piwik no script img

Neonazi-Aussteiger nach Terrorserie"Die Angst bleibt"

"Heute ist nicht alle Tage, ich komm' wieder, keine Frage": So endet das Bekennervideo der Zwickauer Terrorzelle. Auch Aussteiger aus der Neonazi-Szene empfinden das als Drohung.

Gegen Nazis: Antifa-Transparente. Bild: dpa

STUTTGART dpa | "Die Angst wird immer ein Teil von mir sein", sagt Alex, der deswegen auch nicht seinen richtigen Namen nennen möchte. Er hat Angst davor, von ehemaligen Kameraden aus der Neonazi-Szene terrorisiert zu werden, weil sie ihn als Verräter betrachten.

Dabei habe er nie jemanden verraten, sagt der Aussteiger. Dies sei auch gar nicht das Ziel des Aussteigerprogramms, erklärt Ellen Schneider von der Beratungs- und Interventionsgruppe gegen Rechtsextremismus (BIG Rex) des Landeskriminalamts Baden-Württemberg. Die BIG Rex wolle die Aussteiger nur für deren Zukunft unterstützen.

Alex wandte sich aus dem Gefängnis an das Aussteigerprogramm. Nach mehreren Jahren in der Szene und unzähligen Anzeigen wegen schwerer Körperverletzung oder Volksverhetzung wurde er für drei Jahre eingesperrt. Damals war er 20. "In der U-Haft war ich zum ersten Mal seit Jahren nüchtern. Da habe ich mir Gedanken gemacht, dass ich ein anderes Leben will", erzählt der Aussteiger.

Die BIG Rex half ihm, Bier gegen Kaffee und Springerstiefel gegen Turnschuhe zu tauschen. Wenn jemand so lange in der Szene dabei war und auch noch alkoholsüchtig ist, dann falle der Ausstieg besonders schwer, sagt Schneider.

380 Aussteiger

Die Mitarbeiter des Programms Ausstiegshilfen Rechtsextremismus in Baden-Württemberg gehen gezielt auf die Rechtsextremen zu. Die Hausbesuche bei polizeibekannten Neonazis hätten auch den positiven Effekt, dass sie die Szene verunsichern, meint Schneider. In der zehnjährigen Geschichte hat die Polizei 3.200 Neonazis an die BIG Rex gemeldet, mit 2.000 von ihnen haben BIG-Rex-Mitarbeiter zusammen mit der Polizei vor Ort mindestens einmal gesprochen. 380 Rechtsextremen wurde bis Ende 2010 erfolgreich beim Ausstieg geholfen.

Alex rutschte mit 15 Jahren in die Szene. "Ich hatte in der Schule Probleme mit Ausländern. In einer Kneipe habe ich Glatzköpfe getroffen, die das Gleiche über Ausländer gedacht haben wie ich." Nach einem halben Jahr trug er dann Bomberjacke, Springerstiefel und Glatze. In der Schule wurde er daraufhin in Ruhe gelassen, weil die Mitschüler Angst vor ihm und seinen Freunden hatten. Er trank immer mehr Alkohol und zog gemeinsam mit seinen Kameraden durch die Stadt, um Punks und Ausländer zu schlagen.

BIG Rex

Innerhalb der Kameradschaft arbeitete er sich nach oben. Zum ersten Mal im Leben bekam er Anerkennung. Er warb neue Mitglieder an und leitete Werbeaktionen für die NPD. "Die Parteioberen sind sich zu fein für Straftaten. Sie hängt aber in vielem drin", meint Alex zur NPD, die Verwicklungen in Straftaten abstreitet.

Die Diskussion um die Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund hat Alex genau verfolgt. Er kann sich vorstellen, dass es Nachahmer geben könnte: "Ich wäre damals auch bereit gewesen zu töten." Der Staatsschutz bezeichnete ihn als tickende Zeitbombe. Deswegen ist für Alex mehr Prävention in der Schule wichtig: "Wenn man nur einen rettet, ist das schon ein großer Erfolg. Man muss ja auch sehen, wie viele Opfer man damit rettet. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie viele unter mir leiden mussten."

Mittlerweile hat Alex ein neues Leben an einem anderen Ort begonnen. Mit der Angst vor Racheakten müsse er leben: "Ich versuche das Positive aus dem Negativen zu ziehen." Er rät jedem aus der Szene, zur BIG Rex zu gehen: "Das Aussteigerprogramm ist kein Verräterprogramm." Alex trinkt jetzt nicht mehr, hat eine feste Arbeitsstelle und einen neuen Freundeskreis. Der besteht aus Deutschen und Migranten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • L
    LaFolle

    Lieber egal,

     

    ich persönlich finde die Hufeisentheorie garnicht so abwegig, Horst Mahler und Konsorten sind der beste Beleg dafür. Extremismus lehme ich als frei denkender Mensch in jeder Spielart ab...

    Aber zur Aussteigerthese: Der Artikel vermittelt mir persönlich eigentlich, dass der beschriebene "Aussteiger" keine Gefahr für sich und andere mehr darstellt, da er sein Verhalten derart geändert hat, dass er in der Lage ist, Migranten seine Freunde zu nennen. Alles darüber hinaus geforderte klingt nach Gedankenkontrolle und Gehirnwäsche. Das Aussteigerangebot so wie es geschildert ist, ist bewusst niedrigschwellig angesetzt. Schließlich nützt es mehr, viele Gewalttäter davon abzubringen, andere zu terrorisieren als wenige zu "echten" Antifaschisten machen. Also gesellschaftlich gesehen profitieren wir mehr von ersterem.

  • E
    egal

    Liebe taz,

     

    warum gibt es euch eigentlich noch? Kritischere Artikel zu linkspolitischen Themen kann man mittlerweile öfter in der Zeit oder FAZ lesen als bei euch.

    Auch bei diesem Thema habt ihr es mal wieder geschafft vollkommen unkritisch das Aussteigerprogramm der Bundesregierung zu kommentieren.

    Aussteigen heißt nämlich leider noch lange nicht aufhören. Kriterien für einen tatsächlichen Ausstieg müssen daher ein Bruch mit der vorherigen Ideologie sein (und dieser muss auch glaubwürdig vermittelt werden können), gleichzeitig gehört dazu auch ein unwiderruflicher Bruch mit den ehemaligen Kameraden herbeizuführen, was nur dadurch geschehen kann, indem man über ebenjene auspackt.

    Alles andere ist halbgarer Quatsch, der oftmals nur der persönlichen Bereicherung von Menschen dient, denen der Straßenkampf mittlerweile zu doof geworden ist, die letztlich aber immernoch mit ihren alten Suffkumpanen herumlungern...oder noch schlimmer: Das Geld der Bundesregierung wird mal wieder dazu verwendet die angeblich verlassenen Strukturen zu finanzieren. Gleichzeitig bietet das Programm der Bundesregierung keine Möglichkeit Nazis davon abzuhalten nach einigen Wochen, Monaten oder Jahren in ihr "altes" Leben zurückzukehren.

    Vielleicht mal diesen Artikel aus dem Antifaschistischen Info Blatt lesen, dann versteht ihr vielleicht halbwegs, warum in der linken Szene etwas größere Anforderungen an einen Ausstieg gestellt werden, als ein bloßes Lippenbekenntnis, was die Bundesregierung dann als Erfolg verbuchen kann:

    http://www.nadir.org/nadir/periodika/aib/archiv/74/30.php

  • T
    Thorsten

    Indem ihr immer wieder dieses Foto von diesem rechten Hohlraumpfleger zeigt, baut ihr diese Typen richtig auf. Ich kann und will die Fressen nicht mehr sehen, aber ihr zeigt sie, als seien es Stars.

  • S
    Sowasaberauch

    @ Webmarxist

     

    Es gibt auch Fremdenfeindlichkeit in Ländern, in welchen der "Nationalsozialismus" auch nicht einen Hauch einer Chance hatte.

    Klar, ist in Tschland aufgrund der Geschichte ganz prima um einfach zu argumentieren mit dem Kram (!), taugt aber nun, fast 2012, nurmehr begrenzt.

     

    Lös dich mal von deinem deutschen Planeten.

    Diese Welt ist nicht deutsch. Und das ist auch gut so ;-)

  • S
    suswe

    Erinnert sich noch jemand (insbesondere VS) noch an die Geschichte des Holger Bornemann?

  • W
    Webmarxist

    Man muss sich in der Schule intensiv mit den Themengebieten Nationalsozialismus und Fremden-feindlichkeit beschäftigen und die Schüler darüber aufklären, wie es zur Herrschaft der Nationalsozialisten kommen konnte und welche Vorstellungen sie damals hatten und warum es heute leider noch Menschen gibt, die diese Ansichten teilen. In einer Multi-Kulti-Gesellschaft darf Rassismus keinen Platz haben.

     

    Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.