Nahostexperte über Ahmadinedschad: "Iran wird arabischer"
Am Mittwoch spricht Irans Präsident Ahmadinedschad vor der UNO. Durch die Unruhen hat sein Regime einen Machtverlust erlitten, gerade auch im arabischen Raum, sagt Nahostexperte Loay Mudhoon.
taz: Herr Mudhoon, wie würden Sie die aktuelle Lage um den Iran im Nahen und Mittleren Osten umreißen?
Loay Mudhoon: Wichtig ist, dass Obamas Ansatz, wie er bei der Kairoer Rede vor den Wahlen in Iran zum Ausdruck kam, die Fronten durcheinanderbringt. Obama hat erkannt, dass für eine umfassende Lösung im Nahostkonflikt die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit des Westens grundlegend ist. Dazu gehört auch, Forderungen an alle Akteure zu stellen. In Teheran hat man verstanden, dass Obama systematischer vorgeht. Seine ausgestreckte Hand könnte dort den Reflex zur Machtzentralisierung mitbedingt haben, zumal man in Teheran sicher ist, dass früher oder später ein Kooperationsangebot aus Washington kommt. Und da kommen dann arabische Ängste ins Spiel.
Wie hat man in den arabischen Machteliten die Entwicklungen in Iran wahrgenommen?
Prowestlich-sunnitische Kernstaaten wie Ägypten und Saudi-Arabien haben großes Interesse, die Legitimitätsprobleme in Teheran hervorzuheben. Man betont den Riss zwischen Regierenden und Volk im Iran. Antiwestliche Staaten und Organisationen wie Syrien beziehungsweise Hamas und Hisbollah haben hingegen die hohe Wahlbeteiligung unterstrichen und die Proteste als Ausdruck der Vitalität der iranischen Demokratie gedeutet.
Äußerten sich diese entgegengesetzten Sichtweisen auch in den Berichten der arabischen Massenmedien?
Saudi-Arabien nahestehende Medien wie der Sender al-Arabija haben von einer "samtenen Revolution" gesprochen und sich früh auf die Seite der Demonstranten geschlagen. Daher wurde das Büro von al-Arabija in Teheran nach den Wahlen geschlossen. Al-Dschasira hingegen sprach davon, dass inneriranische Konflikte normal für eine Demokratie seien. Man wurde nicht müde zu betonen, dass die Bedeutung Irans als starker Gegenspieler des Westens keinen Schaden genommen habe.
Also reagierte die arabische Welt gespalten?
Man blickte mit einer Mischung aus Neid und Bewunderung auf Iran. Bewunderte Menschen, die offenkundig ihr Leben riskieren, um auf der Straße ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Neid, weil die viel zitierte "arabische Straße" eben diesen Mut nicht hat, zumal dort seit Jahrzehnten autoritär-polizeistaatliche Regime jeden Funken Hoffnung im Keim ersticken.
Wie ordnet man die Entwicklungen in Iran historisch ein?
Die Intellektuellen gehen davon aus, dass eine Machtverschiebung im iranischen Machtgefüge stattgefunden hat: von einer Dominanz der Geistlichkeit hin zu den paramilitärischen Kräften. Das ist Konsens in den arabischen Massenmedien. In anspruchsvollen Zeitungen wie al-Hajat hat man sich zudem sehr für den Protest aus den Reihen des Klerus interessiert und diesen als historischen Einschnitt gewertet. Zuletzt sprach man von einem "Gottesstaat ohne Gott", eine großartige Formulierung. Denn die velayat-e faqih, die Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten, ist ja mit der systemkritischen Fatwa von Ajatollah Montazeri, der einen höheren theologischen Rang als der Führer Chamenei inne hat, faktisch untergraben worden.
Was wird sich dadurch ändern?
Offiziell nicht viel. Für die Beziehungen zwischen Iran und den arabischen Staaten werden Erfolg oder Scheitern des Ansatzes Obamas weitaus wichtiger sein. Aufgrund des wechselseitigen Misstrauens und des Fehlens einer eigenen Sicherheitsarchitektur ist man in der Region auf externe Vermittlung angewiesen. In dieser Hinsicht wird auch der Iran arabischer.
Wie meinen Sie das?
Arabischer in dem Sinne, dass die Kluft zwischen Volk und Machteliten größer wird. In Iran gab es ein komplexes System von Zwischeninstanzen: Es gab Wahlen, eine Pluralität von Machtzentren, während der Reformära Chatamis eine blühende Presselandschaft, samt einer nach wie vor äußerst vitalen Zivilgesellschaft. Nun wird die politische Kultur arabischer: Die neuen Machteliten hören nicht auf das Volk, sondern prügeln auf es ein. Dadurch verliert Iran seine Vorreiterrolle in der Region.
Hat Iran tatsächlich einen solchen Status gehabt?
Iran ist für die arabische Welt als Maßstab sehr wichtig. Kürzlich ist der "Arab Human Development Report 2009" erschienen. Er zeigt wie die arabischen Bürger entrechtet sind. Politische Partizipation ist nahezu unmöglich. In diesem Sinne verliert das iranische Gegenmodell nun an Glaubwürdigkeit und Ausstrahlungskraft. Der Gegenentwurf zum "gottlosen Gottesstaat" ist die Türkei der AKP. Vielleicht ist sie sogar das neue Leitbild für arabische Mainstream-Islamisten: nach innen demokratisch legitimiert, nach außen kooperativ und berechenbar. Erdogan genießt weltweit große Akzeptanz. Ahmadinedschad nicht.
Taugt Iran aus Sicht der anderen Akteure überhaupt zum Hegemon, der man so gern wäre?
Eine Hegemonialmacht benötigt ausreichend Ressourcen und regionale Akzeptanz. Die Iraner sind aber viel zu unbeliebt in den Nachbarstaaten, das Misstrauen ist zu groß. Das Land ist nicht vernetzt genug in der Region und im Vergleich zu Saudi-Arabien technologisch zwanzig Jahre im Rückstand.
Steht der religiöse Antagonismus zwischen Schiiten und Sunniten im Irak denn zu Recht im Blickpunkt?
Durch den Sturz Saddams wurden erstmals Schiiten zur tonangebenden Gruppe in einem arabischen Land, das zudem eine letzte Bastion des Panarabismus war. Man kann das als Emanzipation sehen. Wichtiger: Iran konnte so zur Ordnungsmacht am Golf avancieren. Darüber hinaus ist klar, dass für puritanische Wahhabiten mit ihrem Überlegenheitsbewusstsein Schiiten Anhänger einer Irrlehre sind. Dabei hat Ajatollah Chomeini aufgrund seines betont antimonarchistischen Islamismus die sunnitischen Königshäuser in seinem Testament gar zu den "größeren aller Satane" erklärt. Die Gefahr ist groß, dass Hegemonialkonflikte, wie der zwischen Saudi-Arabien und Iran, konfessionell eingekleidet werden.
Tatsächlich?
Man übersieht oft, dass die undemokratischen Regime in den sunnitischen Kernstaaten massive Legitimitätsprobleme haben und auch untereinander zu keiner gemeinsamen Politik finden, wie etwa bei der Palästinafrage. Insofern dient das Gespenst des Panschiismus auch dem Zweck, von dieser Schwäche abzulenken. Dabei sind Schiiten im Irak oder im Libanon zunächst vor allem Araber. Es gibt kaum überregionale gemeinsame schiitische Interessen. Die "schiitische Achse" scheint mir eher ein Konstrukt. Eine geopolitische Metapher, die erstmals vom ägyptischen Präsidenten Mubarak im März 2005 verwendet wurde, als dieser vor einem schiitischen Halbmond warnte, der von Teheran über Bagdad bis nach Beirut reiche und die arabische Sicherheit bedrohe.
Auch der israelische Vizeministerpräsident Silwan Schalom warnte vor der "schiitischen Kontinuität" und einem Truppenabzug der USA im Irak.
Es gibt dieses iranische Hegemonialstreben, das moderate arabische Staaten, Israel und den Westen einander näher bringt. Erst im Juli ist ein aus Deutschland an die israelische Marine geliefertes U-Boot der Dolphin-Klasse mit Zustimmung der Ägypter durch den Suezkanal ins Rote Meer gefahren. Solche U-Boote können mit Marschflugkörpern bestückt werden. Das sind deutliche Zeichen an die Iraner.
Paradoxerweise könnte ein dialogbereiter, sich demokratisierender Iran viel eher eine hegemoniale regionale Rolle spielen.
Aber selbst Chatamis Außenpolitik war nur im Stil anders. Iran betreibt lange schon eine islamo-nationalistische Politik und hat mit dem Atomkonflikt lagerübergreifend nationalistische Reflexe reaktiviert. Das muss man realistisch sehen. Aber ein Iran, der nicht nur sein Störpotenzial auslebt, könnte helfen, den Irak zu stabilisieren. Er würde mäßigend auf die Hamas einwirken und zur Entmilitarisierung der Hisbollah beitragen. Der Iran wird im Kampf gegen al-Qaida und in Afghanistan gegen die Taliban gebraucht. Das wissen auch die USA. In Teheran ist man gegenüber den USA derzeit recht leise. Umgekehrt fiel auch die Kritik von US-Präsident Barack Obama zuletzt weitaus zurückhaltender aus als die der Europäer.
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