Nachwuchs-Fotograf*innen in Hamburg: Tote Blumen und untote Quallen
Bilder, die zum Nachdenken anregen: „Gute Aussichten“ im Haus der Photographie zeigt Chancen und Risiken von Fotografie heute.
Zum Warmwerden eignet sich ein Blick auf die Arbeit von Laila Kaletta, die einem urfotografischem Antrieb gefolgt ist: sich ein Phänomen vorzunehmen und dafür erklärende, aber durchaus eigensinnige Bilder zu finden. Um nichts Geringeres als die Unsterblichkeit geht es bei ihr. Kaletta reiste nach Japan zu Professor Shin Kubota, der über die Qualle Turritopsis dohrnii forscht. Deren Exemplare sind kaum größer als ein Daumennagel, aber sie können etwas Außergewöhnliches: Sie verjüngen sich mittels Zellumwandlung.
Kaletta tauchte ein in die Wissenschaftswelt, die versucht, unterschiedlichen Phänomenen der Zellteilung auf die Spur zu kommen. „Man kann schnell verloren gehen, wenn man über Unsterblichkeit forscht“, sagt sie. Also hat sie in Japan auch einen Wasserfall besucht, in den sich viele Menschen in den Tod stürzen und von diesem ein eindrückliches Foto mitgebracht, von einem dort aufgestellten Hinweisschild, das darum bittet, doch noch eine Minute innezuhalten – denn eine tote Pflanze werde nie wieder erblühen. So heißt auch ihre Fotografie: „A dead flower will never bloom.“
Malte Sänger wiederum beschäftigt sich mit den Lebenswegen und -geschicken des Einzelnen. Er lässt in seiner Arbeit „Abdrücke“ hoch aufgelöste Satellitenbilder von Grenzregionen auf private Fotos treffen, die Geflüchtete in sozialen Medien hinterlassen haben. „Nach kurzer Zeit verstummten diese Accounts, bei denen ich die GPS-Daten, Uhrzeiten oder den Handytyp auswerten konnte, wieder“, sagt er. Nun steht dort: „Kein weiteres Bild hochgeladen“. Konzeptionelle Überlegungen, aber auch Auszüge aus Interviews mit Geflüchteten, mit Behörden, bis hin zu Aussagen von Passfälschern, ergänzen die gerahmten Schnappschüsse, die er zugleich chemisch so behandelt hat, dass sie am Ende verblassen – und ebenfalls verschwinden werden.
Kein weiteres Bild hochgeladen
Wo Sänger einerseits in die Wunderkiste digitaler Techniken greift, andererseits leibhaftig in die Dunkelkammer zurückgekehrt ist, ist Benjamin Kummer in „Konstruktion: Raum“ der Grundfrage auf der Spur, was ein Bild überhaupt ist und wie es erschaffen werden kann.
Seine kameralosen Fotografien untersuchen anhand der Grundformen Pyramide, Würfel und Kugel fotografische Räumlichkeiten, indem er zuvor am Computer entwickelte Schablonen händisch ausschneidet und anschließend in der Dunkelkammer mittels Mehrfachbelichtungen weiterverarbeitet, Fehlermöglichkeiten einkalkuliert. Kummer sagt: „Es ist ein handwerklicher Prozess, und das Bild darf nur einmal existieren, damit es wehtut, wenn ich es loslasse.“
Bis 3. 10., Hamburg, Deichtorhallen/Haus der Photographie,
Mit Sina Niemeyer führt der Weg entschieden zurück in eine der Bastionen persönlich-dokumentarischer Fotografie. Niemeyer geht es um Selbstermächtigung, um die Rückgewinnung über die Souveränität des eigenen Körpers mit bildschaffenden Mitteln. „Für mich“ ist eine multimediale Aufarbeitung des eigenen erlebten sexuellen Missbrauchs: „Meine Arbeit ist assoziativ und subjektiv, und ich habe dennoch den Anspruch, ein gesamtgesellschaftliches Thema anzusprechen“, sagt sie. Und: „Es ging mir nicht um eine Abrechnung oder Rache, sondern darum zu verstehen.“
2016 entstand zunächst ein kleines Buch, in dem sie sich mit Rückgriff auf Familienbilder, aber auch mittels Ansichten scheinbar banaler Alltagsorte offenbart. Einiges davon ist als Material in die aktuelle Präsentation eingeflossen, die zugleich entscheidend ergänzt wurde: „Ich hatte viel verstanden, aber es war noch nicht okay“, sagt Niemeyer. Niemeyer ging einen Schritt weiter, im vergangenen Jahr traf sie den Täter, machte von dem Treffen ein Video, das bezeugt, wie die Künstlerin das nicht Aufzulösende sowohl einfängt wie dokumentiert wie spiegelt. Für sich sagt Sina Niemeyer: „Die künstlerische Verarbeitung hat mir jedenfalls mehr geholfen als jede Gesprächstherapie.“
Land ohne Frauen
Und dann ist da noch die fabelhafte und zugegeben auch leicht zugängliche Arbeit „Kommando Korn“ von Anna Tiessen, die bei Ute Mahler an der Ostkreuzschule in Berlin studiert hat. Weil sie sich für ihre Abschlussarbeit einem persönlichen Thema widmen sollte, ging sie ging dorthin zurück, wo sie einst aufbrach: aufs platte Land, nach Dithmarschen, wo ihr kleiner Bruder bis heute wohnt, entschlossen und tatkräftig dabei, eines Tages den elterlichen Bauernhof zu übernehmen.
Tiessen tauchte ein in dessen Landleben, das auch aus einem verlässlichen Wechsel von Feiern und Arbeiten, von Arbeiten und Feiern besteht: „Ich bin ohne großes Konzept, sondern emotional an die Arbeit herangegangen, ich habe mich auf das Leben dort eingelassen: Die Devise war Mitmachen“, erzählt sie. Mitgebracht hat sie entsprechend nahe Bilder, frei von den Posen, die sonst junge Männer befallen, will man sie abbilden. Immer wieder wurde sie gefragt, wo denn die jungen Frauen geblieben seien, die es da draußen auf dem Lande doch auch geben müsse. Ihre Antwort: „Ich habe gemerkt, dass mich die Jungs viel mehr interessiert haben, und so bin ich immer wieder bei ihnen gelandet.“
Beeindruckend ist übrigens die Wirkung des ganzen Raums: Tiessens ganz klassisch gehängter Fotoserie steht die wuchtige, bis unter die Decke reichende Instagram-Plakat-Label-Wand von Lorraine Hellwig gegenüber: Hier schauen wir auf eine absolut gegenwärtige Welt, in der es den Feierabend noch genauso gibt wie den jährlichen Dorfball, auf den man sich entsprechend freuen kann; dort blicken wir in eine Sphäre, wo der Drang zur Selbstinszenierung keinen Anfang und kein Ende kennt und dem Dasein droht, dass ihm seine Ecken und Kanten verloren gehen. Ein Beispiel auch, dass sich durch eine gute Inszenierung zwei starke Arbeiten noch einmal zusätzlich anfeuern und unterstützen können.
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