Netzsperren gegen Online-Glücksspiele: Der zweite Versuch
Kaum sind die Netzsperren gegen Kinderpornografie abgeschafft, versuchen es die Bundesländer bei den Online-Glücksspielen. Netzaktivisten rufen zum Widerstand auf.
Ein wenig resigniert wirkt Alvar Freude auf der Blogger-Konferenz re:publica, als er auf den neuen Glücksspiel-Staatsvertrag angesprochen wird. "Es ist ein Kompetenz-Problem", sagt der Internet-Aktivist vom Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (//ak-zensur.de/%E2%80%9C:AK Zensur). "In jeder Partei gibt es mittlerweile Politiker, die wissen, dass Internetsperren keine Lösung sind." Dennoch haben sich die Staatskanzleien in den letzten Monaten hinter verschlossenen Türen auf einen neuen Glücksspiel-Staatsvertrag geeinigt, der Internetsperren vorsieht, um Deutsche daran zu hindern, bei ausländischen Glücksspiel-Anbietern Wetten zu platzieren.
Herausgekommen sind die Pläne nicht etwa durch öffentliche Konsultationen oder einen transparenten Gesetzgebungs-Prozess. Der Staatsvertrag, der bereits im Juni unterschrieben werden soll, wurde dem //www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/spielchen-mit-netzsperren/%E2%80%9C:Chaos Computer Club zugespielt, der ihn Anfang der Woche veröffentlichte. Darin wird den "Diensteanbietern im Sinne des Telemediengesetzes" vorgeschrieben, den Zugang zu unerlaubten Glücksspielangeboten zu untersagen. In einer späteren Fassung, die dem //www.internet-law.de/2011/04/netzsperren-fur-glucksspiele.html%E2%80%9C:Anwalt Thomas Stadler vorliegt, werden die Autoren noch deutlicher: "insbesondere Zugangsprovider und Registrare" müssten den Zutritt zu den Seiten verwehren, die die Glücksspielaufsicht als illegal erachtet.
Der Passus ist ein Tabubruch im Telekommunikationsrecht. Denn die Zugangsanbieter, die Kunden zu Hause zum Beispiel einen DSL-Anschluss legen oder ihre Kunden per Mobilfunk versorgen, haben ein Haftungsprivileg. Sie sind nicht für die Daten verantwortlich, die die Kunden an ihrem Computer abrufen – wie auch Telefongesellschaften nicht die von ihren Kunden geführten Gespräche haftbar gemacht werden können. Nur die Serverbetreiber selbst können haftbar gemacht, beziehungsweise zur Löschung von Inhalten gezwungen werden.
Während sich die Regierungskoalition auf Bundesebene in Sachen Kinderpornografie nach langem Ringen auf den Grundsatz "Löschen statt Sperren" geeinigt hat, klappt dies bei Glücksspielangeboten nicht. Denn die Angebote, die in Deutschland nicht lizensiert sind, sind in anderen Staaten explizit legal. Das Glücksspiel-Monopol sicherte den Bundesländern Milliarden-Einnahmen, die durch den freien Geldverkehr über das Internet bedroht sind.
Zweiter Anlauf für Netzsperren
Die Idee, das staatliche Glücksspiel-Monopol mit Netzsperren zu schützen, ist nicht neu. Bereits vor drei Jahren hatte die hessische Staatskanzlei den größten Zugangsprovidern vorgeschlagen, //www.heise.de/ct/meldung/Medienrechtsforum-Forderungen-nach-Ausweitung-von-Internetsperren-215603.html%E2%80%9C:25 der größten Wettanbieter im Internet für ihre Kunden zu sperren. Eine löchrige Internet-Zensur als Selbstregulierung. Doch die Provider, die sich damals schon mit den Sperrwünschen der damaligen Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) auseinander setzen mussten, zeigten sich nicht interessiert.
Die Chancen der Internet-Aktivisten, Netzsperren gegen Glücksspiele zu verhindern, stehen gut: Staatsverträge müssen unter allen 16 Bundesländern einstimmig beschlossen und von allen Landesparlamenten abgesegnet werden. So wurde die Neufassung des umstrittenen Jugendmedienschutz-Staatsvertrags im Dezember erst gestoppt, als bereits 15 Landtage ihre Zustimmung erteilt hatten – //www.taz.de/1/netz/netzpolitik/artikel/1/keiner-wills-gewesen-sein-3/%E2%80%9C:der Koalitionspoker in Nordrhein-Westfalen war dafür mit verantwortlich.
Doch beim Glücksspielstaatsvertrag geht es aber nicht nur um wichtige Einnahmen für Länderhaushalte, sondern auch um Gelder, die von den staatlichen Lotterieunternehmen an gemeinnützige Organisationen wie Sportvereine oder Kulturprogramme wählerwirksam ausgeschüttet werden.
Damit das keine Rolle spielt, will der AK Zensur nun, dass sich die neuen Landesregierungen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg von Beginn an auf ein Bekenntnis gegen Internet-Blockaden festlegen. "Die Errichtung einer solchen Infrastruktur darf die von Ihnen geführte Landesregierung - egal mit welcher Begründung - nicht fordern, befördern oder unterstützen" , schreiben die Bürgerrechtler in einem offenen Brief und fordern: "Darauf sollten Sie sich verbindlich im Koalitionsvertrag verständigen."
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