: Nenn es wesenhaft
Eine Abhandlung, zwar nicht über das naive, wohl aber das sentimentalische Paardasein: Sally Potters Film „Tango Lesson“, in dem sie auch die Hauptrolle spielt ■ Von Anke Westphal
Das Leben einer Regisseurin und Drehbuchautorin verrinnt in Schwarzweiß. Ein langer und manchmal unruhiger Fluß, weil es von der Decke tropft und die Dielen brechen. Wie schlimm es sei, will die sanfte, feingliedrige Frau wissen. Ohhhh, seufzen die Handwerker, sehr schlimm. Die Frau bleibt zunächst im Haus, denn das Drehbuch muß sie schreiben, um Geld zu verdienen, doch Filme will sie drehen, weil sie eine Künstlerin ist. Weil sie Filme drehen muß und kann. Sally Potter („Orlando“) spielt in ihrem neuen Film die Hauptrolle.
Die ersten Entwürfe für das Drehbuch ziehen in falschen Kodak-Farben durch Sallys Kopf, reißerische Bilder, denn Sally braucht viel Geld für ihren eigenen nächsten Film. Lange, strohhalmartige Supermodels werden hingemordet, eine nach der anderen wie im Lied von den zehn kleinen Negerlein. Der Dielenboden wird Sally unter den Füßen demontiert. Ein Skelett bleibt übrig und das Papier leer. Welches Bild für eine Krise!
Nach der Ohnmacht kommt der Tango
Sally Potters „Tango Lesson“ ist ein komischer Film, nicht ein lustiger, sondern ein fremdartiger. Sally reist nach Argentinien, um dort Tango zu lernen. Der Punkt äußerster Ohnmacht, als ihr Zuhause auseinandergenommen wird, ermöglicht Sallys Aufbruch in fremde Welten erst. Sie kann aufgeben und neu aushandeln, mit sich und der Welt, was auch immer.
Sally geht einen Deal mit einem berühmten Tangostar (der echte Pablo Veron) ein: Wenn er sie zu einer erstklassigen Tangotänzerin macht, wird sie ihm — sein größter Traum — zu einer Filmrolle verhelfen. Manieriert bis an die Grenzen des Erträglichen findet man „Tango Lesson“ zunächst. Pablo, ein Latin Lover, der seine neue Liebste beim Zwiebelnschnippeln glutäugig antanzt. Und die neue Liebste Sally, eine gepanzerte, verspannte, europäische Intellektuelle, singt zurück, mit dünner Stimme. Ihre Schuhe werden immer abendlicher, die Absätze immer höher und die Säume immer schwingender. Bald begreift man, daß man lieber Manieriertheit sehen wollte, wo tatsächlich Nacktheit ist.
Dinge stehen fest, doch wer ist man selbst?
Anfangs herrscht Winter, und zarte Linien, wie bereifte Zweige, graben sich durch Sallys Gesicht. Sally trägt Mantel, Hosen, Boots und tritt sicher auf, während ihre Drehbuch-Models straucheln und stolpern. Gedreht wurde in London, Paris und Buenos Aires, und es ist ein bißchen komisch, diesmal ulkig, wie die alternde Regisseurin in ihrem Samtmantel und der Tänzer mit den lächerlich schwermütigen Augen ein Liebespaar am Ufer der Seine tanzen. Hier Paris, da ein Tanzpalast von Buenos Aires. Die Dinge stehen fest, doch wer ist man selbst? Regisseurin, Britin, Jüdin, Frau, doch nicht alles immer und nicht alles zugleich.
Potter macht diesen Aspekt beiläufig zum neuen Boden in Sallys Dasein und zum Kern des Films. Die Tangos sind zwar, auch wenn man — wie die Schreiberin dieser Zeilen — Tango nicht mag, wunderbar anzusehen, doch vor allem hängt es an Potters Bildern (Kamera: Robby Müller, der sich hier klugerweise von Wim Wenders gelöst hat), die klar sind und rein, was man auch wesenhaft nennen kann. Diese Wesenhaftigkeit, selbst wiederum Ausdruck des universalgeschichtlichen Respekts, mit dem ein Gesicht, eine Bewegung, ein Ding von der Regisseurin behandelt wird, auch die Ökonomie der filmischen Energie: All das transformiert die Manieriertheit, das übertrieben Kontrollierte, mitunter Vereiste der Szenen, in ungeschützte Nacktheit.
Eine Definition der Osmose von Sex und Kunst ist nicht Potters Anliegen — ihr geht es darum, „etwas Persönliches zu machen“. „Tango Lesson“ handelt auf allen Ebenen, der erotischen, tänzerischen und künstlerischen, vom Führen und/oder Folgen. Man fürchtet sich immer vor Offenbarungen, wie Potter sie mit diesem Film macht, aber genauso beneidet man Potter um die Unbeirrbarkeit, mit der sie das Risiko eingeht.
„Tango Lesson“, GB 1997, Regie: Sally Potter. Mit: Sally Potter, Pablo Veron u.a., 102 Min.
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