„Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“: Fehlende Empirie
Das Akademiker*innen-Netzwerk ist keine Solidaritätsaktion mit türkischen Studierenden. Sie fürchten Repression gegen sich.
Nach der Einsetzung eines AKP-nahen Rektors demonstrieren Studierende der Istanbuler Boğaziçi-Universität für die Freiheit des akademischen Betriebes. Mit brutaler Polizeigewalt werden sie auseinander getrieben, 159 von ihnen festgenommen. Aus diesem Anlass verfassen 70 deutsche Akademiker*innen als „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ ein Manifest, um „die Freiheit von Forschung und Lehre gegen ideologisch motivierte Einschränkungen zu verteidigen und zur Stärkung eines freiheitlichen Wissenschaftsklimas beizutragen“.
Nein, nicht ganz. Gewiss, das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit trat am Mittwoch das erste Mal an die Öffentlichkeit, mit genau der wörtlich zitierten Mission, jedoch geht es ihnen um die weltanschauliche Normierung und politische Instrumentalisierung der Wissenschaft in Deutschland. Beklagt wird ein Konformitätsdruck, der zur unzulässigen Beschränkung der freien akademischen Debatte führe.
„Wenn Mitglieder der Wissenschaftsgemeinschaft aus Furcht vor den sozialen und beruflichen Kosten Forschungsfragen meiden oder sich Debatten entziehen, erodieren die Voraussetzungen von freier Wissenschaft“, schreiben die Recken der Redefreiheit. Man ist dankbar, dass sie endlich den Mut gefunden haben, die Wahrheit auszusprechen. Man mag sich nicht ausmalen, wie viele bahnbrechende Ideen und Theorien in den vergangenen Jahrzehnten in finsteren Schubladen verschwanden, denn anders als durch langjährige massive Selbstzensur, ja schmerzhaftes inneres Exil, ist schließlich kaum zu erklären, wie die Unterzeichner*innen trotz der offensichtlichen Freigeistigkeit ihre Titel erringen konnten. Bis auf wenige Ausnahmen sind sie alle Professor*innen.
Bewundernswert ist auch die Tapferkeit jener Samisdat-Flugschriften, die dieser Geschichte der Unterdrückung und Repression am Rande des Moralkorridors des tumben Mainstreams mit Interviews, Berichten und Kommentaren eine Stimme leihen. Ein Hoch auf FAZ und Zeit und Welt! So gerne würde man mehr erzählen von den perfiden Angriffen, den Bedrohungen, den Verletzungen, jedoch scheinen die Professor*innen vom dringlichen Abgabetermin ihres Manifests etwas überrascht worden zu sein. Auf der Webseite des Netzwerks ist der Bereich „Dokumentation“ jedenfalls „… noch im Aufbau“. Jedoch, um das bisschen Empirie nachzureichen, ist es nie zu spät. Und für die gute Sache warten wir auch gerne noch ein Weilchen mit der Benotung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Jette Nietzard gibt sich kämpferisch
„Die Grüne Jugend wird auf die Barrikaden gehen“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Mehr Zugverkehr wagen
Holt endlich den Fernverkehr ins Deutschlandticket!
SPD Wahlprogramm 2025
Wirtschaft, Rente und ein bisschen Klassenkampf
Vorteile von physischen Spielen
Für mehr Plastik unterm Weihnachtsbaum