Nazi-Liste „Entartete Kunst“: X = Vernichtung
Akribisch dokumentierten die Nazis die Enteignung „entarteter Kunst“. Die Liste war lange verschwunden. Jetzt macht die taz sie durchsuchbar.
Das Abkürzungsverzeichnis steht auf Seite fünf und beginnt mit A = Aquarell, B = Bestand im Magazin des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda. Es endet mit V = Verkauf, X = Vernichtung.
482 Seiten mit akkuraten Schreibmaschinenbuchstaben. Es ist die bürokratische Bilanz eines staatlich angeordneten Verbrechens – etwa 20.000 Kunstwerke konfiszierten die Nazis 1937 und 1938 in der Aktion „Entartete Kunst“ aus deutschen Museen. Diffamiert wurde nahezu alles, was heute als moderne Kunst gilt. Über 600 der Bilder, Grafiken und Skulpturen wurden in einer Schmähausstellung gezeigt, die von München aus durch mehrere deutsche Städte zog. Viele der Werke wurden verkauft, die meisten ins Ausland. Andere wurden verbrannt.
Ein X für Vernichtung tippten die Verwalter in Goebbels Propagandaministerium anschließend in die Zeile „Stand“ der Liste, mit der sie die Aktion dokumentierten. Das Verzeichnis entstand auf dem Schreibtisch des Kunsthistorikers Dr. Dr. Rolf Hetsch, Referent in der Abteilung Bildende Kunst. Er notierte Künstler, Werktitel, Maltechnik und den Name des Händlers, dem das Bilder zum Verkauf übergeben wurde. Manchmal wurden Buchstaben oder Zahlen mit spitzer Schrift von Hand ergänzt. Dann am Ende jeder Zeile steht der Verkaufspreis: 200 Dollar für einen Kandinsky in Öl, vierzig Schweizer Franken für eine Graphik von Otto Dix. Der Händler beide Male: Dr. Gurlitt.
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Rolf Hetsch war für die sogenannte „Verwertung“ der Kunst zuständig und damit für den Kontakt mit den vier autorisierten Kunsthändlern, die die Werke verkaufen sollten. Einer davon: Hildebrand Gurlitt. Er war der Vater des Sammlers Cornelius Gurlitt, bei dem die Staatsanwaltschaft Augsburg 2012 mehr als 1.400 Kunstwerke beschlagnahmte, wie vor einem Jahr bekannt wurde.
Der erste Schritt auf der Suche
Die vollständige Liste „Entartete Kunst“ galt lange als verschollen. Erst 1997 tauchte sie in einem Nachlass auf, der an das Londoner Victoria and Albert Museum übergeben worden war. Ein Experte aus Berlin identifizierte sie als echt. Aber erst nach dem Gurlitt-Skandal im vergangenen November machte das Museum eine Kopie des Verzeichnisses der Öffentlichkeit online zugänglich.
Früher hat er Opern komponiert, heute entwirft Ingolf Gabold Erfolgsserien wie „Borgen“ oder „The Killing“. Ein Gespräch über richtig gutes Fernsehen und wie man es macht, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 1./2. November 2014. Außerdem: Wie eine Abgeordnete und ein Lobbyist um das Waffenrecht in einem US-Bundesstaat ringen. Und: Joschka Fischer im Interview. Am Kiosk, //taz.de/%21p4350%3E%3C/a%3E:eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Die Liste birgt die Chance, nachzuvollziehen, welche Bilder konfisziert wurden und was damals mit ihnen geschah. Es ist der erste Schritt auf der Suche nach den vielen, immer noch verschwundenen Werken.
Allerdings ist die Arbeit mit dem Verzeichnis schwierig. Zwar wurde das Unrecht, das per Gesetz geschah, penibel gezählt: Bautzen, Stadtmuseum, 22 Werke; Essen, Folkwang Museum, 1273 Werke; Kolberg, Heimatmuseum, 2 Werke. Aber das Dokument ist sehr schwer zugänglich. Weil es nur Nachnamen enthält – sowohl von Künstlern als auch von Händlern. Weil manche fehlerhaft sind. Und weil nicht alle Werke gelistet wurden. „Karton mit Zeichnungen“ steht da unter der Nummer 253. Davor der Name: Lasker-Schüler.
Jetzt stellt die taz.am wochenende erstmals eine Suchmaschine zur Verfügung, mit der es möglich ist, das Dokument nach Nachnamen von Künstlern und Kunsthändlern zu durchsuchen. Sie basiert auf der Arbeit des Dortmunder Kirchenhistorikers Hans Prolingheuer, der von Hand die Daten in ein Dokument übertrug und so einen Index für die Liste erstellte. So wird es möglich, dass sich mehr Menschen selbst ein Bild machen. Von den Verbrechen an der Kunst.
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