Neonazis in Berlin: Rechte fühlen sich im Multikulti-Kiez wohl
In Wedding und Weißensee protestieren Linke gegen Neonazi-Übergriffe. Dahinter steckte zuletzt meist die Gruppe "Freie Nationalisten Berlin Mitte". Deren Gewaltbereitschaft sei hoch, warnen Experten
Ausgerechnet der Multikulti-Stadtteil Wedding bekommt ein Neonazi-Problem. Die "Freien Nationalisten Berlin Mitte" versuchen mit Hakenkreuz-Schmierereien, Bedrohungen und rechtsextreme Plakaten auf sich aufmerksam zu machen. Die Verwaltung von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) spricht von einer eigenständigen Gruppe, die eine "revisionistische, system- und fremdenfeindliche Gesinnung" offenbare. Auch Straftaten seien ihr zuzurechnen. Man beobachte die "FN Mitte" aufmerksam, so eine Sprecherin. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) warnt vor der Gewaltbereitschaft der Gruppierung.
Christian Hanke steht am Samstag auf der kleinen Bühne vor dem Weddinger Rathaus am Leopoldplatz. Vor dem SPD-Bezirksbürgermeister von Mitte feiern Familien das jährliche Afrika-Fest. Er freue sich, sagt Hanke, dass sich so viele Menschen verschiedener Herkunft im Wedding wohlfühlen. Leider hätten zuletzt aber auch "Nationale" versucht, hier Fuß zu fassen. "Unerträglich", sei das. "Wir werden das nicht zulassen." Hanke spricht es nicht aus, aber er meint die "FN Mitte".
Kurz darauf ziehen nur wenige Kilometer entfernt 300 Antifa-Aktivisten durch Weißensee. "Kein Kiez für Nazis" steht auf ihrem orangenen Transparent. Zuletzt habe es eine regelrechte Flut an rechten Sprühereien und Pöbeleien gegeben, schimpft ein Redner. Auch die Antifa-Demo hat eine Vermutung für die Verursacher: die "FN Mitte", die längst auch in Pankow aktiv sei.
Zu Jahresbeginn habe sich die Gruppe im Wedding gegründet, heißt es aus der Innenverwaltung. Rund 15 Mitglieder seien ihr zuzurechnen, "bei hoher Fluktuation" allerdings. Überwiegend männlich, überwiegend jung. Ihre Auftritte pflegt die "FN Mitte" im schwarz gekleideten Style der gewaltbereiten Autonomen Nationalisten. Im Internet prahlt sie mit Bildern von nächtlichen Spray-Aktionen: "NS jetzt"-Parolen an Wänden alternativer Hausprojekte, an Parteizentralen, migrantischen Kulturvereinen und Moscheen. Auf ihrer Homepage hetzt die "FN Mitte" gegen "Überfremdung" und "Rotfaschisten".
Anfang Juli stoppte die Polizei sechs Mitglieder der Gruppe vor dem alternativen Pankower Jugendtreff "Bunte Kuh". Die Neonazis trugen Schlagstöcke, Pfefferspray, zwei Messer und Farbspraydosen bei sich. Eine Woche später seien erneut drei Neonazis mit Holzlatten und Schlagringen aufgekreuzt, berichtet die Einrichtung.
Es sei das militante Gebaren sowie die "Frechheit und Dummheit dieser Überzeugungstäter", die die "FN Mitte" gefährlich machten, sagt Martin Sonnenburg von der Pankower Antifa. Laut der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus richteten sich die Aktionen der Gruppe vor allem gegen Linke. "Für sie stellt die FN Mitte ein ernstes Bedrohungspotenzial dar", so Mitarbeiterin Annika Eckel. Inhaltlich hätten die Neonazis wenig zu bieten: "Das ist mehr ein Lifestyle-Projekt." Es biete aber gerade für den aktionsorientierten Nachwuchs einen "niedrigschwelligen Einstieg in eine rechtsextreme Erlebniswelt".
Erst am Donnerstag beteiligte sich die "FN Mitte" mit eigenem Transparent an einer Neonazi-Kundgebung in Treptow für das rechte Szenelokal "Henker". Am 1. Mai waren ihre Mitglieder unter den 286 Festgenommenen eines nicht angemeldeten Neonazi-Aufzugs auf dem Ku'damm. Man lasse sich von den linken Demos am Wochenende nicht einschüchtern, heißt es auf der Homepage der "FN Mitte". Künftig wolle man auch mit einer "Mädelsgruppe" auftreten.
Das offensive Aufplustern der "FN Mitte" passt in das wieder forschere Auftreten von Neonazis in Berlin. Zuletzt häuften sich rechtextreme Sprühereien und eingeschlagene Fenster bei Kulturvereinen und Parteizentralen auch in Neukölln, Treptow und Kreuzberg. Anfang des Jahres betrieben Autonome Nationalisten gar einen festen Treffpunkt - in einem Pankower Ladenlokal. Der Verfassungsschutz nennt diese Strömung als "größten Rekrutierungspool der rechtsextremistischen Szene der Stadt".
Auch Mittes Bürgermeister Christian Hanke kennt diese Vorfälle. Er wolle die Weddinger "Nationalisten"-Clique nicht größer machen als sie sei, sagt er. "Aber gegen die, die hier primitiv hetzen wollen, werden wir massiv vorgehen." Auch die Antifa will wiederkommen. Mit einer weiteren Demonstration am 17. September im Wedding. Motto: "Nazis auf die Pelle rücken"
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