piwik no script img

■ NachschlagÜber Geruch kann man nicht streiten – Das Gesicht '97 in der Staatsoper

Die Eintrittskarten kosteten eigentlich zwischen 350 und 500 Mark. So gut wie niemand hatte jedoch regulär eine erworben, und trotzdem war die Staatsoper unter den Linden am Samstag abend ungefähr voll. Wer da war, hatte irgendwie anders eine ergattert oder sich erbarmt. Ist das nicht ein schönes Beispiel für die Gültigkeit des „sozialen Kapitals“ von Bourdieu? Nicht die volle Schütte, um die es letztlich aber doch geht, ist ausschlaggebend, sondern daß man so ist, daß man so reinkommt. Wer ist das schönste Mädchen, wer der bestaussehendste Junge, um diese Boy-Sieger: Guido Foto: Promo

heikle Frage dreht sich die aufwendige Veranstaltung „Gesicht des Jahres soundso“, die die Firmen Berlin Models von Joachim Zielesch und compact team von Günther Ponesky bereits zum 6. Mal ausrichteten. Die Benennung „Gesicht“ ist etwas mißverständlich, denn daß zum Beispiel die Kniekehle nicht matschig und der Rücken keine Pickelpiste sein darf, gehört zum Gesicht dazu. Gesicht '97 ist ja auch Europas größter Modelwettbewerb, wie die beiden lässig unbedarften MTV-Moderatoren Kimsy und Holger hin und wieder einfließen ließen.

Der erste Auftritt der 30 Finalisten, ca. 190.000 Konkurrenten hatten sie schon ausgestochen, war schrecklich. Die Mädchen mußten sich in einer Art weißer Zwangsjackenkleider vom Bühnenrand über den Laufsteg und zurück quälen. Erste gehässige Bemerkungen fielen. Die Jungs hatten Hosen an, zwei mit Röcken drüber. Beim zweiten Durchgang trugen sie dann eine der Sponsormarken. Nach einer Weile war der fröhliche Reigen erheblich ausgedünnt, die Jury aus der Welt der Mode und des Films hauptsächlich hatte aussortiert. Trostpreise wurden verliehen, und Jurymitglied Heiner Lauterbach mußte auf die Bühne wegen des „Rossini-Loreley- Awards 1997“. Wie er da vollkommen deplaziert rumdruckste und am liebsten in seiner eigenen Hosentasche verschwunden wäre, war er der sympathische Lichtquell des Abends. Der Kampf um das schönste Schönsein wurde auch von musikalischen Darbietungen unterbrochen, die Boygroups Touch und No Mercy sowie die Chanteuse Patricia Kaas gaben ihr Bestes, und die rein weibliche Modenschau von Krizia zeigte weder Hose noch Rock, sondern knappe Kleider und raffiniert ausgeschnittene, badeanzugartige Teile.

Nicht die von der BZ favorisierte Constanze, 17, aus Lichtenberg, sondern Sarah und Guido haben am Ende gewonnen. Alles Gute. Katrin Schings

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen