Netzneutralität: Startups könnten stecken bleiben
Der Europäische Providerverband möchte ein neues Abrechnungsmodell für Internetverkehr einführen. Groß-Provider wie Google könnte das bevorteilen.
An sich ist das Papier des europäischen Providerverbandes ETNO großteils unkontrovers: „Der gesamte Telekommunikationsverkehr wird auf Internet-Protokoll-basierte Kommunikation umgestellt“, heißt es dort.
„Dieser Wechsel von spezialisierten Telefon- und Datennetzwerken zu gemischten IP-basierten Netzwerken, wirft schwerwiegende regulatorische, technische und ökonomische Fragen auf.“ Das heißt: Wenn Telefon und Kabelfernsehen durch Internettechnik ersetzt werden, müssen sich alle Beteiligten anpassen.
Der Vorschlag zur Lösung dieser Probleme ist jedoch einer der zentralen Streitpunkte der Internetregulierung: Die Provider im ETNO – zu den Mitgliedern gehören Schwergewichte wie die Deutsche Telekom, Telefonica und KPN – wollen ein neues Abrechnungsmodell für Internetverkehr einführen. Kritiker sehen die Netzneutralität in Gefahr.
Worum geht es? Im Dezember findet die World Conference on International Telecommunications der International Telecommunication Union (ITU), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, statt. Hier werden wesentliche Weichenstellungen für den weltweiten Datenverkehr getroffen.
Technische Standards für alle Beteiligten
Denn damit Internet-Verbindungen von jedem Punkt der Erde zu jedem anderen Punkt der Erde funktionieren, müssen sich alle Beteiligten an Standards halten. Das Internet besteht aus 32.000 Einzelnetzen. Damit diese problemlos zusammenarbeiten können, regelt die ITU nicht nur technische, sondern auch organisatorische Standards.
Mit einem neuen Zahlungsregime wollen die im ETNO vertretenen Provider sich langfristig wichtige Einnahmen sichern. Kernpunkt ist der Datentransport durch die Netze. Damit ein Datenpaket beispielsweise von Hongkong seinen Weg nach Deutschland findet, müssen zahllose Provider zusammenarbeiten. Die Provider müssen nicht nur Daten zwischen ihren jeweiligen Kunden transportieren, sondern auch den Datenverkehr der Kunden anderer Provider weiterreichen.
Bisher gilt das „Best effort“-Prinzip. Die Daten werden dabei von Provider zu Provider weitergeleitet, so gut es eben geht. Ist zu viel Verkehr auf den Datenleitungen entstehen Staus: Downloads werden langsamer, Skype-Gespräche fangen an zu stocken, YouTube-Videos müssen alle Nase lang pausieren. Mittels Netzwerkmanagement können die Provider dafür sorgen, dass der Stau weitgehend unbemerkt bleibt. So können Datenpakete einer E-Mail ohne Probleme langsamer abgearbeitet werden, bei Internettelefonie ist jedoch die Geschwindigkeit der Datenpakete entscheidend.
„Quality-Of-Service“-Dienstleistungen gelten vielen Providern als vielversprechende neue Einnahmequelle. Neben dem alten Modell wollen die Provider garantierte Übertragungsqualität zum höheren Preis verkaufen. Zahlen sollen das nicht die Endkunden, sondern Inhalteanbieter wie Google. Wer also seinen Kunden ein störungsfreies Telefongespräch vermitteln will, soll die Endkundenprovider gesondert bezahlen.
Milliardengewinne von Google und Facebook
Die Argumentation der Groß-Provider: Diese neuen Einnahmen seien dringend nötig, um den teuren Netzausbau zu finanzieren. Zudem locken die Milliardengewinne der Internet-Schwergewichte wie Google oder Facebook. Hier möchten sich die Endkunden-Provider eine Scheibe abschneiden.
Doch gerade diese Konzerne investieren selbst in den massiven Ausbau ihrer eigenen Netze: Google hat seine Rechenzentren auf der ganzen Welt verteilt, auch Facebook richtet in Schweden gerade ein Rechenzentrum für den europäischen Markt ein. Spezialanbieter wie Akamai helfen den Inhalteanbietern beim Inhaltetransport.
Somit kommen die Branchen-Schwergewichte auch ohne zusätzliche Hilfe der Provider zum Kunden. Das kleine Startup hingegen kommt ins Hintertreffen. Wer ohne die Finanzmacht von Google Internet-Videos oder Videokonferenzen anbieten will, könnte im Datenstau stecken bleiben.
Für akuten Alarm sieht Harald Summa jedoch noch keinen Grund. „Quality-of-Service-Angebote sind per se etwas vollkommen legitimes“, sagt Summa, der als Geschäftsführer des Verbands der deutschen Internetwirtschaft eco eine konträtre Meinung zu den großen Playern vertritt. Dass die in ETNO vertretenen Provider die neuen Spielregeln dazu nutzen könnten, den Internetanbietern hohe Wegezölle abzukassieren, sei in Deutschland vorerst nicht zu erwarten.
„Wir haben einen sehr starken Wettbewerb in Europa“, sagt Summa. Wenn die Deutsche Telekom Google zuviel Geld abverlangt, könne der amerikanische Konzern einfach selbst in den Providermarkt einsteigen. Statt zusätzlicher Einnahmen hätten die Provider dann einen mächtigen Konkurrenten gewonnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Lateinamerika und Syrien
Assads Freunde