Nazi-Propaganda im Gefängnis: Hakenkreuze zu Fenstern
Als unser Autor die Hambi-Besetzerin „Winter“ im Knast besuchte, bekam er eine irritierende Besuchermarke. Die Behördenreaktion ist noch irritierender.
Den Text las auch der Berliner Rechtsanwalt Dieter Hoffmann und stellte bei der Staatsanwaltschaft Köln noch am gleichen Tag empört Strafanzeige wegen der „Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen“. Die Hakenkreuz-Marke sei zudem „möglichst ohne vorherige Benachrichtigung sicherzustellen“.
Sicherstellen? Das sah die Staatsanwaltschaft anders. Nazi-Propaganda? Paragraf 86a Strafgesetzbuch, hieß es in der Antwort, verlange entweder eine Verbreitung oder ein öffentliches Verwenden. Beides sei hier nicht gegeben. Fazit: „Ermittlungen kommen nicht in Betracht.“
Bitte? Wenn man eine solche Marke ausgibt, verbreitet man doch. Und eine Besuchermarke ist definitionsgemäß ein Gegenstand für die Öffentlichkeit. Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn erklärt auf taz-Nachfrage, „in der überwachten Sphäre einer JVA“ sei eine „Verbreitung sehr überschaubar“, deshalb nicht öffentlich, „weil nur sehr wenige davon Kenntnis erlangen“, ähnlich wie in Privatwohnungen. Die Folge: „nicht strafbar“. Man kann in seinen Äußerungen ein „leider“ durchaus mithören.
„Gebilde wie Fenster“
Noch erstaunlicher war die Reaktion der JVA. Dort erklärt Oberregierungsrat Mark Wloka, man sei von der Staatsanwaltschaft in Kenntnis gesetzt worden über „das angebliche eingeritzte Hakenkreuz“. Umgehend habe man „sämtliche Besuchermarken kontrolliert“, aber nur zwei Marken gefunden, „auf deren Rückseiten jeweils Quadrate eingeritzt waren, in deren Mitte sich ein Kreuz befand, welches oben, unten sowie an den Seiten die Ränder des Quadrats berührte. Die Gebilde sahen aus wie Fenster.“
Die akribische Gebilde-Beschreibung, ungewöhnlich für eine Behörde, kann drei Botschaften haben. Entweder soll das besonderen Arbeitseifer belegen. Oder die Frage implizieren: Können Sie, werter Besucher, nicht genau hingucken? Oder der Mann hat selbst die vier Lücken an den Rahmenkanten des scheinbaren Fensters nicht gesehen und sich ein Hakenkreuz wegfantasiert.
Wie auch immer: Die Kreuz-Fenster von Ossendorf „wurden abgeschliffen und wieder in den Umlauf gegeben“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung