Nationale Dekade gegen Krebs: Das deutsche Moonshot-Projekt
Erwartet wird, dass die Krebserkrankungen weiter zunehmen. Um das zu ändern, wurde jetzt die „Nationale Dekade gegen Krebs“ ausgerufen.
Michael Baumann, der wissenschaftliche Vorstand des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ, Gesamtbudget 280 Millionen Euro) in Heidelberg, das zu der überwiegend aus dem BMBF finanzierten Helmholtz-Gemeinschaft gehört, konstatiert zwar Fortschritte seitens Forschung und Behandlung in den zurückliegenden Jahrzehnten.
Heute leben in Deutschland etwa vier Millionen Menschen, die im Laufe ihres Lebens einmal an Krebs erkrankt waren. Dabei gilt: Je früher die Krankheit erkannt werde, desto eher sei auch eine Heilung möglich. Dennoch liege die Zahl der jährlichen Todesfälle durch Krebs in Deutschland bei 200.000.
Die Neuerkrankungen pro Jahr werden nach seiner Einschätzung von jetzt 500.000 Fällen auf rund 600.000 im Jahr 2030 steigen. Noch dramatischer sei die Welt-Entwicklung. „Wir werden in den nächsten Jahren einen Tsunami der Krebserkrankungen erleben“, sagte Baumann bei der Dekade-Vorstellung. Bis 2040 werde sich die Zahl der Neuerkrankungen weltweit verdoppeln. Haupttreiber: alternde Bevölkerung und ungesunde Lebensstile.
Die Wissenschaft wolle diesen Trend nicht tatenlos hinnehmen, verdeutlichte Forschungsministerin Karliczek. „Wir wollen die Kräfte bündeln, um Krebs besser zu verstehen, zu vermeiden und zu heilen“, sagte die Ministerin. Dieser Dreiklang aus Forschung, Prävention und Therapie bildet den Kern der Nationalen Dekade gegen Krebs. In ihr sollen zum einen die vorhandenen Akteure in Wissenschaft und Klinik besser miteinander vernetzt und zweitens eine neue Grundstruktur onkologischer Forschung in den nächsten zehn Jahren aufgebaut werden. DKFZ-Forscher Baumann war voll des Lobes: „Wir haben lange auf solch ein starkes Signal gewartet.“
Zahlen liegen noch nicht vor
Eine finanzielle Gesamtzahl für die Dekade konnte jetzt noch nicht genannt werden, weil viele Maßnahmen erst genauer definiert werden müssen. Allein das BMBF hat in den letzten zehn Jahren nach eigenen Angaben 2,2 Milliarden Euro in die wissenschaftliche Krebsforschung gesteckt. Im Jahr 2017 wurde die Krebsforschung mit etwa 270 Millionen Euro (Projektförderung und institutionelle Förderung) durch das BMBF gefördert. Im Jahr 2018 wird sich dies nach Angaben des Ministeriums in einem ähnlichen Finanzrahmen bewegen.
Konkret kündigte die Forschungsministerin die Ausschreibung eines Förderprogramms für Klinische Studien in Höhe von 62 Millionen Euro an. Praxisverändernde Studien dieser Art würden in Deutschland noch zu wenig durchgeführt, hatte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in der Vergangenheit kritisiert. Klinische Studien sollen die gängige Praxis in Prävention, Diagnose und Therapie überprüfen und vergleichen. Dafür sind eine hohe Zahl von Fällen über einen längeren Zeitraum zu verfolgen.
An neuen Forschungsinfrastrukturen ist mittelfristig geplant, das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT)mit seinen bisherigen zwei Standorten, in Heidelberg und Dresden, um zunächst vier weitere Zentren zu ergänzen, die an Universitätsklinika von Hochschulen angedockt sind und den Transfer zwischen Forschung und klinischer Anwendung beschleunigen sollen.
Zur Verstärkung des Transfers wurde unter dem Dach der Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung bereits das Deutsche Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) gegründet, das vom Bundesforschungsministerium und den beteiligten Sitzländern mit jährlich 29 Millionen Euro gefördert wird. An insgesamt acht Standorten sind daran 300 Wissenschaftler beteiligt.
Im Bereich der Vorsorge und Verhütung verfolgt das DKFZ zusammen mit der Stiftung Deutsche Krebshilfe den Aufbau eines Nationalen Krebspräventionszentrums, das auch im internationalen Maßstab zukunftsweisend sein soll. Hier soll die Präventionsforschung ausgebaut und mit weiteren Partnern flächendeckend etabliert werden. Das Ziel: weniger Kosten und weniger Leid.
„Fast jede zweite Krebserkrankung ist vermeidbar und viele Risikofaktoren sind bekannt“, sagte Fritz Pleitgen als Präsident der Deutschen Krebshilfe. Die private Hilfsorganisation sammelt jährlich 35 bis 40 Millionen Euro für die Krebsforschung ein. Der Dekade-Allianz gehören weitere Stiftungen, medizinische Fachgesellschaften, Ärzteverbände, Patientenorganisationen und Pharmaunternehmen an. Gewichtigster Partner auf Regierungsseite ist neben dem BMBF das Bundesministerium für Gesundheit, das nicht nur die medizinische Behandlung koordiniert.
Jährlich geben die gesetzliche Krankenversicherungen 6,5 Milliarden Euro für die Krebsbehandlung in Krankenhäusern und Arztpraxen aus. Sein Haus, erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), engagiere sich verstärkt im Bereich der Prävention. Dazu gehöre neben dem Aufbau eines bundesweiten Krebsregisters auch ab Mitte 2019 die Förderung eines Darmkrebsscreenings, zu dem die Versicherten alle fünf Jahre aufgefordert werden.
Schließlich habe im letzten Jahrzehnt (2002–2012) durch die freiwillige Vorsorgeuntersuchung die Zahl der Darmkrebsfälle um geschätzt 180.000 vermindert werden können. Ein ähnliches Screening solle ab nächstem Jahr den Frauen zur Vorbeugung gegen Gebärmutterhalskrebs angeboten werden.
„Andere fliegen zum Mond“
Bei soviel Aktivitäten konnte Spahn nicht das Selbstlob unterdrücken: „Andere fliegen zum Mond; wir wollen den Krebs besiegen.“ Und die medizinische Seite des Feinstaubproblems, das derzeit vorwiegend verkehrs- und umweltpolitisch diskutiert wird? Krebsforscher Michael Baumann verwies auf Frage der taz darauf, dass der allergrößte Krebsverursacher mit 19,3 Prozent der Fälle das Tabak-Rauchen sei.
Es folgt die Gruppe der Zivilisationskrankheiten mit ungesunden Ernährungsgewohnheiten (7,8 Prozent), Übergewicht (6,9) und Bewegungsmangel (6,1). Auf Infektionen sind vier Prozent der Fälle zurückzuführen. Erst am Schluss der Tabelle rangieren mit 1,2 Prozent die „Umweltfaktoren“, was 2018 immerhin 5.338 Krebserkrankungen in Deutschland verursachte.
Baumann räumt allerdings ein, dass sich die Zahl 1,2 ändern könnte, wenn die Forschung zu Umweltschadstoffen intensiviert würde. „Es zeigt sich in dieser Relation nur das, was wir heute dazu wissen.“
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