Nächtlicher Überfall auf Linkspartei-Camp: Attacke rechtsextrem motiviert

Im Schlaf attackiert: Eine 13jährige liegt schwerverletzt im Krankenhaus - auch der Bruder ist verletzt. Die Täter kommen offenbar aus der organisierten rechtsextremen Szene.

Angegriffen: Das Sommercamp der Linken-Jugendorganisation Solid. Bild: screenshot linksjugend-solid.de

GÖTTINGEN taz In seinen Videos soll er behauptet haben, Deutschland befände sich im Krieg gegen die Juden. Nun sitzt Kevin S. in Untersuchungshaft, weil er selbst in den Krieg gezogen ist. Der 19jährige hat gestanden zusammen mit anderen Rechtsextremisten ein Camp der Linken-Jugendorganisation Solid in Hessen angegriffen zu haben. Ein 13jähriges Mädchen liegt seitdem schwer verletzt im Krankenhaus.

Der verhaftete Schläger steht offenbar der organisierten Neonazi-Szene sehr nahe. Der Überfall auf das Sommercamp wurde nach vorläufigen Erkenntnissen von Tätern verübt, die den Freien Kräften zuzuordnen seien. Das sagte Alexander Eisvogel, Präsident des hessischen Verfassungsschutzes. Ob S. aus dem Umfeld der örtlichen Kameradschaften stammt oder gar ein Aktivist ist, konnte der Verfassungsschutz allerdings nicht sagen.

Kevin S. stammt laut Informationen des Netzwerks Anti-Nazi-Koordination aus Frankfurt/Main aus dem Umfeld des ehemaligen NPD-Landesvorsitzenden Marcel Wöll. Für die Volksfront Medien soll der 19-jährige regelmäßig hetzerische Videos mit antisemitischen und rassistischen Inhalten erstellt haben. "Kevin S. ist mit der NPD eng verbunden, muss andererseits aber dem Lager der 'Autonomen Nationalisten' zugerechnet werden", sagte Hans Christoph Stoodt von der Anti-Nazi-Koordination. S. habe in seinen Videos wiederholt Gewalt verherrlicht und behauptet, Deutschland befände sich im Krieg gegen die Juden.

Zwei vermummte Neonazis sollen laut Polizeiangaben am vergangenen Sonntag kurz vor acht Uhr morgens über den Zaun zum Campingplatz am Neuenhainer See geklettert sein. Dort veranstaltete Solid, die Jugendorganisation der Linken gerade ihr Sommercamp .Einer der Vermummten drang in ein Igluzelt ein und schlug auf die beiden darin schlafenden Menschen ein. Als Waffe diente ein massiver Gegenstand, eine Flasche oder womöglich ein Spaten. Ein 13jähriges Mädchen wurde so schwer am Kopf verletzt, dass sie zeitweise in Lebensgefahr schwebt. Ihr 23 Jahre alter Bruder erlitt leichte Verletzungen.

"Chillen gegen das System und für eine bessere Welt" - das wollten die Teilnehmenden des Sommercamps am Wochenende eigentlich tun. Es gab jedoch bereits im Vorfeld Ankündigungen aus rechten Kreisen, so dass sich die Zelter nicht wirklich entspannen konnten. Verschiedene OrganisatorInnen hatten drohende SMS und Anrufe bekommen. "Gerade im Dunkeln hatte man Angst, dass etwas passieren könnte. Wenn man sich jetzt schlafen legt, so dachten sich viele, kann man so schnell gar nicht reagieren", erzählt Markus Lange von der solid-Basisgruppe Schwalm-Eder.

Doch die Täter kamen nicht im Dunkeln, sondern erst, als die Nachtwache pausierte und die Polizei keine Streife mehr fuhr. "Damit haben wir überhaupt nicht gerechnet", sagt Lange. Angst vor den Rechten habe er schon lange. Zusammen mit anderen AktivistInnen seien seine persönlichen Daten auf "roten Listen" veröffentlicht worden. "Ich achte in der Öffentlichkeit immer darauf, wer sich um mich herum bewegt oder ob mich ein Auto verfolgt", beschreibt Lange seinen Alltag.

In der Region sind es vor Allem die "Freien Kräfte Schwalm-Eder", die eine rechte Hegemonie zu schaffen versuchen. Die Frankfurter Anti-Nazi-Koordination hat beobachtet, wie ihre AnhängerInnen in letzter Zeit immer organisierter aufgetreten sind. Auch der hessische Verfassungsschutz schätzt die Gruppe als gewaltbereit und aggressiv ein, auch wenn die Behörde keinen rechtsextremistischen Schwerpunkt in Nordhessen sieht. In der Vergangenheit kam es jedoch im Schwalm-Eder-Kreis gehäuft zu Aktivitäten der Neonazis, wie beispielsweise einem Angriff auf ein Jugendzentrum vor wenigen Wochen.

Dass die Behörden in der Vergangenheit rechte Übergriffe in der Region allzu oft als unpolitische Taten dargestellt hätten, bemängelte Ulrich Wilken. Er ist Landesvorsitzender der Linken und zugleich deren rechtspolitischer Sprecher im Hessischen Landtag. "Es ist höchste Zeit, dass die örtliche Polizei und die Behörden im Schwalm-Eder-Kreis endlich zur Kenntnis nehmen, was antifaschistische Gruppen schon seit langem beklagen", sagte er. Auch Hans Christoph Stoodt kritisierte, die Behörden hätten das Gewaltpotential der Neonazis lange Zeit unterschätzt.

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