piwik no script img

■ NebenkriegsschauplatzOpium fürs Volk

Eine Schlacht wurde schon vor der heutigen Eröffnung des Evangelischen Kirchentages in Stuttgart gewonnen. Von der Weltöffentlichkeit unbemerkt hat die Gemeinschaft der Gläubigen beziehungsweise Gott, der Allmächtige, einen weitreichenden Sieg errungen: Die deutschen Restsozialisten sind in den Schoß der Bibelanhänger zurückgekehrt.

Und die Gottesfürchtigkeit wurde reich belohnt: Mit dem Wahlkampfgebot „Du sollst nicht töten“ konnte die PDS im Heiligen Krieg gegen den Krieg bekanntlich das Europäische Parlament erobern.

Wer will da noch von Opium fürs Volk reden? Oder die Vergangenheit bemühen, in der man es bedauerlicherweise versäumt hat, neben der Wahlpflicht auch die Gottesdienstpflicht einzuführen, obwohl doch in der Bibel so klasse Sachen stehen?

Egal, jedenfalls konnten Gerüchte noch nicht bestätigt werden, daß alle PDS-Mitglieder als LaienpredigerInnen qua Vorstandsbeschluß nach Stuttgart abgeordnet wurden, um die Friedensbotschaft zu verkünden. Im Veranstaltungsprogramm wird man auch nicht recht fündig, weil man bei 2.300 Veranstaltungen doch recht viel zu blättern hat.

Das macht aber nichts. Die KirchentagsbesucherInnen werden die PDSler schon erkennen, so wie auch die Hebräer in Ägypten seinerzeit in Moses ihren Retter erkannten. Und haben nicht auch Moses und Gott auf dem Weg zur Erkenntnis („Du sollst nicht töten“, Berg Sinai) noch viele Fehler gemacht, etwa, als sie die Ägypter mit Plagen plagten und sie schlußendlich sogar im Meer ersaufen ließen? Eben. Wer will der PDS da vorwerfen, daß sie nicht immer im Glauben an die Zehn Gebote gefestigt war? Allerdings sind die geläuterten SED-Erben nicht allein mit dem Rekrutierungspotential von 100.000 Gläubigen. Der kriegsbefürwortende Feind schläft nicht. Auch der beim Radfahren ungeschickte Mann mit dem verbundenen Arm, Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping von der SPD, hat sein Erscheinen angekündigt. Und der Bibelkenner und künftige Bundespräsident Johannes Rau. Letzterem liegt allerdings das erste Gebot am allermeisten: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ sim

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen