Nelson Mandela wird 90: "Du hast uns gezeigt, wie man wirklich frei sein kann"
Er war Befreiungskämpfer, der bekannteste politische Gefangene der Welt, Staatspräsident. Für manche ist er ein Heiliger: Sein Weggefährte Denis Goldberg gratuliert Nelson Mandela zum Geburtstag.
taz: Herr Goldberg, wie haben Sie Nelson Mandela kennen gelernt?
Denis Goldberg ist Jahrgang 1933 und studierter Bauingenieur. Er war einer der wenigen weißen Südafrikaner, die den bewaffneten Kampf gegen die Apartheid aktiv unterstützten. Er arbeitete als technischer Offizier für „Umkhonto we Sizwe“ (Speer der Nation), den bewaffneten Arm der südafrikanischen Befreiungsbewegung African National Congress (ANC). 1964 wurde Goldberg im gleichen Prozess wie Nelson Mandela wegen Hochverrats und Sabotage zu viermal „lebenslänglich“ verurteilt, wovon er 22 Jahre getrennt von Mandela absaß. Nach seiner Entlassung 1985 arbeitete er im Exil in London für den ANC. Nach den ersten demokratischen Wahlen 1994 gründete er die Hilfsorganisation „Community Heart“. Heute arbeitetet Goldberg als Berater für verschiedene südafrikanische Ministerien.
Am 18. Juli 2008 vor 90 Jahren wurde Nelson Mandela als Rolihlahla Dalibhunga Mandela in einem Dorf nahe Umtata, der Hauptstadt der Transkei, geboren. Den britischen Namen Nelson erhält er zur Einschulung.
Mandela, dessen Familie zum Königshaus der Thembu gehört, entscheidet sich gegen eine Karriere am Hof und studiert Jura. Während des Studiums tritt er dem African National Congress (ANC) bei, baut die Jugendorganisation auf.
1961 wird er Anführer des bewaffneten ANC-Flügels und verbringt 27 Jahre in Haft.
1990 wird er entlassen und 1994 zum ersten schwarzen Präsidenten gewählt.
Im Vorjahr ist er mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Mandela gilt neben Martin Luther King und Malcolm X als wichtigster Kämpfer gegen die Unterdrückung der Schwarzen.
Denis Goldberg: Ich habe ihn zum ersten Mal bei einem Geheimtreffen gesehen. Da war er gerade von einer Reise durch Afrika und nach Großbritannien zurückgekehrt. Wir trafen uns in einem Haus, auch andere comrades (So nannten sich die Befreiungskämpfer untereinander, Anm. der Red.) waren da. Nelson Mandelas Anwesenheit war sehr eindrucksvoll. Sein sorgfältiger Vortrag, ohne falsche Dramatik und von klarer Vernunft, war sehr überzeugend. Als wir ihn nach dem strategischen Ziel des bewaffneten Kampfs fragten, gab er eine eindeutige Antwort: Politische Gleichstellung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit. Ich bat ihn, deutlicher zu werden, weil damals verschiedene Ideen für eine zukünftige Verfassung existierten: "Ein Mensch, eine Stimme" oder 50 Prozent mehr Sitze für Schwarze im Parlament und weitere Variationen dieser Ideen. Nelson Mandela sagte, das Endziel sei ganz klar "Ein Mensch, eine Stimme". Aber wir müssten abwarten, wie sich der Widerstand entwickle und wie lang er dauern werde. Würden unsere Leute die Ausdauer haben, einen langen Kampf durchzustehen oder würden sie - erschöpft und voller Leid - weniger als die vollständige Gleichstellung akzeptieren müssen?
Wie war Nelson Mandela damals, als junger Befreiungskämpfer, der gerade eine bewaffnete Untergrundorganisation gegründet hatte?
Er war ein Mensch mit großem Selbstvertrauen, aber er ließ auch mal Walter Sisulu, dem Gründungsmitglied der ANC-Jugendliga, den Vortritt. Nelson war zweifellos fest entschlossen und sehr mutig. Seine Aufzeichnungen, die die Polizei bei ihrer Razzia im Untergrund-Hauptquartier auf der Liliesleaf Farm in Rivonia nahe Johannesburg fand, zeigen deutlich, dass er viel gelesen hatte, Literatur aus allen Bereichen: militärische Texte, etwa von von Clausewitz, viel über politische Theorie und revolutionären Kampf. Er wollte Entscheidungen treffen, die auf Informationen und Analysen beruhten und nicht nur auf einem emotionalen Drang des Wunschs nach Freiheit. Letztendlich führte dies zu seinem Verlangen, die Menschenwürde der Unterdrückten unseres Landes wieder herzustellen.
Sie sind zusammen mit Nelson Mandela nach dreijähriger Untersuchungshaft im Rivonia Prozeß 1964 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Wie haben Sie ihn in dieser angespannten Zeit erlebt?
Nelson Mandela war sehr, sehr würdevoll und hat als Anwalt unsere Verteidigungsstrategie mitbestimmt. Er war sich seiner Führungsrolle sehr bewusst, betrachtete sich als Anführer und akzeptierte seine besondere Verantwortung. Auf die Frage des Richters: "Bekennen Sie sich schuldig oder nicht schuldig?" antwortete er mit fester Stimme: "Nicht schuldig. Die Regierung sollte hier vor Gericht stehen." Als er dann zum Ende seiner berühmten Rede kam, war seine und unsere Belastung und Anspannung in seiner Stimme zu hören. Er sagte, er hätte das Ideal von Menschen, die in Harmonie zusammen leben und er hoffe, dass er die Verwirklichung dieses Ideals erleben werde. Wenn es aber nötig sei, sei er auch bereit, für dieses Ideal zu sterben. Würdevoll war er auch am Ende des Prozesses. Obwohl er klar gemacht hatte, dass er bei einem Todesurteil nicht in Berufung gehen werde - lachte er schließlich, als der Richter uns alle zu lebenslänglich verurteilte.
Hatten Sie während Ihrer langen Haftzeit im Gefängnis in Pretoria Kontakt zu ihm und den anderen politischen Gefangenen auf Robben Island?
Nein, wir hatten keinen direkten Kontakt mit unseren comrades auf The Island. Einige von uns wollten gerne aus dem weißen Gefängnis auf The Island überführt werden, aber das wurde nicht genehmigt. Als das Komitee des Internationalen Roten Kreuzes uns besuchen durfte, begannen die Vertreter ihren Besuch jedes Jahr auf Robben Island und beendeten ihn bei uns, den männlichen, weißen politischen Gefangenen in Pretoria. Sie gaben unsere Grüße aus dem Vorjahr weiter an die Gefangenen auf Robben Island und überbrachten uns deren Grüße, wenn sie ein paar Wochen später zu uns kamen.
Wie war das Wiedersehen mit dem berühmtesten politischen Gefangenen der Welt Anfang der 90er Jahre?
Wir flogen zusammen mit anderen exilierten comrades von Großbritannien nach Stockholm. Wir warteten auf der Rollbahn des Arlanda Airports auf Nelson Mandela. Nach der Landung schritt er die langen Reihe der Gratulanten ab und wir sahen ihn schon in unserer Nähe, als eine Kameracrew uns anrempelte, die ihn von vorne bei seinem Gang aufnahm. Dann aber stand er plötzlich vor mir, sah mich an und ich ihn. Er sagte: "Hallo Boy, wie geht es Dir? Es ist gut, dich zu sehen." Ich stotterte etwas von "gut gehen" und "sehr erfreut sein, ihn zu sehen", nahm dann spontan mein ANC-Halstuch und schlang es ihm um den Hals. Seine Frau Winnie, die ihm folgte, nahm mich mit einem strahlenden Lächeln bei den Armen und sagte: "Oh, dieses Gesicht kenne ich!"
Was halten sie von dem Staatspräsidenten Mandela, der von 1994 bis 1999 regierte?
Nelson Mandela war ein bemerkenswerter Präsident. Diese Rolle hatte für ihn bereits mit seiner Freilassung oder vielleicht sogar früher begonnen. In seiner Autobiografie schreibt er, dass er mit der Zeit begriffen habe, dass in einem neuen, nichtrassistischen Südafrika auch der Unterdrücker befreit werden müsse, genauso wie die Unterdrückten ihre Freiheit begreifen müssten. Er fasste seine Philosophie zusammen mit den Worten: "Frei zu sein reicht nicht, um die Ketten abzuwerfen. Man muss so leben, dass man die Freiheit der anderen fördert und verbessert." Er lebte diese Philosophie ganz bewusst. Damals musste er ja auch versuchen, eine Konterrevolution der verbliebenen Militärs des Apartheidstaates zu verhindern, die alle ihre Jobs behalten hatten.
Wie ging er mit denen um?
Nelson Mandela sprach auf seine Art mit ihnen, überzeugte noch die härtesten alten Rassisten, dass sie einer sicheren Zukunft im neuen Südafrika entgegen gingen. Er behandelte diejenigen mit Toleranz, die meinten, er sei zu nachsichtig mit den alten Wächtern und "Gläubigen" der Apartheid. Mein Respekt war umso größer als er sich entschied, nur eine Amtzeit, also fünf Jahre, Präsident zu bleiben. Er etablierte das Prinzip der steten Erneuerung, um unsere Demokratie zu festigen.demokratiefähig zu bleiben. Ich habe auch nie gehört, dass er sein als Sohn eines chiefs ererbtes Amt eingefordert hätte, also als traditionelle Autorität. Seine Autorität gründet sich auf seine ureigenen Qualitäten als Leader in kollektiven Führungsgremien des ANC. Ich bewunderte auch seinen Respekt gegenüber dem Verfassungsgericht, als es seine Absicht zurückwies, das Prozedere bei den nächsten Wahlen etwas zu verändern. Er wollte die fragilen Institutionen unseres neuen demokratischen Systems stützen statt mit seiner parlamentarischen Mehrheit eine Entscheidung zu erzwingen. Seine Präsidentschaft war eine Übergangsphase, und solche Zeiten sind immer voller Gefahren. Er hat das Land erfolgreich zusammengehalten, und das war die Grundlage für seine Nachfolger beim weiteren Wiederaufbau unseres Landes.
Nelson Mandela ist weltweit einer der berühmtesten Politiker - manchmal erscheint er geradezu als Heiliger. Kennen Sie auch den Menschen dahinter?
Ja, ich kenne den Menschen. Er hat all die potentiellen Schwächen eines menschlichen Wesens, vor allem einen Sinn für seine eigene Unfehlbarkeit. Aber er war immer willens, der Vernunft und vor allem der Weisheit Walter Sisulus Gehör zu schenken, und - falls nötig - gnädig nachzugeben. Aber nicht, was seine Grundprinzipien betraf. Er hat eine leise Selbstironie und er kann andere geradezu entzücken: Denken Sie an einen Staatspräsidenten, der seinen eigenen kleinen Tanz aufführt; denken Sie an seine informelle Kleidung. Seine Bereitschaft zur Vergebung wurde manchmal von seinen eigenen Anhängern kritisiert; aber das ist wohl kaum ein größere Schwäche. Irgendwie hat er es auch vermieden, zu kritisch gegenüber seinen Kampfgenossen und ihren Anhängern zu sein, weil er sich da auf Erzbischof Tutu als moralisches Gewissen unserer Gesellschaft verlassen kann. Vielleicht, aber nur vielleicht, sollte Nelson Mandela seine moralische Autorität ein bisschen stärker zur Geltung bringen. Vielleicht kann man sagen, dass er sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er anscheinend all der Lobhudelei widerstanden und nicht erlaubt hat, dass sie ihn nachteilig beeinflusst.
Möchten sie Nelson Mandela gratulieren?
Herzlichen Glückwunsch, dear comrade. Ich hatte das Privileg mit vielen anderen einige Schritte mit dir auf dem langen Weg zur Freiheit zu gehen. Als du noch im Gefängnis warst, sangen die Leute in London: "Rolihlahla Mandela, show us the way to freedom, freedom is in your hands, show us the way to freedom, freedom is in your hands." Du hast uns gezeigt, wie man prinzipientreu, entschlossen und vor allem frei von Vorurteilen und Bitterkeit und so wirklich frei sein kann.
INTERVIEW BIRGIT MORGENRATH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag