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Nachwuchssorgen im SchuhmacherhandwerkWenn der Schuh drückt

Hendrikje Ehlers ist Schuhmacherin aus Leidenschaft. Sie führt ein traditionsreiches Geschäft und will ihrem Handwerk nicht beim Sterben zusehen.

Hendrikje Ehlers in ihrer Schumacherei POSH Foto: Julia Baier

Berlin taz | In den Regalen stapeln sich die Schuhe, der Geruch von Leder und Kleber liegt in der Luft. Beim Betreten des Schuhgeschäfts „Posh“ in der südlichen Friedrichstraße lüftet Hendrikje Ehlers erst einmal durch. Der Raum strahlt Eleganz aus, mit seiner hohen Decke, die ein Wolkenhimmel ziert, und der Tapete in Nachtblau und Gold. Die abgewetzte Schürze, die Ehlers sich umbindet, deutet hingegen auf die anspruchsvolle handwerkliche Arbeit hin, die hier durchgeführt wird.

Die 61-jährige Hendrikje Ehlers ist diplomierte Modedesignerin und Schuhmachermeisterin. Wenn sie mit ihrer tiefen Stimme wortgewandt über ihre Arbeit spricht, fallen Worte wie „Leidenschaft“, „Erfüllung“ und „Berufung“. Der Laden in Kreuzberg, in dem sie 1989 mit 26 Jahren ihre Lehre anfing und den sie 2004 übernommen hat, ist seit 1938 Meisterbetrieb und damit einer der ältesten seiner Art in Berlin.

Viele ihrer Kun­d*in­nen kennt Ehlers seit mehreren Jahren. „Wir sind die Besten“, sagt Ehlers und lacht, „wir sind einfach scheiße gut. Dadurch haben wir das Glück, zu überleben.“ Denn das Schuhmacherhandwerk stirbt in Deutschland aus – und Ehlers versucht, diesen Tod zu verhindern.

Vom Modedesign zur Schuhmacherei

1963 in München als Kind von Medizinern geboren, wird Ehlers durch ihre Mutter früh in die Modewelt eingeführt. „Als ich ein Kind war, bin ich mit ihr nach Paris, Wien, Salzburg gefahren, um mit ihr Schuhe zu kaufen“, erinnert sich Ehlers. Coco Chanel und Christian Dior hätten in dieser Zeit ihre Ästhetik geprägt.

Nach ihrem Abitur studiert sie zunächst in München Kunstgeschichte. 1980 kommt Ehlers dann nach Berlin und studiert zuerst Architektur, schließt dann aber ein Modedesignstudium beim Berufsausbildungszentrum Lette Verein Berlin ab. „Ich habe mich in dem Metier aber nicht wohl gefühlt“, sagt sie.

Aus Alt mach Neu: In der Schuhmacherei POSCH werden Schuhe repariert Foto: Julia Baier

An eines erinnert sich die Schusterin noch genau: „Ich habe immer wunderschöne Schuhe besessen.“ Bei ihrem Schuhmacher habe sie sich einmal über die hohen Kosten für die Reparatur beschwert. „Der meinte dann: Mach’s doch selber! Und das habe ich dann gemacht.“

Im Wendejahr 1989 geht sie bei selbigem Schuhmacher in die Lehre. „Als ich als Frau in den Beruf gestartet bin, haben sich alle erst mal die Hosen hochgezogen“, sagt sie. „Da kam etwas auf sie zu, das sie in dem Beruf noch nicht kannten: Eine Frau.“ Ehlers fühlt sich in der Schuhmacherwerkstatt aber nicht wohl, wird als günstige Arbeitskraft ausgenutzt, wie sie sagt. „Nach ein paar Monaten wurde ich dort rausgeschmissen“, erzählt sie. Trotzdem ist Ehlers von der ersten Minute an im Schuhmacherhandwerk angekommen. „Für mich war völlig klar, dass ich in dem Beruf bleibe.“

Schuhe für die britische Königsfamilie

1990 setzt Ehlers ihre Ausbildung in der Schuhmacherwerkstatt „Borsich“ in der Friedrichstraße fort. Doch nach wenigen Monaten löst man auch dort den Lehrlingsvertrag auf. „Er hat gesagt, dass ich laut Handwerkskammer meine Ausbildung nicht in einer Werkstatt abschließen kann, in der es keine Frauentoilette gibt“, erinnert Ehlers sich. Fortan arbeitet Ehlers in verschiedenen Schuhmacherwerkstätten in Deutschland und Österreich.

Dürfen nicht fehlen: Holzstiefelleisten in der Schuhmacherei Foto: Julia Baier

Anfang 2002 fragt Ehlers bei John Lobb, einem renommierten Schuhmacherbetrieb aus London, an, ob sie dort lernen darf. John Lobb fertigt noch heute Schuhe für die britische Königsfamilie. Aus den geplanten zwei Wochen wird schließlich ein Lehrjahr in England, das die junger Frau selbst durch private Aufträge von Freunden und Bekannten vor Ort finanziert. Ihr Sohn war zu dem Zeitpunkt bereits erwachsen. „Das war die schönste Zeit meines Lebens“, sagt sie rückblickend.

An Weihnachten 2002 kehrt Ehlers nach Berlin zurück, „todtraurig und mit 50 Kilo Werkzeug im Gepäck“. Nachdem sie im darauffolgenden Jahr bei einem Schuhmacherwettbewerb den ersten Preis gewinnt, erlaubt ihr die Handwerkskammer, zeitgleich die Gesellen- mit der Meisterprüfung abzuschließen. Ein Jahr später übernimmt sie das Geschäft „Borsich“ in der Friedrichstraße, kurz darauf geht ihr Sohn bei ihr in die Lehre. Seit gut 15 Jahren arbeiten die beiden mittlerweile gemeinsam in der Schuhmacherei, die heute „Posh“ heißt, auf Deutsch „piekfein“.

Drastischer Rückgang der Schuhmacherbetriebe

Nach Angaben des Zentralverbands des deutschen Schuhmacherhandwerks hat sich die Zahl der Schuhmacherbetriebe, die von einem Handwerksmeister geführt werden, in Deutschland seit dem Jahr 2000 mehr als halbiert. In Berlin waren laut Handwerkskammer vor 24 Jahren noch 90 hauptberufliche Schuhmacherbetriebe verzeichnet, aktuell sind es nur noch 46. „Das Schuhmacherhandwerk stirbt leise, aber wenn es tot ist, können wir es nicht mehr retten“, sagt Ehlers über diese Entwicklung.

Zum Abholen bereit: reparierte Schuhe im Regal Foto: Julia Baier

Zwar sinkt die Zahl der Schuh­ma­che­r*in­nen seit Jahren, seit 2004 könne man jedoch von einem „Massensterben“ sprechen, sagt Ehlers. Die Aufhebung der Meisterpflicht für viele Handwerksberufe durch die damalige rot-grüne Regierung sollte der steigenden Arbeitslosigkeit entgegenwirken und den Wettbewerb fördern. Sie hatte jedoch auch gravierende Nachteile: „Ohne Meisterpflicht kann der eigene Lehrling drei Jahre später zu deiner Konkurrenz werden“, erklärt Ehlers. „Früher hat er dafür noch sieben Jahre gebraucht.“

Die verkürzte Grundausbildung von drei auf zwei Jahre habe zudem einen erheblichen Qualitätsverlust zur Folge. „Ein Handwerk in zwei Jahren zu erlernen ist unmöglich“, ist sie überzeugt. Und erklärt auch, warum: „Wenn jemand mit der Motorik noch nicht vertraut ist, muss er erst mal mindestens ein halbes Jahr lang lernen, wie man das Messer hält“, sagt sie. Wenn es so weitergeht, sieht sie schwarz für ihr Handwerk. „In zehn Jahren haben wir vielleicht noch fünf Schuhmacher, die nichts können.“

Ehlers ist jedoch keine Person, die nur meckert, sie will sich aktiv dafür einsetzen, dass es besser wird. Wenn man sie denn lassen würde: Nachdem sie im vergangenen Jahr von ihrem Lehrling erfährt, dass dieser an der Berufsschule wegen fehlender Aus­bil­de­r*in­nen von Schnei­de­r*in­nen unterrichtet wird, beantragt sie bei der Senatsbildungsverwaltung kurzerhand eine Sonderzulassung als Berufsschullehrerin. „Ich wurde abgelehnt mit der Begründung, dass mir die pädagogische Ausbildung dafür fehle. Dabei bin ich als Meister dazu berechtigt, praktisch auszubilden.“

Für den Schutz des Schuhmacherberufs

Ehlers will sich damit nicht abfinden und prüft daraufhin mit einem Anwalt, ob sie gegen die Entscheidung klagen kann – vergeblich, wie sie sagt. Im Mai dieses Jahres wendet sie sich dann direkt an Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) und im Juli an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Sie bittet die beiden, sich für den Schutz des Schuhmacherberufs einzusetzen. Die Bildungssenatorin habe nun Interesse an einem Gespräch bekundet.

„Die Sinnhaftigkeit unserer Arbeit muss wieder nach außen transportiert werden“, sagt Ehlers. Wenn sie ein Paar kaputte Schuhe begutachtet, ähnelt ihr Blick ein wenig dem einer Ärztin, die einen kranken Patienten untersucht. Ganz so weit hergeholt ist der Vergleich auch gar nicht: „Wenn ich hier sehe, dass unter dem großen Zeh ein Loch in der Sohle ist, dann weiß ich: Da hat jemand einen Knickfuß.“

Auch dieses Wissen müsse an die nächsten Generationen weitergegeben werden, findet die Meisterin. Durch die verkürzte Ausbildung für Schuh­ma­che­r*in­nen verliere die Gesellschaft jedoch diese „orthopädisch-medizinische Kontrollinstanz“, wie Ehlers sie nennt. „Und dann kann die Schuhindustrie natürlich machen, was sie will.“

Auch die Arbeit von Schuh­ma­che­r*in­nen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. So braucht es für die Anfertigung eines Maßschuhs 40 bis 50 Arbeitsstunden. Ein fertiges Paar Schuhe kostet dann um die 4.000 Euro. „Das steht in keinem Verhältnis mehr“, weiß Ehlers. Entsprechend stehe die Maßanfertigung, für die sie ursprünglich in den Beruf gegangen sei, heute längst nicht mehr im Vordergrund ihrer Arbeit.

Wichtiger sei mittlerweile die Reparatur: „Der Traum ist natürlich immer der vom Schuhdesigner und nicht davon, vier Stunden lang etwas glattzuschleifen“, räumt Ehlers ein. Das sei aber durchaus eine ganz neue Herausforderung, für die es Geduld und Leidenschaft brauche. Dann mache es auch richtig Spaß. „Ich sehe sofort das Ergebnis meiner Arbeit – schöner kann man sein Leben doch kaum gestalten, oder?“

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