Netanjahu wittert Verschwörung: „Nur nicht Bibi“
Fremde Mächte wollen ihn stürzen, mutmaßt Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Dass er selbst Teil des Problems sein könnte, kommt ihm nicht in den Sinn.
JERUSALEM ap | Die bevorstehende Parlamentswahl in Israel wirkt wie ein Referendum über den langjährigen Ministerpräsidenten – den redegewandten Hardliner Benjamin Netanjahu. Da viele Israelis inzwischen an den festgefahrenen Friedensgesprächen mit den Palästinensern verzweifeln, liegt der Fokus vor der Abstimmung am Dienstag vor allem auf der Persönlichkeit Netanjahus, seinen Ausgaben-Skandalen und den steigenden Lebenshaltungskosten im Land.
Vor der Wahl Netanjahu beklagt, fremde Mächte wollten ihn stürzen. Ausländische Regierungen hätten Millionen für eine konzertierte Kampagne gegen ihn ausgegeben, sagte er am Sonntag im Militärrundfunk. Er nannte keine Länder, meinte aber, die Regierungen hätten sich mit den Medien und linken Gruppen zusammengetan unter dem Motto: „Nur nicht Bibi.“ Das ist Netanjahus Spitzname. Er sagte, die ausländischen Mächte hätten nicht das Interesse Israels im Sinn. Ziel sei vielmehr eine schwache israelische Führung, die vor ausländischen Forderungen kapituliere.
Weil es im wilden Durcheinander der politischen Landschaft Israels unwahrscheinlich ist, dass ein Kandidat den großen Sieg einfährt, könnte die Wahl sehr gut auf eine gemeinsame Regierung zwischen Netanjahu und seinem gemäßigten Herausforderer Izchak Herzog herauslaufen. Seit Netanjahu 1996 erstmals Ministerpräsident wurde, hat sich in der Welt viel verändert, doch Israel beschäftigt sich noch immer mit derselben Frage: Was ist zu tun mit den strategisch wichtigen, biblisch bedeutsamen, von Palästinensern bevölkerten Territorien, die das Land vor fast einem halben Jahrhundert eingenommen hat?
Für Israelis ist dies eine Existenzfrage, doch scheint sie für eine Demokratie fast schon zu komplex. Nach Jahrzehnten der gescheiterten Friedensgespräche ist dies ein derart wunder Punkt, dass Politiker sie zu fürchten scheinen - und Wähler sich davon abwenden. Als Netanjahu im November die vorzeitigen Wahlen ansetzte, sah es nach einem sicheren Sieg für ihn aus. Doch inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Der Regierungschef ist in seiner Heimat außerordentlich umstritten.
Israel ist beinahe unregierbar
In Umfragen wenige Tage vor der Wahl liegt Netanjahus nationalistische Likud-Partei knapp hinter dem Mitte-links-Bündnis Zionistische Union von Herzog. Es sind Szenarien denkbar, in denen Herzog neuer Ministerpräsident wird. Und das würde den Ton in Israel verändern. Denn Herzog ist ein Schlichter, der ein aufrichtiges Interesse an einem Ende der Besetzung von Gebieten hat, die Israel im Krieg von 1967 unter seine Kontrolle brachte.
Das Land ist zersplittert – was sich im Parlament und dessen Verhältniswahlsystem widerspiegelt. Die zwei großen Parteien kommen zusammen auf weit weniger als die Hälfte der Stimmen. Zudem steckt in der Parteienlandschaft Israels eine kunterbunte Mischung: Zu finden sind unter anderem eine nationalistische Partei, die russischsprachige Wähler anzieht, eine weitere für säkulare Liberale und zwei für die Mittelschicht.
Das Fünftel der Bevölkerung, das arabisch ist, wird in einer Einheitsliste repräsentiert und diese ist wiederum in kommunistische, nationalistische und islamistische Faktionen unterteilt. Es gibt vier religiöse Parteien – für Juden europäischer statt nahöstlicher Herkunft und für unterschiedliche Grade von Nationalismus.
Der Königsmacher
Durch die Parteienkonstellation hat sich über die Jahre eine Teilung in ein linkes Lager und ein rivalisierendes rechtes Lager ergeben. Dabei sind die arabischen Parteien mit den pazifistischen linken verbündet und die religiösen mit den nationalistischen rechten. Wenn einer dieser beiden Blöcke auf insgesamt 61 Sitze im Parlament kommt, regiert dessen wichtigste Partei.
Erstmals seit Jahrzehnten gibt es eine neue Partei, die keinem Block zuzuordnen scheint: die Kulanu von Mosche Kachlon. Der Politiker libysch-jüdischer Herkunft, der sich von der Likud abspaltete, ist beliebt, weil er in vorherigen Regierungen die Kosten für Mobiltelefonie reduziert hat. Kachlon hat angekündigt, sich nach der Wahl mit demjenigen Lager zusammenzutun, das ihm den Posten des Finanzminister überträgt. Nach jüngsten Umfragen ist Kachlon das Zünglein an der Waage. Er kommt auf etwa zehn Sitze, während sich die beiden Blöcke den Rest teilen.
Die zögerliche Rechte
Der Block, der bei der Parlamentswahl die meisten Stimmen bekommt, regiert häufig in einem Bündnis mit Teilen des anderen Blocks. Derartige Koalitionen sorgen für eine breitere Basis und Mäßigung, allerdings sind sie auch durch Meinungsverschiedenheiten in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt und brechen leicht zusammen – so wie Netanjahus Koalition vor vier Monaten.
Die Likud-Partei scheint ungern alleine zu regieren und zieht fast immer eine Große Koalition mit der Arbeitspartei oder zentristischen Parteien vor, statt nur mit den eigenen nationalistischen und religiösen Verbündeten zu koalieren. Diese Strategie wirkt wie ein Eingeständnis, dass echte nationalistische Politik, wie beispielsweise die Annexion des Westjordanlands, die Welt so schwer beleidigen und die Palästinenser so provozieren würde, dass dies den Ruin zur Folge hätte.
Die israelische Rechte betrachtet das Westjordanland als Herzstück des biblischen Israel und als Ort von immensem strategischem Wert, da Israel ohne dieses Gebiet an seiner schmalsten Stelle auf eine Breite von etwa 15 Kilometer reduziert würde. Das wichtigste Argument der Linken lautet hingegen, dass eine dauerhafte Kontrolle über Millionen weitere Araber Israel als mehrheitlich jüdischen Staat zerstören würde.
Mögliche Einheitsregierung
Weil die Wählerschaft verwirrt und fragmentiert ist, es bei den wichtigsten Themen keinen eindeutigen Weg nach vorn gibt und wahrscheinlich weder Netanjahu noch Herzog am Dienstag auf eine überzeugende Mehrheit kommen, ist eine Zusammenarbeit ihrer beiden Parteien ein plausibles Resultat. Es ist auch denkbar, dass Netanjahu und Herzog vereinbaren, das Amt des Ministerpräsidenten im Wechsel zu bekleiden.
Ein solches Modell gab es bereits 1984. Damals arbeiteten Schimon Peres von der Arbeitspartei und Izchak Schamir von Likud in einem unruhigen Bündnis zusammen. Während dieser Zeit wurden zwar ein paar Dinge erledigt, doch beim Thema Westjordanland gingen sie auseinander. Peres verhandelte über die Angelegenheit mit Jordanien, dann wurden seine Friedenspläne vom skeptischen Schamir durchkreuzt. Kurze Zeit darauf kam es zum ersten palästinensischen Aufstand, der Intifada. Und manche befürchten, dass eine weitere Intifada bevorsteht.
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