Netzüberwachung durch die NSA: Die Bundesregierung weiß von nichts
Die Debatte über eine weitreichende Netz-Überwachung in den USA erreicht nun auch die Bundesregierung. Doch die gibt sich bisher ahnungslos.
BERLIN taz | Millionen E-Mails von Menschen weltweit – einfach so mitgelesen. Nach den Enthüllungen durch den flüchtigen Exgeheimdienstler Edward Snowden, wonach der US-Geheimdienst NSA über Jahre hinweg die E-Mails von Millionen Menschen weltweit gesammelt und ausgewertet hat, ist auch in Deutschland eine Debatte über die Sicherheit des E-Mail-Verkehrs entbrannt – und darüber, was deutsche Behörden von der staatlichen Massenspionage der US-Behörden wussten. Flächendeckende Überwachung durch Partnerdienste – und in Deutschland weiß niemand Bescheid?
Es war Justizministerin Sabine-Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die am Montag als Erste in die Offensive ging – und sich ahnungslos gab. Die Frage der Mailüberwachung, verkündete sie, werde Bestandteil der Regierungskonsultationen zwischen US-Präsident Obama und Bundeskanzlerin Merkel bei ihrem Treffen in der kommenden Woche sein. Regierungssprecher Seibert pflichtete später bei. Doch etliche Oppositionspolitiker fordern bereits, die Bundesregierung selbst müsse schleunigst aufklären, ob auch deutsche Geheimdienste im Bilde waren.
In der vergangenen Woche hatten die Washington Post sowie der britische Guardian darüber berichtet, dass im Rahmen des streng geheimen US-Spionageprogramms „Prism“ millionenfach E-Mail-Verkehr von BürgerInnen inner- und außerhalb der USA ausgeforscht wird. Private Internetfirmen wie Facebook, Google oder Microsoft sollen dabei beteiligt gewesen sein. Im Mittelpunkt der Affäre steht das gigantische NSA-Datencenter im US-Bundesstaat Utah.
Doch geht es nach dem Bundesinnenminister, dann verfügen seine Sicherheitsbehörden zu diesem Datencenter „lediglich über Informationen, die aus öffentlich zugänglichen Quellen gewonnen werden konnten“. Das sagte ein Sprecher des Ministeriums kurz vor Bekanntwerden der Datenaffäre der taz. Er erklärte weiter: „Bezogen auf die mögliche Sammlung von Daten aus dem privaten Kommunikationsverkehr durch die USA sind keine nachrichtendienstlichen Aktivitäten eines fremden Geheimdienstes bekannt.“
Auch der BND durchsucht massenhaft Mails
Ist es wirklich denkbar, dass der deutsche Verfassungsschutz nur aus der Zeitung weiß, welch gigantische Infrastruktur die NSA in Utah aufgebaut hat, um den Mailverkehr auch deutscher Bürger weltweit zu analysieren?
Wissen darüber könnte auch der Bundesnachrichtendienst (BND) haben, der deutsche Auslandsgeheimdienst. Doch auf Anfrage an das zuständige Bundeskanzleramt hieß es am Montag lediglich, die Prüfung des Sachverhalts dauere an. Welche Rolle der Bundesnachrichtendienst spielt und welcher Mittel er sich selbst zur Überwachung des internationalen E-Mail-Verkehrs bedient, das wird nun Thema in der laufenden Sitzungswoche sein.
Denn auch der BND durchsucht massenhaft die E-Mails, die auf deutschen Servern liegen. Allein im Jahr 2010 wurden so rund 37 Millionen Mails durch dessen Filter geschleust. In einem als geheim eingestuften Papier aus dem Bundesinnenministerium ist beschrieben, wie dies geschieht. So verfüge der BND über eine eigene Technik zur Analyse dieser Mails. Diese Technik, heißt es in dem Papier zur „strategischen Fernmeldeaufklärung“, befinde sich sowohl in eigenen Gebäuden des BND als auch bei deutschen Providern selbst.
Diese seien verpflichtet, auf Anordnung die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation zu ermöglichen und dem Bundesnachrichtendienst zugänglich zu machen. In dem Papier heißt es auch, der Bundesnachrichtendienst greife bei der Auswertung der Kommunikation auch auf Erkenntnisse ausländischer Nachrichtendienste zurück.
Der Innenminister soll Rede und Antwort stehen
Was das genau bedeuten könnte, wollen die Innenpolitiker der Opposition vor dem Hintergrund des Wirbels um das US-Spähprogramm Prism nun genau wissen. Michael Hartmann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, beantragte für Mittwoch eine Dringlichkeitssitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums, das die Geheimdienste in Deutschland kontrolliert. Am Mittwoch soll außerdem Bundesinnenminister Friedrich vor dem Innenausschuss Rede und Antwort stehen. Dann soll es darum gehen, ob auch deutsche Sicherheitsbehörden auf Daten durch die US-Spitzelei zurückgegriffen haben – und wenn ja, wie intensiv.
„Die USA sind seit dem 11. September zu einem gigantischen Datenstaubsauger geworden. Die Bundesregierung muss uns mitteilen, inwieweit unsere Bürger in ihren Grundrechten beschnitten werden“, sagte Hartmann am Montag der taz. Jan Korte, Mitglied im Fraktionsvorstand der Linken im Bundestag, verlangte eine „Garantie, dass der Bundesnachrichtendienst diese Daten aus dem amerikanischen Spähprogramm weder nutzen noch beschaffen oder in irgendeiner Weise davon profitieren wird“. Und der innenpolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Notz, sagte der taz: „Was die USA dort treiben, ist nach deutschem Datenschutzrecht ganz klar gesetzeswidrig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Verfahrensweise der Bundesregierung gänzlich unbekannt war.“
Jetzt soll die Bundesregierung Antworten liefern: In einer aktuellen Stunde wollen die Grünen das Thema am Freitag im Bundestag öffentlich diskutieren.
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