Nazi-Lied im Berliner Unterricht: Horst Wessel mit Füßen getreten
Das Horst- Wessel-Lied am Köpenicker Gymnasium wurde wohl nur mitgesummt und mitgestampft. Das sagt nun der Schulleiter.
BERLIN taz | Unzählige Anrufe beim Emmy-Noether-Gymnasium in Köpenick liefen am Dienstag ins Leere. Anscheinend kapitulierte die Schule vor dem Presseansturm, den die Nachricht auslöste, dass eine Musiklehrerin ihre OberstufenschülerInnen zum Singen des verbotenen Horst-Wessel-Liedes animiert habe. Auch die taz berichtete.
Am Mittwoch war Schulleiter Jürgen Vinzelberg für ein kurzes Gespräch zu erreichen. Er komme gerade aus einer Unterredung mit dem Kurs, in der sich der Vorfall ereignet haben soll. „Der Kurs hat vollstes Verständnis für das, was die Lehrerin getan hat“, sagte Vinzelberg der taz.
Die SchülerInnen seien nicht zum Singen aufgefordert worden, sie hätten lediglich mitgesummt und mit den Füßen den Takt getreten. Zudem habe die Lehrerin ihre SchülerInnen nicht im luftleeren Raum gelassen. Die Musik und der Text seien zuvor analysiert worden.
Dies soll im Zusammenhang mit dem Bertolt-Brecht-Gedicht „Der Kälbermarsch“, das als Parodie auf die Nazi-Hymne gilt, stattgefunden haben. „Ohne das Horst-Wessel-Lied ist der ’Kälbermarsch‘ nicht zu verstehen“, sagte Schulleiter Vinzelberg. Die Erarbeitung der rhythmischen und lyrischen Merkmale des verbotenen Liedes sei notwendig gewesen.
Die Lehrerin berief sich auf den Rahmenlehrplan. Dort heißt es: „Die Schülerinnen und Schüler [...] entwickeln ein Verständnis für die Funktionalisierung von Musik im Dienste politischer, religiöser und wirtschaftlicher Interessen.“
„Die Welle“ als Vorbild?
Die bildungspolitische Sprecherin der Linken, Regina Kittler, zog in einer Pressemitteilung eine Parallele zu dem Roman „Die Welle“ von Morton Rhue, in dem ein Lehrer durch ein Experiment mit Schülern zeigt, wie Menschen durch einfache Methoden manipuliert werden können. Dass im Musikunterricht auch über den Missbrauch von Musik durch das Naziregime diskutiert werde, sei richtig und wichtig. Wieso aber zum Horst-Wessel-Lied gesummt werden müsse, erschließe sich nicht.
„Das Gymnasium in Köpenick ist bisher für Engagement gegen Rassismus und Gewalt bekannt“, so Kittler. An der Schule gebe es Willkommensklassen für Flüchtlingskinder aus dem Allendeviertel. Vor dem Hintergrund dort immer wieder stattfindender Aufmärsche von Neonazis sei eine Aufklärung des Geschehens an der Schule dringend notwendig.
Gegenüber der taz sprach der Schulleiter nicht von einer „Welle“, sondern von einem „Tsunami“, der die Schule getroffen habe. Seit dem 23. März sei das Gymnasium bemüht, den Sachverhalt zu klären. Die Ermittlungen seien noch nicht nicht abgeschlossen. Doch nach Ansicht der Schulleitung liegt ein Gesetzesbruch nicht vor. Im Sexualkundeunterricht behandele man schließlich auch Dinge, die manchem zu nahe treten würden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt