Neonazi-Demo am Samstag in Berlin: Bedrohliche Präsenz

Seit drei Jahren ist Marzahn-Hellersdorf die Hochburg rechtsextremer Aktivitäten. Am Samstag wollen Neonazis durch den Bezirk marschieren.

Rechte Demo in Berlin

Berliner Neonazis, hier im Jahr 2013 in Schöneweide Foto: dpa

BERLIN taz | „Wir wollen die andere Seite von Marzahn-Hellersdorf unterstützen“, sagt Hannah Eberle. Sie ist Sprecherin des neu gegründeten Berliner Bündnisses gegen rechts, das dazu aufruft, die Neonazidemonstration im Bezirk an diesem Samstag zu blockieren. „Es gibt eine andere Seite hier, ein vielfältiges Engagement gegen rechts“, betont Raiko Hannemann, der die bezirkliche Arbeit gegen Rechtsextremismus koordiniert.

Die Sätze machen deutlich, was los ist in dem Ostbezirk: Seit dem Sommer 2013, als organisierte Neonazis, getarnt als Bürgerinitiative, gegen die Eröffnung eines Flüchtlingsheims in Hellersdorf protestierten und dabei neben bundesweiter Aufmerksamkeit auch viel Unterstützung aus der Anwohnerschaft erhielten, ist der Bezirk derart von rechtsextremen Aktivitäten geprägt, dass alles sonstige Geschehen schon als „die andere Seite“ gilt.

Tatsächlich sieht es düster aus in Marzahn-Hellersdorf. Nach Angaben von Polis, der bezirklichen Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung, hat sich die Zahl rechtsextremer Angriffe auf Flüchtlinge, MigrantInnen und politisch Andersdenkende 2015 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdreifacht, die Zahl aller rechtsextremen und rassistischen Vorfälle stieg auf rund 300. Egal, welche Statistik man zu rechten Aktivitäten und Angriffen auf Flüchtlingsheime und ihre BewohnerInnen heranzieht: Marzahn-Hellersdorf hat im Vergleich der Berliner Bezirke stets einen einsamen Spitzenplatz inne.

Erschreckend ist dabei, wie alltäglich rassistische Gewalt dort mittlerweile zu sein scheint. Ein Blick in die Polizeimeldungen der letzten zwei Wochen: Ein Unbekannter schüttet einem 16-jährigen Migranten an einer Straßenbahnhaltestelle Wodka ins Gesicht, spuckt ihm vor die Füße und zeigt den Hitlergruß; vor der Flüchtlingsunterkunft am Glambecker Ring bedroht ein Mann Bewohner mit einer Schusswaffe; ein Kneipenbesucher schlägt zwei asiatisch aussehende Gäste ins Gesicht und ruft dabei „Sieg Heil“.

„Bisher sieht es so aus, als würde die hohe Dichte an Vorfällen 2016 unvermindert weitergehen“, sagt Elyas Maron, der für die Registerstelle der Alice-Salomon-Hochschule arbeitet. Dort können rassistische, rechtsextreme und antisemitische Taten gemeldet werden.

Woran liegt das? Organisierte Neonazis aus ganz Berlin hätten sich den Bezirk als Schwerpunkt ausgesucht, so Raiko Hannemann von Polis. Gleichzeitig gebe es im Bezirk ein Problem mit Alltagsrassismus: Angriffe würden immer wieder auch von zuvor politisch unbescholtenen BürgerInnen verübt.

Vor allem ist es ortsansässigen Rechtsextremen offenbar gelungen, sich im Bezirk festzusetzen, dort eine dauerhafte, sichtbare Präsenz aufzubauen: Hinter den Protesten gegen das Flüchtlingsheim in Hellersdorf, die 2013 bundesweit für Aufregung sorgten, stehen die gleichen rechten Aktivisten, die im Herbst und Winter 2014/2015 die jeden Montag stattfindenden flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen in Marzahn organisierten, an denen zwischenzeitlich mehrere Hundert Menschen teilnahmen.

Die Nazidemo: Unter dem Motto „Sicherheit statt Angst“ rufen Neonazis zu einer Demonstration auf, die um 13 Uhr am U-Bahnhof Hellersdorf beginnen und von dort an einer Flüchtlingsunterkunft vorbei zum S-Bahnhof Marzahn führen soll. Auf den im Bezirk verteilten Flugblättern ist von einer „Überforderung der Wehrfähigkeit“ durch das „Eindringen artfremder, nicht christlicher Kulturen“ und einer „verbrecherischen Willkommenskultur“ die Rede.

Die Gegenproteste: Das Berliner Bündnis gegen rechts ruft dazu auf, den Aufmarsch zu blockieren. Treffpunkte für die gemeinsame Anreise sind die Bahnhöfe Ostkreuz und Frankfurter Allee, jeweils um 11 Uhr. Ab 12 Uhr sind rund um den U-Bahnhof Hellersdorf mehrere Gegenkundgebungen angemeldet. (mgu)

Diese Demonstrationen sind im vergangenen Sommer schließlich eingeschlafen. Zwar finden noch immer regelmäßig rechtsextreme Kundgebungen im Bezirk statt – daran nimmt allerdings selten mehr als eine Handvoll Menschen teil. Auch deswegen geht es am Samstag für beide Seiten um einiges: „Diese Demonstration ist ganz klar ein Versuch, das wiederzubeleben“, sagt Hannemann.

Die rechtsextremen AktivistInnen hinter den Protesten firmieren schon seit 2013 offiziell als „Nein zum Heim“-Bürgerinitiative. Laut Verfassungsschutz und Bezirk gibt es aber enge personelle und organisatorische Verbindungen zu rechtsextremen Parteien wie der NPD. „Weil rassistische Ressentiments hier so weit verbreitet sind, ist es für Neonazis eine sehr erfolgversprechende Strategie, als besorgte Bürger aufzutreten“, sagt Elyas Maron. Anlässe dafür wird es auch in den nächsten Monaten einige geben: Sieben der 26 vom Senat in Auftrag gegebenen neuen Flüchtlingsunterkünfte sollen in Marzahn-Hellersdorf entstehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.