Nebenkläger im NSU-Prozess: Nicht nur passive Zuschauer
77 Überlebende der NSU-Anschläge und Opferangehörige nehmen am Prozess teil. Noch nie gab es in einem Staatsschutzprozess so viele Nebenkläger.
![](https://taz.de/picture/161836/14/06052013_Simsek_Muenchen_rtr.jpg)
BERLIN taz | Semiya Simsek, Tochter des ersten NSU-Opfers, hat schon klargemacht, dass sie im Prozess gegen Beate Zschäpe eine aktive Rolle spielen will. Sie werde „nicht nur eine passive Zuschauerin“ sein, sagte sie vor wenigen Wochen in Berlin. Sie hat viele Fragen, vor allem aber diese eine: Warum mein Vater?
Simsek ist eine von 77 Nebenklägern, die in München mit ihren insgesamt 53 Anwälten an dem Verfahren teilnehmen werden. Neben den Angehörigen der zehn Mordopfer werden auch Überlebende der beiden Bombenanschläge des NSU in Köln unter ihnen sein. Das gab es in einem Staatsschutzprozess in diesem Ausmaß noch nie. Um allen Teilnehmern auf dem Parkett Platz zu bieten, musste der Gerichtssaal umgebaut werden, Presse und andere Zuschauer kommen auf eine Empore.
Mit einer Reform des Opferschutzgesetzes wurden vor vier Jahren die Rechte von Nebenklägern nochmals erweitert. Sie und ihre Anwälte können jederzeit Erklärungen abgeben, Beweisanträge stellen, Zeugen und Angeklagte befragen und am Ende des Prozesses auch plädieren.
Einige von ihnen werden dabei sicher auch die politischen Dimensionen dieses Prozesses thematisieren: das jahrelange Versagen der Polizei, die Rolle der Geheimdienste und der V-Leute in der Neonaziszene. Gamze Kubasik, Tochter des achten NSU-Opfers, fragte jüngst in einem Interview: „Welche Rolle spielt der Verfassungsschutz? Wieso wurden Akten geschreddert? Und wieso haben diese ganzen Ermittlungsfehler für niemanden Konsequenzen?“
Versagen der staatlichen Stellen
„Meinen Mandanten geht es nicht um die Höchststrafe, sondern um Aufklärung“, sagt auch die Rechtsanwältin Edith Lunnebach. Sie vertritt einen Deutschiraner und dessen Tochter, die bei einem Anschlag des NSU in einem Geschäft in Köln 2001 schwer verletzt wurde. Allein dass der Verdacht aufgekommen sei, staatliche Stellen könnten Neonazis gedeckt haben, ist für Lunnebach eine „Katastrophe“.
Doch beim Münchner Oberlandesgericht schien man schon im Vorfeld die Erwartungen der Betroffenen herunterdimmen zu wollen. Gerichtspräsident Karl Huber teilte Mitte März mit, dass er es natürlich respektiere, wenn die Nebenkläger ihre Rechte wahrnehmen. „Die Herausforderung für das Verfahren ist aber die Vielzahl der Nebenkläger“, so Huber. „Ich gehe davon aus, dass der Gesetzgeber dies so nicht bedacht hat.“
Auch der Hoffnung, das Staatsversagen könnte im Prozess mit aufgearbeitet werden, verpasste Gerichtspräsident Huber einen Dämpfer. „Das Gericht ist kein weiterer Untersuchungsausschuss“, teilte er mit, „sondern es hat ein Verfahren durchzuführen, dessen gesetzliches, vorrangiges Ziel die Frage der individuellen Strafbarkeit der Angeklagten, von deren Schuld oder Teilschuld ist“. Dabei war das Wort „vorrangig“ dick unterstrichen.
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