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Wild und feucht: das Oderdelta Foto: Wolfgang Borrs

Naturschutzkonzept „Rewilding“Zurück in die Wildnis

Wölfe, Elche, Robben, Seeadler: sie fühlen sich im Oderdelta wohl. Wie Peter Torkler dafür kämpft, dass sich die Natur eine Landschaft zurücknimmt.

Z uerst dröhnt nur ein lautes „Muhhh!“ von der weiten Wasserfläche herüber. Dann taucht hinter dem Schilf ein alter Kahn auf mit etwa 20 braunen Rindern darauf. Geschmeidig gleiten sie inmitten zahlreicher Möwen, Kormorane und anderer Vögel gen Ufer. Im Himmel darüber öffnen sich die tief hängenden Wolken, um gleißendes Licht auf das endlose Oderdelta fallen zu lassen. Berlin fühlt sich von hier aus viel ferner an als knapp drei Autostunden.

Das Muhen wird lauter, die Kühe aber wirken entspannt. Sie fahren nicht zum ersten Mal Boot: Jeden Frühling bringt man sie zu ihrer Sommerresidenz, und im Herbst geht es wie jetzt zurück ins Winterlager. Nur die Kälber erleben es zum ersten Mal. Sie sind dieses Jahr auf einer von Röhricht verdeckten Insel zur Welt gekommen.

Die kleinen Inseln im Stettiner Haff an der Rückseite der polnischen Ostseeküste gehören zum Nationalpark Wolin. Hier bei Swinemünde verrichten die Kühe ihren Dienst für den Schutz von Biodiversität. Denn wo sie grasen, wachsen salzliebende Pflanzen. Und nur dort wiederum fühlen sich Seggenrohrsänger und Alpenstrandläufer wohl – Schilf oder gar Wald wäre nichts für diese Wiesenbrüter. Ersterer ist weltweit gefährdet. Der Alpenstrandläufer trägt einen irreführenden Namen, mit dem Hochgebirge hat er nichts am Gefieder. Der staksige Schnepfenvogel liebt feuchte Wiesen und ist infolge des Klimawandels aus Mitteleuropa nahezu verschwunden.

„Der Bauer wird seinen Kindern sicher nicht empfehlen, den aufwendigen und wenig lukrativen Job mit den Mähkühen weiterzumachen“, sagt Peter Torkler. Der 52-jährige Umweltgeograf ist seit März für den polnischen Teil des grenzübergreifenden Naturschutzprogramms „Rewilding Oder Delta“ zuständig. Der gebürtige Danziger wuchs in Deutschland auf und fand durch seine Diplomarbeit über Ökolandbau von der Entwicklungszusammenarbeit zum Naturschutz. Heute hat er grau melierte kurze Haare und bereits zwanzig Jahre Erfahrung als Naturschützer, unter anderem beim WWF. Torkler hat etwas Nachdenkliches. Während er die anlandenden Rinder beobachtet, sagt er: „Wenn keiner mehr diese traditionelle Bewirtschaftung durchführt, muss eine Alternative her.“

Der Wisent soll zurückkehren

Nach der Vision mancher Naturschützer:innen könnte der ungewöhnliche Viehtransport ohnehin bald überflüssig werden. Dann würden, wie einstmals, riesige Wildtiere die Vegetation in Schach halten. Das ist in Gegenden wie dieser gar nicht so unwahrscheinlich: „Ganz in der Nähe, etwa 50 Kilometer südöstlich, leben mehrere Wisentherden“, berichtet Torkler. Bei solchen Themen merkt man ihm die Leidenschaft für seine Tätigkeit an. Auch Elche sind hier unterwegs und wandern immer häufiger bis nach Deutschland, erzählt er. In der Grenzregion haben sie Platz.

Das ist ein Grund, weshalb das Gebiet vor fünf Jahren von Rewilding Europe auserkoren wurde. Der Schriftzug steht auf Torklers türkisfarbenem Kapuzenpullover. Die Dachorganisation prüft Bewerbungen aus europäischen Regionen mit Wildnispotenzial und betreut die geeigneten von den Niederlanden aus. „Rewilding Oder Delta“ ging aus ehrenamtlichen Aktivitäten vor Ort hervor, seit 2019 ist es ein gemeinnütziger Verein. Das derzeitige Budget beträgt dürftige 500.000 Euro. Vier Leute beschäftigt die Initiative und drei weitere per Werkvertrag. Torkler ist der Einzige mit einer Vollzeitstelle, aber auf beiden Seiten der Grenze arbeiten viele Naturschützer:innen ohne Bezahlung mit.

Ökologisch korrekt: Kuhtransport mit dem Kahn Foto: Wolfgang Borrs

Das Gebiet, für dessen Erhalt sie sich engagieren, umfasst etwa 450.000 Hektar. Neben dem Stettiner Haff selbst sind das große Waldflächen, Moore und Flusseinzugsgebiete. Statt an einen einheitlichen, rechtlich bindenden Status geknüpft zu sein, handelt es sich eher um ein Mosaik: Ein Großteil ist europäisches Natura2000-Schutzgebiet, andere Flächen sind anderweitig oder auch offiziell gar nicht geschützt.

Rewilding, der Trend aus den USA

Rewilding kommt aus den USA und wird meist mit der Wiederansiedlung großer Wildtiere assoziiert. Der Grundgedanke des trophic rewilding ist, dass diese Wildtiere vor ihrer großräumigen Ausrottung nicht einfach Statisten der Landschaft waren, sondern wichtige Rollen in Ökosystemen spielen. Ein bekanntes Beispiel ist der Yellowstone-Nationalpark, wo Mitte der 1990er Wölfe freigesetzt wurden. Plötzlich verhielten sich die Hirsche anders: Sie mieden unübersichtliche Orte, wo sie leicht zur Beute werden konnten. Dort wurde dann die Vegetation dichter, was den Boden stabilisierte und sogar Flussläufe änderte.

Ähnliche Einflüsse auf die Umgebung sollen auch große Pflanzenfresser haben. Die sogenannte Megaherbivorentheorie besagt, dass Europa früher nicht komplett bewaldet war. Vielmehr sorgten lebende Mähmaschinen wie Mammuts oder Auerochsen für Offenland, wo sich Habitate mit spezifischen Pflanzen und Tieren entwickelten. Forscher:innen schlugen in den USA sogar die Auswilderung von „charismatischer Megafauna“ aus Afrika oder Asien vor, um das Pleistozän wieder aufleben zu lassen. Der britische Umweltaktivist George Monbiot wäre am liebsten von frei lebenden Elefanten und Löwen umgeben.

Das Stettiner Haff

Geografische Lage Das Stettiner Haff ist ein inneres Küstengewässer im Mündungsbereich der Oder. Die zweitgrößte Lagune der Ostsee hat eine Fläche von 903 Quadratkilometern, mehr als Bodensee und Müritz zusammen. Das Haff ist im Durchschnitt 3,8 Meter tief und aufgrund der weitgehenden Trennung vom offenen Meer nur leicht salzhaltig. Man unterscheidet zwischen dem östlichen Teil, dem großen Haff, und dem kleinen Haff im Westen. Mittendurch verläuft die Grenze zwischen Deutschland und Polen. Benannt ist es nach der Hauptstadt der polnischen Woiwodschaft Westpommern. Der Ort ist mit gut 400.000 Einwohnern siebtgrößte Stadt des Landes.

Entstehung in der Eiszeit Das Haff entstand zum Ende der Weichseleiszeit vor etwa 10.000 Jahren aus einem Gletscherstausee. Der geologische Ursprung der heutigen Inseln Wolin und Usedom ist ein Endmoränenbogen. Die Inseln wurden also damals von riesigen, aus dem Norden kommenden Gletschern vor sich hergeschoben. Als diese schmolzen, floss das Wasser unter anderem durch den jetzigen Meeresarm Swine gen Süden ab, entgegengesetzt seiner heutigen Richtung. Deshalb befinden sich dort noch immer Strukturen eines „umgekehrten Deltas“. Ansonsten hat sich zwar die Bezeichnung „Delta“ für die gesamte Region etabliert, aber es handelt sich streng genommen eher um eine Mündungslagune als Unterform des sogenannten Ästuars. (taz)

Das ist öffentlichkeitswirksam und beflügelt die Fantasie vieler, erzeugt aber auch heftigen Gegenwind. Ähnlich umstritten sind Initiativen zur „Rückzüchtung“ ausgestorbener Arten, beispielsweise von Heckrindern als Ersatz für Auerochsen. Das mag gerade in Deutschland mit daran liegen, dass derartige Vorstellungen Hermann Göring bei seinem Projekt reizten, in Ostpolen eine „germanische Urzeitlandschaft“ zu errichten, wofür er Menschen ermorden ließ.

In Peter Torklers Augen müssten es nicht gleich Wisente oder archaische Wildtiere sein, die auf den Swinedelta-Inseln grasen. Er kann sich vorstellen, dass zunächst Wasserbüffel oder alte Rinderrassen die Landschaft offen halten. Diese würden draußen überwintern und sich im Zweifel bei Überschwemmungen selbst retten. Denn sie können schwimmen – wie Elche, die bis zu sechs Meter tief tauchen und als einzige Hirschart gar unter Wasser äsen können. Viele Verfechter:innen des klassischen Naturschutzes sehen das als einen fragwürdigen Eingriff. Zum einen haben sich mit der Zeit neue funktionierende Artengemeinschaften gebildet, argumentieren sie. Außerdem seien unerwartete negative Effekte nicht ausgeschlossen. Osteuropäische Wildschweine zum Beispiel, die in Italien ausgesetzt wurden, sorgen dort bis heute für Ärger. Sie waren einen strengeren Winter gewohnt und vermehren sich im mediterranen Klima unkontrolliert.

Wo hört „gute“ Wildnis auf; was ist das überhaupt? Es gibt keine klare Definition, in der Ökologie kennt man keine eindeutige Grenze zwischen Kulturland und Wildnis. Auch die Grenzen zwischen Varianten von Rewilding sind fließend. In Europa vertritt man tendenziell das sogenannte passive rewilding. Man lässt die Wildnis also im Zweifel lieber selber kommen, so auch im Oderdelta. Beim Anklamer Stadtbruch an der deutschen Seite des Haffs passierte das unverhofft. 1995 brach ein Deich, woraufhin die Fläche überflutet und landwirtschaftlich aufgegeben wurde. Ein verwunschenes und artenreiches Feuchtgebiet entstand. Es bleibt sich selbst überlassen. Zurückhaltung hat auch für Torkler Priorität – wobei das vor allem anfangs nicht ausschließt, frühere menschliche Eingriffe rückgängig zu machen. In der Wasserwelt des Oderdeltas bedeutet das vor allem Wiedervernässung zum Beispiel durch Aufschütten von einst entnommenem Kies in Flussbetten, was auch Laichplätze für Lachse schafft.

Ein Naturschutz ohne ultimatives Ziel

Renaturierungen sind jedoch nichts Neues. Ist Rewilding ein Modebegriff, oder was ist das Spezifische? „Es ist kein Naturschutz mit Endziel, beispielsweise einen bestimmten Naturraum oder eine seltene Art genau so zu erhalten“, antwortet Torkler. Zwar widerspricht er nicht dem Plan des Nationalparks, den Alpenstrandläufer zu schützen. Primär aber gehe es darum, der Dynamik natürlicher Prozesse insgesamt mehr Freiraum zu gewähren, mit letztlich offenem Ausgang. Dabei steht die großräumige Vernetzung der Lebensräume im Fokus, erklärt er – etwa Rastplätze für Zugvögel oder Wanderkorridore für Wildtiere. Über Möglichkeiten, diese Herangehensweise auf ganz Europa auszuweiten, ist das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft initiierte Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) aktiv.

Dort forscht Andrea Perino. „Eigentlich wollte ich gar nicht promovieren“, erzählt die 35-jährige Biologin am Telefon, „sondern etwas mit gesellschaftlicher Relevanz machen, am liebsten im praktischen Naturschutz.“ Im Schwarzwald aufgewachsen, war sie schon als Kind viel draußen und ließ sich von der Begeisterung ihrer Großmutter für die Welt der Tiere anstecken. Später bekam sie die Möglichkeit zur Feldforschung in Portugal und sagte zu. Das Rewildingkonzept fand sie spannend – wenngleich sie darin kein Allheilmittel sieht. „Es wird zwar viel darüber geschrieben, aber empirische Forschung zur Effektivität gibt es bisher kaum“, sagt sie. Das liege vor allem daran, dass man es mit sehr langfristigen und komplexen Prozessen zu tun habe. Es gebe jedoch Erkenntnisse aus kurzen Untersuchungszeiträumen auf kleiner Fläche, erklärt Perino. So führten künstliche Überflutungen im Leipziger Auwald – die früher einmal zum jährlichen Naturprogramm gehörten – dazu, dass Ahorne wieder den Eichen wichen; gleichzeitig nahm die Artenvielfalt von Schnecken und Laufkäfern zu.

Dass sich Rewilding aber gegen den Menschen richte, hält Perino für ein Missverständnis. Zwar will man Ökosysteme langfristig aus der Sphäre seiner Steuerung entlassen, aber „es geht explizit auch um einen Mehrwert für die Bevölkerung“, erklärt sie. Peter Torkler sieht das ähnlich: „Wildnis funktioniert nicht ohne den Menschen – wir sind ja Teil der Natur.“ Er möchte zum Beispiel wirtschaftliche Interessen in möglichst naturnaher Weise integrieren. Das findet auch in der Wissenschaft Widerhall: Eine deutsche Gruppe von Ökolog:innen und Wirtschaftsfachleuten plant gerade ein großes Forschungsprojekt zum Oderdelta. Als Modellregion soll dort untersucht werden, was für Effekte dieses Vorgehen hat.

Für die Beweidung der Kuhinseln mag das heißen, künftig Rassen mit hochwertigem Fleisch zu wählen – Heckrindburger oder polnische Büffelmozzarella könnten sich auf den hippen Foodmärkten Berlins gut verkaufen. In jedem Fall müsste in Entscheidungen die lokale Bevölkerung einbezogen werden. Insofern hat Torklers Job viel mit Kommunikation, Vermittlung und Vernetzung zu tun. Er geht in den Dialog mit Multiplikator:innen, kooperiert mit Umweltinitiativen, trifft sich mit Ge­mein­de­ver­tre­ter:innen oder versucht Land­wir­t:in­nen für alternative Geschäftsideen zu begeistern. „Wenn dabei mehr Wildnis herauskommt, ist das wunderbar. Aber wir wollen nirgendwo Zäune aufstellen, damit nie wieder jemand reindarf“, fasst er zusammen.

Iwona Krępic grinst, als sie erklärt, dass es bei ihrem Grundstück genau andersherum ist. „Wir sind eingezäunt wie im Zoo, und drum herum sind die Tiere frei“, sagt die Frau mit enthusiastisch funkelnden blauen Augen und kurzen hellgrauen Haaren. Tatsächlich ist das Gras hinter dem Zaun viel höher; direkt nebenan stehen halb verfallene Gebäude, in denen Eulen hausen. „Meine Gäste können hier regelmäßig beobachten, wie Hirsche, Dachse oder manchmal auch Wölfe vorbeilaufen“, so die Stettinerin. Der beste Platz dafür sei der Strohballen, der im Vorgarten liegt. Vor 13 Jahren ist sie mit ihrem Mann nach Kopice bei Stepnica gezogen. Fast direkt am Stettiner Haff betreiben sie eine Unterkunft für Naturbegeisterte. Krępic habe mit der Zeit selbst gelernt, ihre Einstellung zur Wildnis zu ändern – „rewilding the mind“ nennt sie das. Heute bietet sie „Oder Delta Safaris“ an. „Vor einer Weile war hier noch touristisches Niemandsland“, erinnert sich die frühere Mitarbeiterin des Chemiekonzerns Merck.

Inzwischen kommen immer mehr Gäste aus ganz Europa und darüber hinaus zu ihr; viele davon sind Fotograf:innen, berichtet sie. Sie bietet ihnen Touren ins Umland, wobei ein Radius von zwei Kilometern meist ausreicht, um Naturerfahrungen und Motive zu ermöglichen. „Wir haben hier eine der dichtesten Seeadlerpopulationen der Welt, man kommt sehr nah an sie ran“, sagt Krępic in ihrer quirlig-wachen Art. Auch schillernde Eisvögel oder Wiedehopfe mit ihrer charakteristischen Federhaube trifft man hier an. Manchen nähert man sich am besten per Kanu im Tarnanzug; man muss die richtigen Stellen kennen.

Iwona Krępic (links) bietet Natur­freun­d:innen einen Auf­enthalt im Oderdelta. Peter Torkler (rechts) und Jonathan Rauhut von Rewilding Oder Delta arbeiten daran, dass die Wildnis weiter wächst​ Foto: Wolfgang Borrs

Ökotourismus und Naturfotografie sind in den meisten Gebieten von Rewilding Europe die wichtigste Strategie, um Ökologie und Ökonomie miteinander zu vereinbaren. Am Oderdelta gibt es neben Iwona Krępics „Safari“ inzwischen weitere Anbieter. „Es ist wichtig, die Region bekannt zu machen, damit sie nicht zerstört wird“, sagt sie.

Wenn durch solch schonenden Tourismus Geld in die Region fließt, so Torklers Hoffnung, nimmt auch die Akzeptanz wilder Tiere zu. „Die Leute hier sind schon lange daran gewöhnt, mit Wölfen und anderen zu koexistieren“, fügt er an. In Deutschland hingegen überlebte 2017 ein wilder Wisent, der sich nach Brandenburg traute, nur wenige Stunden. Dann wurde das streng geschützte Tier auf Anordnung des Ordnungsamts erschossen.

Eine Besonderheit von Rewilding Oder Delta ist die grenzüberschreitende Kooperation. Wie viele Naturschützer:innen vereint auch Torkler, Krępic und ihre Kolleg:innen der Einsatz gegen den von Polen aus geplanten Ausbau der Oder. ­Offiziell verfolgt das von der Weltbank finanzierte Projekt Hochwasserschutz. Kritiker:innen sind aber davon überzeugt, dass dies ein vorgeschobenes Argument sei: Die Maßnahmen würden Überschwemmungen sogar befördern. Sie nennen wirtschaftliche Interessen auf beiden Seiten des Grenzflusses als wahren Impetus.

Bedrohtes Paradies

Wenngleich ein Großteil der Eingriffe südlich von Stettin geplant ist, befürchten die „Re­wil­de­r:in­nen“ des Oderdeltas negative Folgen auch dort. In einem Fließgewässer sei alles ­miteinander verbunden: Die Beseitigung von Unterwasserdünen als Hindernis der Schifffahrt würde deren natürliche Filterfunktion stören, was die Wasserqualität flussabwärts verschlechtere. Anfang September haben Umweltverbände aus beiden Ländern gemeinsam Widerspruch beim Umweltdirektor in Stettin eingelegt.

Auf einer Anhöhe in dem kleinen Ort Lubin hat man einen wunderschönen Panoramablick über das Stettiner Haff und kann dessen Ausmaße zumindest erahnen. Die Landschaft ist von der Weichseleiszeit geprägt, man steht auf einer ­Endmoräne. Nach links öffnet sich die riesige ­Wasserfläche, geradeaus befinden sich die Kuhinseln. Rechts sieht man die größeren Inseln Wolin und Usedom, dahinter am Horizont einen Streifen Ostsee. In Swinemünde leuchtet ein Flüssiggasterminal – und mitten im Herzen der Lagune wird gebaggert.

Dort wird die Fahrrinne zwischen Stettin und der Zufahrt zur Ostsee vertieft. Schon bald ­sollen Schiffe mit bis zu 44.000 Tonnen Ladung den zweitgrößten Hafen Polens ansteuern. Das werde die Entwicklung der ganzen Region fördern, ­erklärte Marek Gróbarczyk, bis Oktober ­Minister für Meereswirtschaft und Binnenschifffahrt. Die Kosten übernimmt zum Großteil die EU.

Ökolog:innen aber sind empört, weil aus den 40 Millionen Kubikmetern Aushub künstliche Inseln geschaffen werden sollen, die nicht abgesichert seien. „Bei Sturm wird das Sediment aufge­wirbelt, und die Fische verschwinden“, kritisiert ­Peter Torkler. Eine Bodenuntersuchung des zustän­digen Seefahrtsamts fand rund 2.000 gefährliche Stoffe, darunter Abfälle aus dem ­Zweiten Weltkrieg und Industrieschlacke aus der ­Sowjetzeit. „Da wird eine ganze Lebenswelt zerstört, es ist ökologischer Vandalismus“, findet Torkler.

Einen Moment darauf fliegen Wildgänse in typischer Keilformation über das Oderdelta durch die nahende Dämmerung.

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