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Nächste Anklagewelle

Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen sieben Linke aus der Antifa-Szene. Sie sollen als Teil der Gruppe um Lina E. Rechtsextreme angegriffen haben

Demo zum 1. Mai 2025 in Berlin: Schwarzer Block gegen staatliche Repression Foto: Andreas Rabenstein/dpa

Von Konrad Litschko

Es ist der nächste Schlag der Bundesanwaltschaft gegen die linke Szene: Nach Angaben mehrerer Ver­tei­di­ge­r*in­nen hat die oberste Ermittlungsbehörde Anklage gegen sieben Linke erhoben, denen vorgeworfen wird, an Angriffen auf Rechtsextreme beteiligt gewesen zu sein. Die Bundesanwaltschaft rechnet sie der Gruppe um die Leipzigerin Lina E. zu, die bereits vor zwei Jahren mit drei Mitangeklagten zu einer gut fünfjährigen Haftstrafe verurteilt wurde und diese derzeit absitzt.

Der Prozess soll vor dem Oberlandesgericht Dresden stattfinden. Eine Gerichtssprecherin bestätigte der taz, dass die Anklagen erhoben wurden. Weiter wollte sie sich nicht äußern. Wann der Prozess beginnt, sei offen. Die Bundesanwaltschaft wollte sich am Freitag dazu nicht äußern.

Unter den nun Angeklagten ist nach taz-Informationen der Leipziger Johann G., der frühere Lebenspartner von Lina E., den die Bundesanwaltschaft als Mit­anführer der Gruppe sieht. Er war vier Jahre abgetaucht, bevor ihn die Polizei im vergangenen November in einer Regionalbahn in Thüringen fasste. Zuvor soll eine Bekannte von ihm observiert worden sein. Johann G. wird von der Polizei als linksextremer Gefährder eingestuft, für Hinweise auf seinen Verbleib waren bis zu 10.000 Euro Belohnung ausgesetzt.

Nach Aussage eines Kronzeugen, der nach Vergewaltigungsvorwürfen aus der linken Szene verstoßen wurde, sollen Johann G. und Lina E. die Gruppe gemeinsam angeführt haben. Sie hätten zu Trainings und Überfällen eingeladen. Insgesamt soll die Gruppe mindestens sechs Angriffe von 2018 bis 2020 verübt haben. Bei fast allen soll Johann G. dabei gewesen sein.

Die anderen nun Angeklagten, alle aus Leipzig oder Berlin, sollen sich an einzelnen Angriffen der Gruppe beteiligt haben. Die Bundesanwaltschaft bewertet diese als kriminelle Vereinigung. Neben Johann G. sitzen drei weitere Beschuldigte in Haft. Einer der Inhaftierten, ein 48-jähriger Berliner, wird als Kampftrainer der Gruppe beschuldigt. Er war im vergangenen Oktober in Berlin festgenommen worden.

Neben Johann G. sollen zwei weitere der Beschuldigten auch an Angriffen auf Rechtsextreme im Februar 2023 in Budapest beteiligt gewesen sein, am Rande des europaweiten Szeneaufmarschs „Tag der Ehre“. Einer, Tobias E., war bereits vor Ort in Budapest festgenommen und in Ungarn zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt worden, die später auf anderthalb Jahre verkürzt wurde. Nachdem Tobias E. diese Strafe abgesessen hatte, wurde er nach Deutschland ausgeliefert – wo er wegen der weiteren Vorwürfe erneut festgenommen wurde. Er sitzt seitdem in der JVA Burg, wo ihn die taz zuletzt besuchte und er über Gewalt und Willkür in den ungarischen Gefängnissen berichtete. Der zweite Beschuldigte, der auch in Budapest dabei gewesen sein soll, war fast zwei Jahre abgetaucht, bevor er sich im Januar mit sechs weiteren Linken der Polizei stellte.

Mehrere Ver­tei­di­ge­r*in­nen kritisierten die Anklage in einer Erklärung. „Es erscheint bereits jetzt höchst zweifelhaft, ob diese Anklage in einem fairen und rechtsstaatlichen Verfahren verhandelt werden kann.“ Dem Landeskriminalamt Sachsen, das die Ermittlungen führte, werfen sie vor, „nicht neutral“ ermittelt zu haben. Zudem seien „eine Vielzahl von Ermittlungsergebnissen und persönlichen Informationen“ aus dem Verfahren rechtswidrig an Jour­na­lis­t*in­nen weitergegeben worden, auch in einem größeren Hintergrundgespräch Anfang Mai. Der Verteidigung sei da noch gar nicht bekannt gewesen, gegen welche Personen mit welchen Vorwürfen der Generalbundesanwalt Anklage erheben würde.

„Ich wurde im Knast lebendig begraben“

Maja T., im Haft-Hungerstreik in Budapest

Bereits am 14. Mai 2025 erhoben die An­wäl­t*in­nen deshalb Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Dresden wegen Geheimnisverrats gegen den Staatsschutz des sächsischen LKA und ihren Leiter Denis Kuhne. Sie regten an, die Diensträume zu durchsuchen und sämtliche Kommunikationsgeräte sicherzustellen.

Wegen der Budapest-Angriffe steht eine weitere Anklagerunde der Bundesanwaltschaft noch bevor. Ungarn fordert zwar die Auslieferung der deutschen Beschuldigten. Die Bundesanwaltschaft erklärte aber, dass die Verfahren größtenteils in Deutschland geführt werden sollen – ausgenommen ist bisher nur ein Beschuldigter mit syrischer Staatsbürgerschaft.

Eine Person, die nonbinäre Maja T., wurde im Juni 2024 ausgeliefert – rechtswidrig, wie das Bundesverfassungsgericht später feststellte. Gegen T. läuft ein Prozess in Budapest. Es drohen 24 Jahre Haft. Seit Donnerstag ist Maja T. im Hungerstreik. Beim jüngsten Prozesstag diese Woche verlas T. eine Erklärung, in dem die Haftbedingungen kritisiert werden. „Ich wurde im Knast lebendig begraben“, heißt es dort. „Ich ertrage das nicht mehr.“ Maja T. fordert die Rücküberstellung nach Deutschland und einen Prozess dort. Das Auswärtige Amt hatte erklärt, es setzte sich für bessere Haftbedingungen ein. Über eine Ausreise nach Deutschland müssten ungarische Gerichte entscheiden.

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