Nelson Mandelas Erben: ANC zerstört seinen Heiligenschein
Die Trauer um den Nationalhelden offenbart, wie angeschlagen Südafrikas Präsident Jacob Zuma ist – auch in der eigenen Partei.
KAPSTADT / BERLIN taz | Nelson Mandela liegt unter einem feierlich geschmückten Baldachin, mitten in Südafrikas Zentrum der Macht. Vom Halbrund des Amphitheaters der „Union Buildings“, dem Regierungssitz in Pretoria, hat man die Hauptstadt zu Füßen und das Symbol der Apartheid-Unterdrückung, das Vortrekker-Monument, am Horizont. 1994 schwor Südafrikas erster schwarzer Präsident an dieser Kuppel seinen Amtseid.
Jetzt war er drei Tage lang an derselben Stelle aufgebahrt. Endlos defilierte das Volk am offenen Sarg und entließ seinen geliebten Vater, Helden, Präsidenten. Aus dem Ort der Macht wurde ein Ort des Abschieds.
Mandela war ein Mann der Ideale, der ANC seine Familie. Er lebte selbst die Prinzipien, die er nach seinem langen Weg zu Freiheit und Frieden in Südafrikas Gesellschaft verankert und wachsen sehen wollte. Das unterscheidet ihn entscheidend von der heutigen Führung in Südafrika - und das ist im Rahmen der Trauerwoche, die an diesem Wochenende mit Mandelas Beerdigung zu Ende geht, deutlich geworden. „Wir werden nie wieder einen Menschen wie ihn erleben“, zollte US-Präsident Barack Obama unter großem Beifall Tribut an sein Vorbild während der Trauerfeier im FNB-Stadium in Soweto.
Dieser Satz trifft zuerst Jacob Zuma, Südafrikas Präsident, der das politische Erbe Madibas heute in der Hand hält und im Stadion mehrmals ausgebuht wurde. Im Angesicht der Staatschefs, die aus aller Welt angereist waren, erlebte Zuma die bisher unangenehmste Situation seiner Amtszeit, weltweit im Fernsehen übertragen.
Obamas glühender Hommage
Südafrikas Demokratie funktioniert: Die Zuschauer der Trauerfeier machten nicht vor den Erben Mandelas halt. So hätte er selbst es auch gewollt. Mit betretenem Gesicht hielt Zuma anschließend seine Rede, die nach Obamas glühender Hommage nur noch steif wirken konnte.
Computer werden immer kleiner und verschmelzen mit uns. Warum lassen wir sie nicht gleich in unsere Körper einbauen? Die Titelgeschichte „Bessere Menschen“ über Cyborgs und ganz gewöhnliche Menschmaschinen lesen Sie in der taz.am wochenende vom 14./15. Dezember 2013 . Darin außerdem: Der Generationen verbindende Fernsehabend am Samstag ist tot. Das wird auch Markus Lanz nicht ändern. Warum das gut so ist. Und: Ein Gespräch mit dem Direktor des Zirkus Roncalli über Heimat, Glühbirnen und den Duft der Manege. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Der ANC dementierte später, dass ihr Präsident keine gute Figur abgegeben habe. Doch auch der Staatssender SABC fand den Auftritt peinlich genug, um Moderatoren zu instruieren, über die Buhrufe aus dem Publikum nicht zu berichten, wie mehrere TV-Journalisten gegenüber der Zeitung City Press bestätigten. Man sei angewiesen worden, die entsprechenden Live-Mitschnitte auszublenden. Der SABC dementiert das.
Nicht nur Zuma geht aus dieser außergewöhnlichen Woche geschwächt hervor. Sein Vorgänger Thabo Mbeki, den Zuma 2008 in einem parteiinternen Machtkampf vorzeitig aus dem Amt gejagt hatte und von dem man seitdem wenig hörte, ist plötzlich wieder da.
Mbeki erhielt gleich zu Beginn der Mandela-Trauerfeier tosenden Beifall von den mehr als 50.000 Zuschauern. Ein ungewohnter Anblick in dem riesigen Township Soweto, denn der Intellektuelle Mbeki war ihnen zu Amtszeiten stets zu distanziert. Sie vermissten in ihm den Mann des Volkes und projizierten ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben auf den volksnahen Zuma.
Als Mandela starb, stand Zuma bereits unter Druck. Der alte Vorwurf, er habe sein Haus in seinem Heimatdorf Nkandla in KwaZulu-Natal mit über 200 Millionen Rand, knapp 20 Millionen Euro, aus Steuergeldern in ein Luxusanwesen ausgebaut, wurde im November neu aufgerollt, als die Wochenzeitung Mail & Guardian Teile eines provisorischen Untersuchungsberichts der Staatsanwaltschaft veröffentlichte, der Zuma Untreue und Irreführung des Parlaments vorwirft.
Anfang Dezember beschuldigte der ANC Staatsanwältin Thuli Madonsela, ihren Bericht selbst geleakt zu haben. Von möglichen Ermittlungen gegen sie wegen Geheimnisverrats war ebenso die Rede wie davon, Medien zu verklagen, die aus dem geleakten Bericht zitieren. Am 5. Dezember beschloss die Regierung, ihren eigenen, bisher vertraulichen Untersuchungsbericht über Nkandla zu veröffentlichen, der die Vorwürfe gegen Zuma zurückweist.
Am gleichen Abend starb Mandela und die gesamte Nkandla-Debatte steht seitdem still. Aber sobald in Südafrika wieder Alltag einkehrt, dürfte die Diskussion wieder aufleben, und Zuma wird dann vorausichtlich unter erheblich größerem Druck stehen als vorher, zumal im kommenden April Wahlen anstehen.
Die großen Zeiten des Freiheitskampfes
ANC-intern erscheint die Stimmung vergiftet. ANC-Vorstandsmitglied Lindiwe Zulu drohte jetzt den Buhrufern aus dem Stadion: „Wir wissen, wer sie sind, und wir werden die notwendigen Schritte einleiten.“ Medienberichten zufolge macht die Parteiführung den ANC-Landesverband der Provinz Gauteng, in der Johannesburg, Soweto und Pretoria liegen, für die Buhrufe auf der Trauerfeier verantwortlich. Der Verband habe seine Jugendfreiwilligen mit Mandela-T-Shirts statt Zuma-T-Shirts eingekleidet, hieß es - ein Zeichen von Respektlosigkeit gegenüber dem Staatschef.
Derweil erinnert jede Etappe der Trauer um Nelson Mandela an die großen Zeiten des Freiheitskampfes. Die schier endlosen Schlangen wartender Trauergäste in Pretoria erinnert an die Schlangen vor den Wahllokalen bei Südafrikas ersten freien Wahlen 1994.
Die Stelle, an der Mandelas Leichnam aufgebahrt liegt, ist nicht nur die, an der er 1994 den Amtseid schwor. 1999 stand Mandela erneut auf der kreisförmigen Terrasse und übergab sein Amt an Thabo Mbeki, der neun Jahre lang regieren sollte. Im Tiefflug hinterließen Flugzeuge Nebelbänder in den Nationalfarben – die Regenbogennation feierte sich mit Stil.
Mbeki ließ sich am Mittwoch bei einer kirchlichen Trauerfeier zu deutlichen Worten hinreißen: „Anführer sollten die Werte, dem Volk und nicht sich selbst zu dienen, aufrechterhalten,“ sagte er. „Wir müssen sicherstellen, dass das, wofür das Volk Opfer gebracht hat, nie verloren geht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften