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Nationalisten steigen aus

Die radikalen Kräfte auf Korsika wollen vorerst nicht weiter mit Paris über mehr Kompetenzen für die Inselpolitiker verhandeln. Das verweist darauf, daß die Untergrundkämpfer an Macht gewinnen

aus Paris DOROTHEA HAHN

„Wir unterbrechen“, hat der Chef von „Corsica Nazione“, Jean-Guy Talamoni erklärt und die Türen zugeschlagen, die Premierminister Lionel Jospin ihm vor zwei Jahren geöffnet hat. Die Mitglieder der größten korsischen Nationalistengruppe und zugleich zweitgrößten Fraktion im Inselparlament werden nicht mehr an den Verhandlungen mit Paris über eine Verlagerung von Kompetenzen an die Inselpolitiker teilnehmen. „Vorübergehend“, hat Talamoni gesagt. Seine radikale Basis ließ wissen, dass ihre bewaffneten Kämpfer jederzeit wieder aktiv werden könnten.

Anlass für den Ausstieg waren die Festnahmen von neun Mitgliedern von „Corsica Nazione“ am vergangenen Wochenende. Die neun Nationalisten, darunter auch ein Führungsmitglied, sollten sich zu dem Mord an ihrem ehemaligen Kampfgefährten Jean-Michel Rossi äußern. Direkt nach Rossis Tod im August 2000 hatte dessen Freund und früherer nationalistischer Kämpfer, François Santoni, die Ermittler aufgefordert, die Täter im Kreise von „Corsica Nazione“ zu suchen. Er hat diese Aufforderung bis August dieses Jahres wiederholt. Dann wurde Santoni erschossen.

Die am vergangenen Wochenende festgenommenen neun Nationalisten sind alle wieder auf freiem Fuß. Gegen keinen von ihnen wird ermittelt. Doch ihre Kampfgefährten bei „Corsica Nazione“ empfinden das Vorgehen der Justiz als Schmach. Es sei, so der eher moderate „Corsica Nazione“-Chef Talamoni, eine „politisch-juristische Manipulation“. Ein Versuch, seine Organisation zu „kriminalisieren“.

Druck, Erpressung und die Drohung mit Attentaten sind seit Jahren die wichtigsten Waffen jener korsischen Nationalisten, die in „Corsica Nazione“ organisiert sind. Diese „legale Vitrine“ hat ihren Namen mehrfach geändert. Bloß ihr bewaffneter Arm ist sich treu geblieben. Er heißt wie früher „FLNC“ und verfügt über mehrere hundert Mann starke bewaffnete Truppen. Die „Unterbrechung“ des „Matignon-Prozesses“ zeigt, dass diese Untergrundkämpfer wieder an Macht gegenüber ihren „legalen“ Vertretern gewinnen.

Seit Monaten verlangt „Corsica Nazione“ von Paris Zugeständnisse, die weit über das hinausgehen, was Jospin zu geben bereit ist, und was die Mehrheit der 250.000 Insulaner erwartet. „Corsica Nazione“ will nicht nur, dass ihre wegen Mord und Erpressung verurteilten nationalistischen Kämpfer in Gefängnisse auf der Insel verlegt werden, sondern fordert auch eine „Amnestie“ für alle „Patrioten“.

Premier Jospin hat vor allem die Amnestie-Forderung kategorisch abgelehnt. Zugleich sorgte er dafür, dass ein erstes Gesetz in der Nationalversammlung verabschiedet wurde, das dem Inselparlament größere Befugnisse gibt und den korsischen Sprachunterricht allgemein einführen wird, ohne ihn zum Zwang für alle Schulkinder auf der Insel zu machen. Das Gesetz kommt im November in den Senat. In einem zweiten Schritt, der eine Verfassungsänderung voraussetzt, will Jospin weitergehen. Das soll 2004 geschehen. Vorausgesetzt, die Lage auf der Insel wird und bleibt bis dahin friedlich.

Von einem zivilen Frieden ist Korsika weit entfernt. Auch während des „Matignon-Prozesses“ gingen die Attentate weiter. Zwar wurden es weniger und es gab keine Bekennerschreiben mehr. In diesem Sommer nahm aber die Mordintensität wieder zu.

Kritiker von Jospin verlangen seit langem, den Matignon-Prozess abzubrechen. Präsidentschaftskandidat Jean-Pierre Chevènement, der wegen Jospins Korsikapolitik vom Posten des Innenministers zurückgetreten war, sieht sich erneut bestätigt. „Das ist eine gute Gelegenheit, den Prozess abzubrechen, bevor er lächerlich wird“, sagte er.

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