung von flüssigen und hochpastösen Produkten für die Industrie und Privatkunden an. Auf Wunsch machte man Spezialanfertigungen.
Irgendwann im Spätherbst 2016 sei er bei der Feuerwehr in Bad Homburg gewesen, um über eine geeignete Verpackung für Streusalz zu reden, erinnert sich Siegbert. Dabei sei das Gespräch auf den Anschlag in Nizza gekommen, der im Sommer stattgefunden hatte. Volksfeste in Bad Homburg würden seither mit großen Wasserfässern gesichert, erfuhr Siegbert von der Feuerwehr. Das Problem sei nur: Die Fässer leckten – „die können das Wasser nicht halten“. Ob er, Siegbert, vielleicht helfen könne?
Entwicklung und Tests dauerten ein gutes Jahr. Dann kam der faltbare Container mit einem Aufnahmevolumen von 1.500 Liter, festem, textilem Boden und einem Oberboden mit verschließbaren Einfüllstutzen auf den Markt. „Im Grunde genommen ist das ein wassergefüllter Airbag“, erklärt Siegbert.
Mit Wasser keinerlei Schaden
Der letzte Test wurde im August 2017 im Beisein der Dekra durchgeführt. Mit 48 Stundenkilometern prallte ein 7,5-Tonner auf den Indutainer. „Nach knapp acht Metern stand das Fahrzeug“, berichtet Siegbert. „Die Energie wird von der Wassersäule komplett absorbiert.“ Der Indutainer platze bei dem Aufprall, das Wasser spritze durch die Gegend, richte aber keinerlei Schaden an. Anders, wenn ein 7,5-Tonner auf einen Betonpoller pralle. „Da entsteht ein Trümmerfeld.“
Mit 160 bis 180 Euro pro Stück sei der Indutainer auch unter finanziellen Gesichtspunkten sehr günstig, findet Siegbert. 4 Euro koste die jeweilige Befüllung. Abwasserkosten fielen nicht an, weil das Wasser nicht verschmutzt werde und in jeden Gully abgelassen werden könne. Weiterer Vorteil unter Umweltaspekten: Die leeren Indutainer kann ein Pkw-Kombi durch die Stadt transportieren. „Es fallen also deutlich weniger Emissionen an als bei einem Lkw.“
Dem Vernehmen nach war es die Polizeihochschule Münster, die die Berliner Kollegen auf das neue System aufmerksam gemacht hat. In Münster arbeitet man zurzeit im Auftrag der Bundesregierung an einem Anforderungskatalog für Fahrzeugsperren. Zwei Wochen vor dem 1. Mai sei er nach Berlin eingeladen worden, berichtet Siegbert. Auf einem Fuhrpark in Zehlendorf habe er vor 30 Polizeiangehörigen demonstriert, wie ein Indutainer funktioniert.
„Form follows function“
Viele Fragen seien ihm nach der Präsentation gestellt worden, erinnert sich Siegbert. Eine war den Polizeioberen besonders dringlich: Wie anfällig sind Indutainer für Sabotageakte? Was, wenn sich Aktivisten einen Sport daraus machen, Löcher in die Container zu bohren? Ein stich- und schnittfestes Gewebe zum Umwickeln der Behälter könne er in zehn Wochen nachliefern, versicherte Siegbert. „Offenbar haben wir überzeugt.“
Unter Schönheitsgesichtspunkten liege Berlin mit der neuen Straßensperre „vielleicht nicht ganz vorn“, räumt Polizeisprecher Wenzel ein. Stockholm gehe da geschmackvoller vor. Kleine Löwen aus Beton würden dort ins Stadtbild integriert. Der Indutainer dagegen ähnele einer großen Einkaufstüte aus Kunststoff. Aber was soll’s. „Form follows function“, tröstet sich Wenzel.
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