: Neu im Kino: Die Wiese im Freien
■ Der Sternenhimmel bleibt auch in der hundertsten Wiederholung spannend. Anmerkung von einem, der noch an den Sommer glaubt
Den vermeintlichen und sehnlichst erhofften Sommer tritt man am besten dadurch an, daß man einfach alles draußen verrichtet: Feste feiern, essen, trinken, Stuhlgang und seit ein paar Jahren nun eben Filme schauen. Es ist eh ein Wunder, daß die Großveranstalter erst relativ spät drauf gekommen sind, das Open-air-Kino zum allsommerlichen Party-Event zu machen, da sie doch sonst immer so eins a verrückte Ideen haben, wenn's darum geht, den Menschen den Feierabend zu vernebeln.
Doch kaum war die Idee prominent genug für die stets gutgelaunte Menge, waren auch alle sogleich mit Hurra dabei. Keiner will ein Frosch sein, zumindest keiner von den Leuten, die auf Filme wie „U-Turn“ oder „Con Air“ stehen. Ist doch verrückt, einen Film im Freien zu sehen.
Sollte man es bisher nicht versäumt haben, gewisse Filme zu versäumen, so schwebt man nun in größter Gefahr des nachträglichen Konsums, denn allüberall wird hemmungslos draufgehalten auf die Geschmacksnerven mit fulminantem Gerumpel wie „Titanic“, mit Besinnlichkeitsgeschmiere wie dem „Englischen Patienten“ oder „Pulp Fiction“-Kult. Die Freilichtbühnen präsentieren auch dieses Jahr knuddeliges Kuschelkino für kuschelige Knuddelkids, die schon untertags nur Kuscheliges erlebt haben und nachts versuchen müssen, den Pegel zu halten.
Was aber soll geschehen, wenn die Aufmerksamkeit der Zuschauer, die da für 15 Mark Eintrittsgeld in irgendwelchen städtischen Anlagen herumfläzen, zu sehr abschweift vom Spielfilm hinauf zum weitaus packenderen Sternenhimmel, den man ja tatsächlich noch in der hundertsten Wiederholung noch spannend findet? Was passiert, wenn das Konsumenteninteresse gebannt wird vom nachbarlichen nächtlichen See, vom leise rauschenden Eichenbaumen, vom lieblichen Gezirp des Enterichs? Was soll aus dem Party- Ereignis Open-air-Kino werden, wenn die Besucher merken, daß ihnen der Top-Act „Wiese im Freien“ bisher von den städtischen Programmzeitungen verschwiegen wurde? Ab Sommer 99 gibt es dann Open-air-Motto-Kino mit Dialogkaraoke und integrierter Schaumparty mit Star-DJ. Kann wahlweise auch drinnen stattfinden, wär' ja mal wieder 'ne ulkige Idee. Da schaut dann auch niemand mehr nach oben. Richard Oehmann
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