Netflix-Serie „Transatlantic“: Feuchter Traum der Amis
Die Historienserie „Transatlantic“ erzählt von Fluchthelfern in Marseille 1940/41. Die Inszenierung zeigt die frankophile Obsession der Amerikaner.
Paris ist von den Deutschen besetzt, deutsche Exilanten werden von den französischen Kollaborateuren ausgeliefert. Die Intellektuellen versammeln sich, ihre Manuskripte im Gepäck, in Marseille. Sie hoffen von dort aus, ihren Verfolgern mit einem der auslaufenden Schiffe zu entkommen. Die beschwerliche Route zu Fuß über die Pyrenäen ist nur die zweite Wahl.
Es ist das Jahr 2018. Auf den Straßen von Marseille fahren moderne Autos, die Polizisten sehen aus, wie man sie aus den Fernsehbildern vom Kampf gegen den Terror kennt. Als Deutschlands aktuell spannendster Regisseur Christian Petzold vor fünf Jahren Anna Seghers’ „Transit“, verfilmte, verlegte er die Handlung seines Lieblingsromans kurzerhand in die Gegenwart. Er habe keine Lust auf historische Filme, um die Vergangenheit zu erzählen, müsse man sie vergegenwärtigen, ließ er sich zitieren.
Wie der Film, den Christian Petzold auf keinen Fall machen wollte, aussieht, kann man sich aktuell auf Netflix anschauen, in sieben Episoden „Transatlantic“. Hier wurde noch einmal ein bestimmt nicht billiger visueller Aufwand betrieben, das Marseille der Jahre 1940/41 wiederauferstehen zu lassen. Zum Beispiel dieses rauschende Fest in der auf malerische Weise leicht verwahrlosten Villa, Marc Chagall und Max Ernst unter den Gästen. Ein feuchter Traum, wie ihn wohl nur Amerikaner von Frankreich haben können.
Woody Allen hat über diese frankophile Obsession der Amerikaner den Film „Midnight in Paris“ gedreht – Nostalgie, aber ironisch gebrochen. Gertrude Stein und Peggy Guggenheim in Paris.
Inhaltlich ungebrochen
Auf besagtem Fest in „Transatlantic“ dürfen wir nun Zeuge sein, wie Peggy Guggenheim Max Ernst kennenlernt – von dem wir wissen, dass sie ihn heiraten wird nach der gemeinsamen Flucht. Wir sind also Zeugen eines historischen Moments. Dass Peggy Guggenheims Mäzenatentum aus heutiger Sicht ein Geschmäckle hat, weil viele der Künstler ihr ihre Werke unter Umständen überließen, zu Schleuderpreisen, die man heute mit dem Adjektiv verfolgungsbedingt kennzeichnet – geschenkt.
Auch Walter Benjamin hat natürlich einen Auftritt: „Ich kann nicht fort. Mein Buch ist noch nicht fertig und ich muss schreiben.“ Für Benjamin ist es bekanntlich nicht so gut ausgegangen wie für Ernst. Im spanischen Grenzort Portbou erinnert heute eine Skulptur an seinen Suizid ebenda. Und so ist es dieses historische Wissen, das der Schauspieler Moritz Bleibtreu mit jedem gestammelten Drehbuchsatz mitspielen muss, wenn er sich in der Rolle des damals gerade mal 48-jährigen Benjamin mit letzter Kraft über die Pyrenäen schleppt.
„Ihr Leben, das ist mehr wert als ein verdammtes Manuskript, verstehen Sie!“, hat ihm Albert O. Hirschman (Lucas Englander) noch einzubläuen versucht – vergeblich. Der später an den Universitäten Yale, Columbia und Harvard lehrende Wirtschaftswissenschaftler Hirschman, der Journalist Varian Fry (Cory Michael Smith), die Erbin Mary Jayne Gold (Gillian Jacobs) und die Widerstandskämpferin Lisa Fittko (Deleila Piasko) waren maßgebliche Figuren des Emergency Rescue Committee, jener Organisation, der es tatsächlich gelang, mehr als 2.000 Menschen die Flucht vor den Nazis und die Ausreise in die USA zu ermöglichen, unter zum Teil abenteuerlichen Umständen und gegen die Widerstände sowohl des Vichy-Regimes als auch von US-Diplomaten.
Toller Stoff, alles drin. Man kann gut nachvollziehen, dass es der Showrunnerin von „Deutschland 83/86/89“, Anna Winger, in den Fingern gejuckt hat, das umzusetzen. Das so umzusetzen – ziemlich überdreht, aber kein bisschen gebrochen: mit der ganzen Opulenz in Sachen Ausstattung; mit all den Künstlerpersönlichkeiten als wandelnden Klischees; mit Hirschman als Draufgänger mit wissenschaftlichem Background à la Indiana Jones, sogar mit dessen Lederjacke, nur ohne Peitsche. Man kann genauso gut nachvollziehen, dass Christian Petzold genau das nicht machen wollte.
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